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Freitag, 29. März 2013

Utopien

Weihnachten und Ostern finden sich in deutschen Zeitungen gern eher besinnliche Artikel, so auch in der aktuellen Printausgabe der ZEIT. Unter dem Stichwort Utopien wird die mögliche, zugeschriebene oder behauptete Rolle neuer Technologie, Technologieunternehmen und Technologiegurus für die Gestaltung einer schönen neuen Zukunft assoziationsreich und ironisch  angerissen: Einerseits die Glücksversprechungen der Technologieunternehmen, die Probleme der Zukunft mi neuen Produktion schon in den Griff zu bekommen, andererseits auch ihr - vermeintlicher - Anspruch, die Zukunft besser als staatliche Akteure (oder gar die Religion) richten zu können.

Mal davon abgesehen, dass hier Akteure(Unternehmen - Staat) gegenübergestellt werden, die ganz unterschiedliche Funktionen ausüben. Die suggestive Kraft, die die Heilsversprechen aus den Marketingabteilungen der Unternehmen begleitet, ist aber in der Tat ein  wirkmächtiger Faktor auf die Gesellschaft, auf ihre Vorstellung von wichtig und unwichtig, von segensreich und unheilvoll. Die Technologieunternehmen schaffen mit überwältigenden Bildern und überzeugenden Geschichten diejenigen Bedürfnisse, die sie dann mit ihren Produkten befriedigen wollen. Im Diskurs der Gesellschaft um ihre Prioritäten sind Unternehmen ein wichtiger Diskutant. Dergleichen gilt im übrigen auch für die Seite der Wissenschaft, in der ebenso eine jede Disziplin nicht ungern ihr zentrales Problem zum gesellschaftlich relevanten Problem erklärt. Dies hat durchaus Implikationen für eine Innovationspolitik, die sich zusehens als an gesellschaftlichen Herausforderungen orientiert zeigt.

Die ZEIT beschäftigt sich in einem zweiten Artikel auch mit Raymond Kurzweil und seiner Utopie der Singularität. Im Artikel wird dies (zumindest in den Augen von Kurzweils Anhängern) als Verheißung beschrieben, in anderen Artikeln findet eine zunehmend intelligente Umwelt, die möglicherweise irgendwann die Kontrolle über unser Leben übernimmt und bestimmt, was richtig und falsch ist , eher als Drohzenario statt. Die lustigen Seiten der Anfänge einer solchen Technodiktatur hat vor kurzem der Technikblog der FAZ schön beschrieben. Da sind wir dann wieder - nein, nicht bei der Utopie, sondern der Dystopie.

Dienstag, 12. März 2013

TED Talks


Der Feuilletonist der Süddeutschen hat am vergangenen Samstag einen schönen Artikel zu den TED-Talks in den USA (einer alljährlich stattfindenen Konferenz zu Technologie, Unterhaltungsindustrie und Design)  geschrieben, in dem ein aufkommender Technikskeptizismus durchschimmert, der nicht zuletzt durch seinen Retro-Charme besticht. Interessant klang für mich vor allem ein Streitgespräch zwischen Robert Gordon und Erik Brynjolfsson zur Frage, ob es mir dem innovationsinduzierten Wachstum zu Ende geht. Das Video zum Streitgespräch ist leider noch nicht im Netz, nur eine kurze Zusammenfassung auf der TED-Seite. 

Die amerikanische Bloggerszene hat aber bereits die wichtigsten Aussagen dokumentiert (zum Beispiel hier und hier). Zudem ist die These von Gordon nicht neu und wurde bereits an anderer Stelle ausführlich und kritisch diskutiert (z.B. hier, hier und hier, schön auch der Artikel im Economist). Er behauptet nämlich, dass die zentralen Innovationen, die unseren Lebensstandard und unseren Wohlstand entscheidend gehoben haben (fließend Wasser, Elektrizität und andere) bereits hinter uns liegen und viel neues nicht zu erwarten ist. Dies gilt seiner Meinung nach auch für die sogenannte digitale Revolution. Brynjolfsson hingegen sieht gerade hierin eine derart fundamentale Innovation, dass sie unser komplettes Leben verändern wird. Auf Brynjolfsson bin ich bereits in einem früheren Post eingegangen. 

Heute geht es mir um die These Gordons, die eine entscheidende Frage stellt: Was macht eigentlich echte Innovationen aus? Dabei zielt Gordon vor allem auf die wirtschaftlichen Wachstumseffekte von Innovationen, und hier gehen seine Kritiker hart mit ihm ins Gericht. Gleichzeitig argumentiert er aber auch normativ mit dem gesellschaftlichen Nutzen, den Innovationen stiften, und den ich von den in früheren Blogs von mir bereits genannten kompensierenden und positionalen Funktionen unterscheiden möchte. Eigentlich scheinen nur wenige Lebensbereiche für "echte" Innovationen in Frage zu kommen: die Steigerung der körperlichen und geistigen Gesundheit, die Befreiung von körperlicher (und geistiger?) Anstrengung (durch Maschinen zum Beispiel - auf dieser Ebene argumentiert ja Brynjolfsson) sowie die Erweiterung des geistigen Horizonts, um eine etwas altertümliche Dimension anzusprechen. 

Aber gerade hier finde ich die Früchte der digitalen Revolution besonders bestechend. Das Wissen der Welt steht uns mit dem Internet heute in einer Weise zur Verfügung, welche die Intellektuellen vergangener Zeiten geradezu für ein Wunder gehalten hätten. Neugierde zu stillen, Einsichten zu vermitteln und die Welt zu verstehen schafft zutiefst Befriedigung. Wenn nun noch die Möglichkeiten einer digital unterstützen Bildung weiter ausgebaut werden, was steht da unserem Glück noch im Wege...? Wenn dann nur die materiellen Voraussetzungen gesichert wären. Und da kommt dann möglicherweise für viele von uns in Zukunft wieder Brynjolfsson ins Spiel...

Update vom 26. Mai : Die Videos von Brynjolsson und Gordon sind mittlerweile hier online zu finden

Samstag, 9. März 2013

Chimerica

Zurzeit wird in China die neue Führung ins Amt gehoben, gleichzeitig besetzt auch die amerikanische Regierung ihre Spitzenposten neu. Nach den praktisch gleichzeitigen Wahlen im November bewegen sich die beiden Ländern erneut fast im Gleichschritt. Auch auf wirtschaftlicher Ebene nimmt die Verflechtung der beiden Volkswirtschaften weiter zu. Die Print-Ausgabe der Zeit brachte diese Woche in einem kleinen Artikel wieder das Konzept von Chimerica ins Spiel, eines durch Investitionen und Exporte eng verbundenen  Staatengebildes, das die Weltwirtschaft beherrscht.

Dabei sind die Wirtschaftsbeziehung in der Realität keineswegs spannungsfrei. Insbesondere in den USA gibt es große Befürchtungen, dass China die USA dominieren könnte. Als Beispiel werden dabei immer wieder Spitzentechnologien wie die Photovoltaik angeführt, in denen China mit angeblich unlauteren Praktiken die amerikanischen Unternehmen an die Wand drückt. Dass dies zumindest heute noch anders ist, zeigt ein Blogartikel zur amerikanisch-chinesischen Handelsbilanz im Bereich erneuerbare Energien auf der Onlineseite des Economist, nachdem die Handelsbilanz wider erwarten deutlich positiv für die USA ausfällt. Grund ist die höhere Innovationsleistung amerikanischer Firmen (eine Zusammenfassung der Studie findet sich hier).

Aber China holt auch technologisch auf. Selbst steigende Löhne sind, wie ein aktuelle Beitrag von DB Research zeigt, eher Zeichen eines Strukturwandels in Richtung steigende Innovationsorientierung denn beruhigende Nachrichten für amerikanische oder europäische Wettbewerber. Bleibt also Chimerica eine Chimäre?