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Freitag, 19. Juni 2015

Rebound Effekte

Im MIT Technology Review erschien am 4. Juni ein offener Brief über die Digitale Wirtschaft, der unter anderem von Erik Brynjolfsson und Andy McAffee sowie 14 weiteren Personen unterzeichnet war. Die Autoren bezogen sich in diesem Brief auf die aktuelle Diskussion um die Auswirkungen der digitalen Revolution. Bedroht sie nun Arbeitsplätze oder bringt sie der Menschheit eigentlich eine Menge an Wohltaten, wenn wir uns mit entsprechender Qualifizierung und veränderten Firmenstrukturen nur gut genug darauf anpassen? Die Autoren beginnen mit einem klaren Statement: die digitale Revolution bringt zunächst einmal Wohltaten für die Menschheit. Medizinische Diagnostik wird besser, Autos werden sicherer. Und den negativen Effekten auf dem Arbeitsmarkt kann man mit geeigneten Maßnahmen beikommen. Diese positive Bewertung wurde bereits in ersten Blogartikeln angezweifelt.




Vielleicht wird aber mit den Effekten der Digitalisierung aber auch alles gar nicht so dramatisch. Schließlich scheinen die Früchte der Digitalisierung in der Produktivitätsstatistik noch gar nicht angekommen zu sein, Zumindest behauptet dies das Solow-Paradox, das gerade erst von der Süddeutschen Zeitung in einem netten Artikel ausgeführt wurde. Alles also nur ein großer Hype, ein typischer Katastrophendiskurs?




Die Alltagserfahrung vieler Büromenschen scheint die überraschend geringen Effekte der Digitalisierung zunächst zu bestätigen. Das papierlose Büro gibt es nicht, und die Segnungen des Computerzeitalters führen auch nicht zu weniger Schreibarbeit. Im Gegenteil, die Bürokratisierung und der Papierkram scheint eher zuzunehmen. Hier lässt sich möglicherweise ein Effekt beobachten, den ich in Analogie zum berühmten Rebound Effekt der Energiediskussion als Innovations-Rebound bezeichnen möchte. Die segensreichen Wirkungen von Innovationen werden durch gegenläufige Effekte aufgezehrt, die ihren Ursprung in den Schwächen der menschlichen Natur haben:
  • Textverarbeitung und digitale Vernetzung machen Hartkopien unnötig? Billige Drucker und Lesefreundlichkeit sorgt für den Ausdruck ganzer Regenwälder...
  • Der ubiquitäre digitale Zugriff auf Dokumente und Forschungsergebnisse macht wissenschaftliches Arbeiten effizienter? Der Konkurrenzdruck sorgt gleichzeitig für eine Vervielfachung des wissenschaftlichen Outputs, so dass im Ergebnis kein Zeit- oder Qualitätsgewinn bleibt, sondern eine Sintflut an Publikationen, die gar nicht mehr alle gelesen werden können ...
  • Durch soziale Netzwerke können wir endlich mit der halben Welt Kontakt schließen? Mehr als 100 Personen können wir als "echte" bekannte gar nicht verarbeiten oder gar pflegen, der Rest sind digitale Karteileichen, mit denen wir angeben, ohne sie tatsächlich wirklich zu kennen...

  • Vielleicht gibt es diese Innovations-Rebounds auch bei den klassischen Themen der Innovationsforschung: Wir beobachten eine Zunahme der Innovationsintensität bei Teilnehmern an Förderprogrammen? Vielleicht werden hier nur private Innovationsaufwendungen substituiert und Verhaltensveränderungen über eine Firmen-"Leben" hinweg erfasst.
Und was die gefährdeten Arbeitsplätze angeht, so finden z.B. Michaels und Graetz von der LSI in einem kürzlich erschienenen Artikel zurzeit keine deutlichen Effekte. Die Fundstelle habe ich wiederum einem anderen Artikel der Technology Review entnommen, in dem vor allem der Umgang mit möglicher Weise Arbeitsplatz-gefährdender Automatisierung thematisiert wird. Eine Lösung könnte sein, über ein Grundeinkommen oder über eine Beteiligung der Arbeiter und Angestellten an ihren Firmen und ihren Robotern die Früchte der Automatisierung gerechter zu verteilen. Dann würde die Welt zwar weniger menschliche Arbeit brauchen, aber die Effekte wären eher paradiesisch, fast wie im Marxschen Kommunismus nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus beschrieben.


Auch das wird schon vom ein oder anderen Artikel aufgriffen (z.B. in Le Monde oder hier). Aber bevor ich mich dem Traum einer arbeitsfreien und von Robertern gemanagten Welt hingebe (à la Wall-e - siehe hier den entsprechenden Filmausschnitt), hoffe ich auch hier wieder auf einen Innovationsrebound, so dass mir meine Arbeit doch noch erhalten bleibt...

Mittwoch, 3. Juni 2015

Lebenslüge Gründung?



Zurzeit regnet es wieder Zahlen zur deutschen Gründungskultur und zur Gründungshäufigkeit (siehe hier und hier). Es scheint sich zu bestätigen, was niemand wirklich wahrhaben möchte. Die Gründungsneigung, gerade für technologieorientierte Gründungen, ist in Deutschland weiter rückläufig. Und das, obwohl die Gründungsstimmung doch so gut ist. Berlin als international wahrgenommener Gründungsstandort, die Politik voller neuer Ideen und Gelder, und sogar das Privatfernsehen macht mit seinen Gründungsshows mit. Und trotzdem wird nicht mehr, sondern weniger gegründet.

Die Erklärungsversuche wirken auf mich auch etwas hilflos. Die gute Konjunktur sei schuld, die guten Leute würden von der Uni lieber direkt in die etablierten Unternehmen gehen, die sehr attraktive Bedingungen böten. Aber eine gute Konjunktur sollte doch eigentlich Normalzustand sein, die Notgründer sind doch nicht wirklich die Klientel, auf die man hierzulande als potenzielle  schielt. Es sind doch die Leute mit den tollen Ideen, die wir als Gründer wollen.

Zweiter Erklärungsversuch: der demographische Wandel. Auch das finde ich kein echtes Argument. Denn auch daran wird sich nicht wirklich was ändern- Auch wenn Gründerinnen und Gründer aus anderen Ländern in größerer Zahl nach Deutschland kommen, werden sie diesen Rückgang nicht kompensieren.

Dritter Erklärungsversuch: zu wenig Geld. Das stimmt zum Teil sicher, aber die interessanten deutschen Gründer finden zunehmend auch ihr Geld in den USA.

Vierter Erklärungsversuch: Fachkräfte. Hier schreibt derTagesspiegel heute ganz schön von einer möglichen Wahrnehmungsverzerrung der in der Regel noch sehr kleinen Gründer, die sich häufig auf ihr persönliches Umfeld verlassen und die potenziellen Engpässe bei einem weiteren Wachstumsprozess eher überschätzen.

Ich habe die Vermutung, dass wir einer Lebenslüge aufsitzen und dass die Gründungszahlen absehbar nicht so hoch werden, wie sie es während der Dotcom-Blase oder im Nachgang zur deutschen Einheit waren. Ein langfristiger, rückläufiger Trend scheint hier durchzuschlagen, der nicht nur für Deutschland relevant ist, sondern z.B. auch für die USA.

Ich habe auch den Verdacht, dass geringe oder gar rückläufige Gründungszahlen kein Defizitmerkmal sind, sondern im Gegenteil ein Indikator dafür, dass unser Innovationssystem auf anderen Stärken aufbaut. Und das sind eher die anpassungsfähigen etablierten Unternehmen, die sich von jungen Unternehmen nicht so einfach vom Markt drängen lassen. In diesem Fall müssten wir uns allerding besonders Sorgen machen, weil zumindest der Mittelstand nicht mehr wirklich die „Innovationsrakete“ von früher darstellt. Und wo Großunternehmen und große Mittelständler durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Startups frischen Wind und Innovationen noch in ihre Konzerne bringen, verhalten sich kleinere Mittelständler immer noch viel zu zaghaft. 

In diese Richtung haben wir vergangene Woche auf einem Workshop des BMWi diskutiert, bei dem es um eine bessere und intensivere Zusammenarbeit zwischen Jungen Unternehmen auf dem Wachstumspfad und etablierten Mittelständlern ging. Ziel: Junge fördern und Innovationen schneller bei den etablierten Unternehmen zur Anwendung bringen, z.B. um diese fitt für den Umstieg auf Industrie 4.0 zu machen. 

Und in diese Richtung geht auch ein weiterer ganz aktueller Artikel desTagesspiegels. Der berichtet zwar eigentlich über Berlin als Startup-Metropole im internationalen Vergleich, nennt aber dann auch eine noch ausbaufähige Zusammenarbeit zwischen etablierten Mittelständlern und Gründern als Schwäche der deutschen Hauptstadt.

Und natürlich ist eine Förderung von Gründern weiter notwendig, weil sie eben die Hefe für den Innovationsteig in Deutschland sein können. Und es scheint auch so, als wenn die Politik das kapiert hat und einen nicht schlechten Job macht. Nur beim Matching von Mittelstand und Jungunternehmen fehlt mir noch das richtige Instrument. Von alleine scheint sich das im Moment  nicht zu regeln.