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Sonntag, 29. November 2015

Digitalmanifest

Vor kurzem erschien ein sogenanntes digitales Manifest in der deutschen Ausgabe der Spektrum der Wissenschaft. Es ging nicht wie so häufig in aktuellen Artikeln zur digitalen Revolution darum, inwieweit Deutschland Nachholbedarf habe, zu wenig auf digitale Veränderung vorbereitet seit oder sogar kulturell geprägt zu große Ängste vor den Segnungen der digitalen Revolution habe. Nein ganz im Gegenteil: Eine ganze Reihe namhafter und honorige Wissenschaftler warnen darin vor dramatischen Konsequenzen der Digitalisierung, insbesondere im Hinblick auf einem Missbrauch durch den Staat.

Das klang alles gut gemeint, und natürlich möchten wir nicht, dass der Staat uns manipuliert, dass Allmachtsphantasien sich in Planungswut ausleben, das digitale Systeme über Menschen entscheiden. Aber mal davon abgesehen, dass eine ganze Reihe von Grundannahmen in meinen Ohren mehr als merkwürdig  klangen ( zum Beispiel die Kantsche These, dass Demokratien keine Kriege führen, was wie dieser Artikel zeigt nicht stimmt), fand ich auch den allgemeinen Tenor sehr alarmistisch, ja fast schon verschwörungstheoretisch.

Eine der größten Bedrohungen, die in dem Artikel gezeichnet wurden, stellte das sogenannte "big nudging" da. Zu denken ist big nudging als eine Verbindung von Big Data und dem klassischen nuging. Die Politik könnte versuchen, mit Hilfe intelligenter Algorithmen ganze Gesellschaften digital abzubilden und zu steuern. Natürlich würde das nach Ansicht der Autoren alles ziemlich schief gehen, wo ich Ihnen ausnahmsweise recht geben würde. Aber schon die Grundannahme, dass solche Steuerungsversuche in nächster Zukunft möglich oder gar wahrscheinlich wären, kann ich beim besten Willen nicht teilen. Mir scheinen auch die Indizien, die im Artikel genannt werden, wie die Buchempfehlungen von Amazon (andere Leser haben XY gekauft) oder die individualisierten Sucheinstellungen bei Google nicht wirklich zu tragen.

Und die bekannten nudging-Versuche der Regierungen nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere in Großbritannien oder den USA sind mehr als harmlos. Da geht es dann eher darum, die Anschreiben zur Steuererklärung etwas umzuformulieren, um die Leute dazu zu bewegen, diese schneller auszufüllen. Das ist doch mehr auf der Ebene von Warenregalen in Supermärkten, in denen die Waren nicht zufällig sortiert sind, sondern so, dass der Kunde möglichst viel von den teuren Produkten kauft. Auch die Versuche, Gesellschaften digital zu erfassen,  waren  (siehe z.B. futureICT) eher nicht so erfolgreich.

Im Manifest wird ziemlich am Ende des Textes auch das abschreckende Beispiel China genannt, in dem jetzt alle Bürger mit ihrem Internet erhalten geraten werden sollen. Dieses Beispiel zirkuliert schon länger im Netz. Ein neues "social credit system" oder "citizen scoring"
sogenannte sesame credits bei der Alibaba-Tochter Alipay, um insbesondere die Kreditwürdigkeit einzuschätzen. Mit dem neuen Chinesischen System beschäftigte sich zum Beispiel ein Artikel auf Netzpolitik. Die Zeit titelt in ihrem Blog-Beitrag sogar "China plant die totale Überwachung".
"Schon seit einigen Jahren ist die chinesische Führung dabei, ein System zu entwickeln, das das Verhalten seiner Bürger bewertet und öffentlich macht. Ausgangspunkt waren zahlreiche Berichte über das rüpelhafte Verhalten vieler chinesischer Touristen im Ausland."
Kritische wäre es, wenn auch social media Aktivitäten Teil des Bewertungssystems würden. Die scheinen die Player in China aber bislang zu dementieren, wie einige Blogeinträge (z.B. hier ) melden. Inzwischen hat eine parallele Diskussion um die für November angekündigte App Peeple auch die deutsche Blog-Szene erreicht und sehr kritisch kommentiert. Das sind sicher Eindrücke, vor deren Hintesgrund das Manifest entstand.

Ich habe den Eindruck, dass digitale Manifest ist stark beeinflusst vom Buch von Nick Bostrom zur Superintelligenz. Da geht es allerdings in letzter Konsequenz eher um die Welt Vernichtungsmaschine. Ich hatte das Buch von Boston bereits vor einiger Zeit gelesen. Jetzt bin ich aber über einen schönen langen Artikel des New Yorker gestoßen, der nicht nur auf das Buch, sondern insbesondere auf die Person von Bostrom und die verschiedenen Diskussionsstränge, die zu seiner Idee führten, eingeht. Intern spekuliert Bostrom darüber, ob ein wirklich intelligenter Computer so schnell so viel lernen würde, dass er die Menschheit beherrschen kann. Bostrom selbst scheint mir ein sehr ambivalenter Charakter zu sein. Auf der einen Seite verliebt in die Frage, welches Ereignis zum Weltuntergang führen könnte. Auf der anderen Seite nach eigenem Bekenntnis an Anhänger des Transhumanismus. Also jene Bewegung die den Menschen mit Hilfe technischer Mittel und Errungenschaften der modernen Wissenschaft weiter verbessern vervollkommnen möchte. Bis hin zum ewigen Leben. Eine schöne Zusammenfassung des Transhumanismus findet sich in diesem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Man sieht, die Zukunft scheidet die Geister.

Aber die finale Szene zur Doomsday-Maschine bleibt weiterhin die folgende:


 


Freitag, 13. November 2015

Bessere Politik durch Evaluation?


Gestern Abend war ich auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Bessere Politik durch Evaluation?“. Ich hatte Dir dazu ja schon die Veranstaltungseinladung geschickt.

 

Das Leitthema wurde gleich zu Beginn etwas in Frage gestellt, als der Moderator Dirk Asendorpf ins Publikum fragte, wie viele der Anwesenden Evaluatoren, wie viele Auftraggeber von Evaluationen und wie viele aus dem Bereich der Politik seien. Evaluatoren und ihre Auftraggeber verteilten sich in etwa hälftig, die Politik war praktisch nicht vertreten. Vielleicht machte das schon ein Problem deutlich (die Politik interessiert sich eigentlich nicht für Evaluation?), vielleicht lag es aber auch eher an der Frage, was überhaupt mit Politik in diesem Kontext gemeint ist. Prof. Thomas Widmer aus der Schweiz, einer der Diskutanten, brachte diese Frage gleich zu Beginn auf. Ist Politik die Verwaltung in den Ministerien, oder ist Politik nur die politische Leitung der Ministerien, ist sie die vielleicht auch nur die Parteipolitik in Person der Abgeordneten? Das ist eine durchaus relevante Frage, da davon auch die möglichen Wirkungen abhängen. Prof. Reinhard Stockmann vom Centrum für Evaluation der Universität des Saarlandes, ein weiterer Diskutant, zitierte amerikanische Studien, nach denen Evaluationen auf der Verwaltungsebene sehr wohl zu verändertem Handeln führen, während die Effekte auf der parteipolitischen Ebene praktisch gleich Null sind. Und Hr. Widmer ergänzt, dass dies auch möglicherweise sehr rational sei, da sich gute Politik durch Information, aber auch durch Ideologie und Interessen getrieben sei. Die „evidence based policy“ sei also gar nicht die perfekteste aller Welten (was er wörtlich nicht so sagte, ich aber zwischen den Zeilen raushörte).

 

Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt widmete sich der Frage, ob wir mehr Evaluationen strategischer Politikansätze und ganzer Politikfelder brauchen, und dann auch andere Institutionen, die diese strategischen Evaluationen beauftragen und durchführen können. Mit auf dem Podium saß nämlich auch Michaela Zintl, die bis vor kurzem kommissarische Direktorin des Deutschen Evaluationsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval). Dieses Institut wäre sicher besser in der Lage, solche übergreifenden Evaluierungen durchzuführen. Oder  vielleicht auch nicht? Zumindest hat das erst vor drei Jahren gegründete Institut wohl schon sehr turbulente Anfangstage hinter sich, mit einem nur kurz amtierenden Gründungsdirektor, mit einer kommissarischen Direktorin, die vom Hauptauftraggeber BMZ entsandt wurde und gestern wie gesagt auch auf dem Podium saß. Mit war diese Vorgeschichte nicht präsent gewesen (hier ein interessanter Artikel aus dem letzten  Jahr mit einem Interview des entlassenen Gründungsdirektors), gestern Abend schwang sie auf jeden Fall deutlich mit und führte zur wiederkehrenden Thematisierung des Frage nach Unabhängigkeit.

 

Ein kleines Nebengefecht entwickelte sich um das Verhältnis von Evaluation und Journalismus. Mehrere Diskutanten warfen dem Journalismus relativ plakativ vor, Evaluationsergebnisse zu verdrehen und nicht zu verstehen und so zu einer dramatisierenden Berichterstattung zu führen, die manchen Institutionen keine andere Wahl lasse als Evakuationsbericht nicht zu veröffentlichen. Von der anderen Seite wurde dagegengehalten, dass Evaluationsberichte ja häufig kaum lesbar und verständlich seien und die Zusammenfassungen in verständlicher (leichter?) Sprache dann nur noch weichgespülte Werbetexte für die Öffentlichkeitsarbeit enthielten.

 

Ein letztes Diskussionsschwerpunkt wurde durch den vierten Podiumsgast, Frau Angelika Flatz aus dem österreichischen Bundeskanzleramt, bestimmt, die das neue System der Wirkungsorientierten Haushaltsführung vertrat (hier eine Studie der Hertie School of Governance aus dem letzten Jahr zum Thema). Kurz gesagt geht es darum, für jedes Ressort verbindliche Ziele und Zielerreichungsindikatoren zu bestimmen und dies mit der Haushaltsführung (und ggf. auch der Budgetzuweisung) zu verknüpfen.  Frau Flatz war sehr enthusiastisch und pries vor allem die Veränderungen im Kopf der Beteiligten, die sich nun systematisch Gedanken machen müssen, welche Effekte sie mit ihrer Politik eigentlich erreichen wollen und welche Wirkannahmen diesem Handeln zugrunde liegen. Leider ging sie nicht wirklich auf die Frage des Moderators ein, ob ein solches Kennzahlen-basiertes Steuerungssystem nicht schnell zu einer Politik der einfachen (weil messbaren) Schritte führt. Mir sind aus Österreich im Politikfeld Innovations- und Technologiepolitik auch schon ein Reihe sehr kritischer Stimmen zu Ohren gekommen. Aber es war gestern ja kein österreichischer Abend, sondern ging vor allem um Deutschland.

 

Unterm Strich ein spannender Abend, aber ich bin eher mit Fragen als mit Antworten zum Thema „Bessere Politik durch Evaluation“ herausgekommen.

Samstag, 7. November 2015

Big Data?

Wenn sich die Qualität einer Veranstaltung an dem Grad bemisst, den sie zum Nachdenken anregt, so war ich letzte Woche auf einer wirklich interessanten Veranstaltung. Organisiert hatte sie das Alexander von Humboldt -Institut für Internet und Gesellschaft , eingeladen waren die neue Deutschland -Chefin des Google NewsLab und ein Soziologe der London School of Economics. Beide sollten über das Veranstaltungsthema Big Data sprechen, natürlich jeweils aus ihrer individuellen Perspektive und vor dem Hintergrund ihrer Tätigkeit. Und da lagen schon zwei Probleme der Veranstaltung. Beide Redner sprachen nur sehr bedingt über BIG Data, und beide hatten einander wenig zu sagen.
Die Google Frau spulte eher eine Werbepräsentation ab. Google hat ja in den letzten Monaten ein Angebote für Zeitungen bereitgestellt, um die Journalisten dort im Umgang mit Daten und Grafiken und der Visualisierung zu schulen. Wenn man auf die Website schaut, sieht das wirklich auch ganz beeindruckend aus. Aber natürlich sind auch eine Reihe von kritischen Fragen damit verbunden, zum Beispiel, ob hier ein Konzern nicht sehr viel Einfluss bekommt auf die sogenannte vierte Gewalt.
Entsprechend wurde auch nach dem Vortrag letzte Woche nachgefragt. Und Zahlen sind natürlich nicht alles, wie dieser Artikel zu Pegida zeigt. Aber Datenjournalismus führt auch zu sehr ansprechenden und informativen Ergebnissen. Wobei sie nicht unbedingt etwas mit Big Data zu tun haben, also mit wirklich großen Datenmengen und einer analytischen Auswertung. Es geht eher deskriptiv um die Beschreibung von Daten in ansprechenden Bildern. Letztlich war auch der Vortrag des Londoner Soziologen auf einer ähnlichen Ebene angesiedelt. Auch hier ging es leider nicht darum, wie sie wirklich große Datenmengen zum Beispiel aus sozialen Netzwerken durch soziologische Analysen genutzt werden können, sondern eher darum, wie man Daten schöner darstellen und damit seine Aussagen besser untermauern kann. Zumindest waren das die Beispiele, die de Herr aus London uns präsentierte.
Dass das auch anders geht, blitzt an einer Stelle der Diskussion auf. Unser britischer Gast gab zu, dass er am liebsten Zugriff auf die Daten von Tesco hätte, der britischen Einzelhandelskette, um hier auch Sozialdaten nutzen zu können. Woran sich sogleich die Nachfrage anschloss aus dem die Publikum, ob es denn ethisch zulässig sei, Daten von Unternehmen zu nutzen, deren Kunden nie eingewilligt hätten, Objekt einer soziologischen Untersuchung zu werden.
Wie fruchtbar der kontroverse Dialog zwischen Sozialwissenschaft und Datenjournalismus sein kann, zeigt dieser Bericht über eine Tagung im Herbst. Da versuchen Sozialwissenschaftler, ihren privilegierten Zugang zur Datengenerierung und Interpretation tapfer zu verteidigen, während Journalisten die neuen Möglichkeiten nutzen, um selbst zu einer quasi sozialwissenschaftlichen Rolle zu kommen. Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Nichtwissenschaft verschwimmen.
Sei's drum, mich hat die Veranstaltung angeregt. Und Datenjournalismus finde ich eh super. Tollen Datenjournalismus und interaktive Graphiken bietet z. B. die Berliner Morgenpost mit ihrem interaktiven Team. Sonst nicht meine Zeitung, aber das machen sie gut.

P.S. Hier ganz  neu ein Artikel der Veranstalter zur soziologischen Seite des ganzen

Donnerstag, 5. November 2015

Ist Gründen ansteckend?

Ist Gründen ansteckend? Das fragen zwei Autoren in diesem Artikel. Sie stützen sich auf Erkenntnisse, die sie bei der Untersuchung der Gründerlandschaften in Mexico City, Buenos Aires und Istanbul gesammelt haben. Und sie gehen an die Daten mit einem netzwerkanalytischen Ansatz heran. Sie behaupten, dass immer dann, wenn einige wenige Gründer erfolgreich an einem Standort herangewachsen sind, weitere Gründen folgen, weil sie von deren Know-how und finanziellen Ressourcen profitieren. Das ist zunächst einmal nicht wirklich neu. Klar, erfolgreiche Gründer werden nicht selten zu VC-Investoren und finanzieren so neue Gründer. Und neue Gründer profitieren von Erfahrungswissen der alten Gründer, denen sie über Stammtische, Netzwerke, Mentoring-Programme, Startup-Verbände und vieles mehr verbunden sind. Nicht umsonst wird im genannten Artikel von einem Ökosystem gesprochen, ein Begriff, der auch in der sonstigen Gründerforschungsliteratur immer wieder verwendet wird.

Interessant finde ich den Artikel, weil er auf die persönliche eins-zu-eins-Beziehung zwischen individuellen Gründern hinweist. Es sind persönliche Beziehungsnetzwerke, die hier zum Tragen kommen, nicht Netzwerke zwischen Institutionen oder Firmen. Und das ist ein Aspekt, der mir in der Innovationsforschung noch zu selten analysiert wird. Die Weitergabe von Wissen, Erfahrung und Erkenntnissen läuft halt in der Regel über Köpfe, und zwar über einzelne Köpfe. Es sind Menschen, die ihr Wissen mitnehmen, wenn sie von einem Unternehmen zum nächsten wandern, oder aus einer Forschungseinrichtung in ein Unternehmen.

Bei der Evaluation von Innovationsförderprogrammen zum Beispiel wird dieser Aspekt praktisch nie untersucht. Das hat ganz forschungspraktische Gründe. Datenschutzrechtlich ist es schwierig, auf der Einzelpersonen -Ebene zu untersuchen, weil z.B. Adressen selten weitergegeben werden können und dürfen, wenn Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen. Stattdessen werden Kooperationsstrukturen zwischen einzelnen Institutionen untersucht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Der wesentliche spill over passiert über Köpfe, da bin ich mir ziemlich sicher.

Ach ja, wenn wir gerade bei Gründern, beim zwischenmenschlichen Miteinander und bei Ökosystemen sind. Kennen Sie den Kaffeekultur-Indikator? Im August schrieb Gründerszene über einen neuen Indikator, nachdem sich an der Kaffeekultur eine Hightech Metropole erkennen lässt. In den Index fliessen Verfügbarkeit, Qualität und Popularität von Cafes ein. Nach dem Motto Doppelpunkt je mehr Raum für ein nettes Miteinander der Gründer im lauschigen Kaffees ist, desto stärker prosperiert die Gründermetropole. Nach diesem Index liegt Berlin übrigens auch ganz vorne.

Wobei mir die Kausalität noch nicht ganz klar ist. Führt nun die Kaffeehauskultur zu einem erfolgreicheren Gründerstandort, oder zieht der Gründerstandort die entsprechende Kaffeehauskultur nach sich? Auf jeden Fall scheinen Kaffeehäuser echte Ansteckungsherde für Gründer zu sein. Also Vorsicht beim nächsten Kaffee.

Sonntag, 1. November 2015

Experimental design und Evaluation

Vor gut zwei Wochen war ich auf einem Fachgespräch eingeladen, um ein Statement zum Thema Experimente Design aus Sicht der Evaluation zu geben. Als Hauptreferent eingeladen war Albert Bravo-Biosca von NESTA, einem britischen think tank zum Thema Innovationspolitik. Er arbeitet gleichzeitig beim Innovation Growth Lab, einer kleinen Agentur, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Thema Experimente Design in die Welt zu tragen. Als dritter Gast war eine Wirtschaftsprofessorin aus München zugegen, deren Arbeitsschwerpunkt ebenfalls im Bereich der Innovationspolitik liegt und die sich als Mitglied diverser Beratungsgremien schon des öfteren für neue methodische Ansätze der Evaluation, insbesondere auch Experimental Design eingesetzt hatte.

Hinter Experimente Design verbirgt sich die Idee, ein und dasselbe politische Ziel mit unterschiedlichen Methoden anzustreben, also sozusagen auszuprobieren, auf welchem Weg man am besten, schnellsten und billigsten ans Ziel kommt. Und gleichzeitig gehört zu Experimente Design auch, dieses unterschiedliche Vorgehen quasi wissenschaftlich zu begleiten und zu analysieren, um zu messen, wo die höchste Wirkung mit erzielt wird.

Experimente Design wird insbesondere im Bereich der Entwicklungspolitik immer häufiger eingesetzt, um methodische wasserdicht zu zeigen, das Hilfe wirkt. Häufig werden auch wie in der medizinischen Forschung Kontrollgruppen geschaffen, denen eine andere oder keine entsprechende Maßnahme zuteil wird. Diese Kontrollgruppe wird zufällig ausgewählt, da heißt das Verfahren randomized controlled trial. Bekannt sind z.B. die Ansätze von Esther Duflo.

In der Innovationspolitik gibt es für randomized controlled trials oder Experimental Design Ansätze in Deutschland keine Beispiele. Deswegen hatte ja eines der innovationspolitisch verantwortlichen Ministerien zu diesem Fachgespräch eingeladen. Herr Bravo-Biosca schilderte eindrücklich, wie viele gute Beispiele es weltweit schon gebe und wie hilfreich ein solcher Ansatz sei.

Gleichwohl gibt es auch eine ganze Reihe von Faktoren dafür, dass dies bislang noch nicht umgesetzt wird. Zum Beispiel ist die Förderkultur hierzulande auf die Auswahl von Erfolgreichen, von Gewinnern ausgelegt. Hierfür wird der ganze Aufwand getrieben, Experten zur Bewertung von Förderanträgen zu finden, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu prüfen und Verwertungspläne auszuwerten. Kurzfristig in Kauf zu nehmen, dass man die Falschen auswählt, nur um mittelfristig ein besseres Förderinstrument zu erhalten, ist hier eher unwahrscheinlich.

Zweitens wird es nicht leicht sein, die Unterschiede bei einer abweichenden Verriegelung auf die Wirkung des Programms überhaupt zu messen. Evaluation sind hierzulande sehr früh angesetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem man echte Wirkungen kaum messen, sondern nur antizipieren kann.

Gleichwohl ist es ein faszinierender Ansatz, und wenn Förderpolitik neu gedacht würde, könnte ich mir Experimental Design in der Evaluationspraxis gut vorstellen. Vermutlich muss die Risikobereitschaft der Fördergeber auf kurz oder lang sowieso überdacht werden, um risikohaftere, disruptive Innovationen zu fördern.

Innovatives Hören

Thema des diesjährigen Wissenschaftsjahres war die Zukunftsstadt. Ich finde das Thema spannend und habe deshalb auch einige der Aktionen, die im Rahmen des Wissenschaftsjahres geplant waren, mitverfolgt.

Eigentlich ist das ja ein Thema, das extrem zum Mitmachen einlädt. So wahnsinnig viele Mitmach-Aktionen sind mir aber nicht aufgefallen. Man konnte mit Minecraft seine Stadt der Zukunft bauen. Das war eine Aktion, die sich eher an Jugendliche gerichtet hat. Man konnte auch Stadttöne aufnehmen und hochladen. Das war die Aktion Stadt Klang.

Ich dachte toll, endlich mal was, wo ich mich einbringen kann, und habe schnell ein Soundfile erstellt und hochgeladen. Dann habe ich mir die Website genauer angeschaut und auf andere Klänge geklickt, um sie mir anzuhören. Ganz Deutschland, oder vielmehr die großen Städte Deutschlands waren hier mit vielen vielen Klangbeispielen vertreten. Letztlich war es aber doch alles ziemlich ähnlich: Vögelgezwitscher (hatte ich selbst auch aufgenommen), Menschen, die sich unterhalten, Straßengeräusche, und in ländlichen Gebieten noch ein bisschen mehr Naturgeräusche. Wozu das alles aufgenommen wird, war mir nicht ganz ersichtlich. Die Text- und Video-Beiträge auf der Seite erläuterten eher alle möglichen anderen Themen zum Thema Lärm beziehungsweise Klang in der Stadt.

Ich hatte mir mehr erwartet. Irgendwelche soziologischen oder ökologischen Studien. Ich hatte nämlich gerade ein Buch gelesen, was mich sehr fasziniert hatte. Das große Orchester der Tiere von Bernie Krause. Krauses Idee ist es, dass man die Intaktheit eines Ökosystems anhand seine Klänge und Töne messen kann, da die Tiere sich alle in akustische Nischen eingerichtet haben. Und das hat er toll geschrieben, mit vielen Hörbeispielen und vielen persönlichen Erlebnissen. Aufmerksam geworden auf das Buch bin ich unter anderem über ein Radiofeature des Deutschlandfunk dazu. Das lohnt sich fast ebenso wie das Buch selbst, ist aber im Archiv nicht mehr zu finden. Stattdessen hier der Link auf einen ähnlichen Beitrag des SWR.

Und heute wird Krauses Ansatz auch von Zoologen in Deutschland ausprobiert, so zum Beispiel von der Uni Freiburg. Ein anderes soundscape Projekt will gleich die Klänge der ganzen Erde aufnehmen und ruft zum Mitmachen auf. Dagegen sind die Stadtklänge des Wissenschaftsjahres noch von bescheidenem Anspruch. Insgesamt tummeln sich da wohl einige Projekte. Auch die Universität Salford nimmt Klänge der ganzen Welt auf.

Aber natürlich geht es in diesen Projekten eher um ökologische Fragen und weniger um die Zukunft der Städte. Hier stehen vermutlich wirklich eher Fragen des Lärmschutzes und der klanglichen Stadtgestaltung im Vordergrund.

Und spannend wäre natürlich auch ein historischer Ansatz. Zu hören, wie sich die Klänge der Stadt im Zeitverlauf geändert haben. Wie die Stadt vor 20 Jahren klang. Und wie sie vielleicht in 20 Jahren klingen wird. Wenn zum Beispiel Elektroautos für leisen Straßenverkehr sorgen und die Klingel der vielen Fahrräder dafür den Klangraum bestimmen.

P.S. kleines Update mit toller Radioreportage des Tagesspiegel vom Dezember