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Montag, 27. Juni 2016

Brexit und Wissenschaft

Jetzt ist es also passiert. Eine knappe Mehrheit der Briten hat sich für den brexit entschieden. Eine sehr weitreichende Entscheidung für die Zukunft aus sehr rückwärtsgewandten Motiven heraus. Eine Katastrophe für Großbritannien und für Europa.
Ziemlich eindeutig gegen den brexit und ziemlich deutlich entsetzt waren unter anderem Wissenschaftler auf der Insel (auch wenn es auch in dieser Community auch positive Stimmen gab). Aus ihrer Sicht profitiert Wissenschaft von internationalem Austausch und insbesondere vom europäischen Austausch in enormen Ausmaße. Der brexit trifft die Attraktivität des Wissenschaftssystems ebenso wie er die Chancen auf Austausch in gemeinsamen Projekten verringert.
Die Schweiz hat gerade erfahren, welche Probleme sich für das Wissenschaftssystem ergeben, wenn eine Bevölkerung in einem Referendum die Bande zu Europa lockert. Akzeptiert die Schweiz nicht die Freizügigkeit für das EU-Neumitglied Kroatien, so werden Schweizer Forscher in Zukunft nicht mehr am Forschungsrahmenprogramm teilnehmen können. Und war nicht gerade die Freizügigkeit eines der großen britischen Probleme?
Wenn auch die Überstürzung auf dem Kontinent allgemein sehr groß ist, so beginnen sich doch auch einige potentielle Krisengewinnler mehr oder minder heimlich die Hände zu reiben. Profitiert der Bankenplatz Frankfurt vom Abstieg des Bankenplatzes London? Wird Berlin zur Fintech-Metropole Europas? Wird die deutsche Gründerszene vielleicht ganz allgemein profitieren?
Vielleicht ist ja dieser ganze neumodische Technikkram überhaupt erst Schuld am brexit. Eine leicht verschwörungstheoretisch angehauchte Studie zumindest beschreibt, wie die Argumente für einen Ausstieg Großbritanniens in den sozialen Medien in den letzten Wochen dominierten, und das nicht wegen der menschlichen Kommentare, sondern wegen der bots. Bereits im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gab es ja den Vorwurf, dass soziale Medien wie Facebook die politische Diskussion und potentiell damit auch das Wahlverhalten massiv beeinflussen könnten.
Vielleicht ist das Ergebnis des brexit-Referendums aber auch eine Verschwörung der Alten gegen die Jungen. Wie soll da noch zukunftsgewandte Politik gemacht werden? Einen gewagten Vergleich sieht angesichts dieser Diskussion Tyler Cowen  in seinem regelmäßigen Block und verweist auf eine in den letzten Tagen veröffentlichte Studie zum Verhalten unsere nächsten Verwandten.

Update: hier ist ein live blog von Science Business zum Thema brexit, science and technology

Samstag, 18. Juni 2016

Mittelschicht, Mittelstand und andere Mythen

Neben Gemeinplätzen wie deutscher Gemütlichkeit oder dem deutschen Wald nimmt die deutsche Mittelschicht einen herausragenden Platz im Selbstverständnis dieser Nation ein. Gestern las ich in einem Feuilleton-Artikel der Süddeutschen Zeitung (hier, allerdings hinter der Bezahlschranke) eine erfrischende Dekonstruktion dieses Mythos.

Der Soziologe Stephan Lessenich skizzierte im Interview, wie gemütlich sich die Mittelschicht seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts im deutschen Sozialstaat eingenistet hat und diese Position durch Abschließungstendenzen gegenüber anderen sozialen Milieus verteidigt. Die Mittelschicht ist wirtschaftlich privilegiert, und sie nimmt für sich politisch in Anspruch, die Leitlinien der deutschen Politik wesentlich zu gestalten.

Ängste um die Auflösung der Mittelschicht hält Lessenich im Wesentlichen für eine Fantasie. Die Mittelschicht habe seit fast 70 Jahren die Erfahrung gemacht, dass es immer bergauf gehe, dass ihnen das Wirtschaftswachstum der Republik zugutekomme, sie ihren Wohlstand auch an ihre Kinder und Enkel vererben können und dass sie das gesellschaftliche und politische Leben dominieren.

Nun droht angesichts säkulare Stagnation ein Ende dieses Dauerwachstums, und der technologische Fortschritt schafft neue Unübersichtlichkeiten und schwer planbare Karrierepfade für die Kinder, die neuen Reichen der digitalen Revolution machen zudem den Mittelstand den Thron als Regent dieser Gesellschaft streitig.

Ein vergleichbarer Mythos wie die deutsche Mittelschicht ist meiner Meinung nach der deutsche Mittelstand. Stütze der Wirtschaft und Garant für Wachstum und Wohlstand, ist er sicher der meistgenannte Akteur des deutschen Wirtschaftsystems.

Im Vergleich zu KMU anderer Länder soll er besonders innovativ sein. Im Vergleich zu Großunternehmen soll er besonders flexibel und agil sein. Natürlich setzt er nicht auf Shareholder-Value, sondern denkt langfristig und strategisch. Und schließlich kümmert er sich fürsorglich um seine Mitarbeiter.

Das alles trifft aber letztlich bloß für einem kleinen Teil dieser heterogenen Gruppe der Unternehmen zu. Die sogenannten hidden champions zum Beispiel sind tatsächlich besonders innovativ und erfolgreich. Im Mittelstand insgesamt geht die Innovationsleistung seit vielen Jahren zurück, und es dominieren im deutschen Innovationssystem eigentlich die große Unternehmen. Ob der deutsche Mittelstand tatsächlich so flexibel und anpassungsfähig ist, daran lassen die besorgniserregenden Berichte um die Unfähigkeit, den Trend Digitalisierung schnell und effizient umzusetzen, doch ein wenig zweifeln.

Mit der Mittelschicht gemeinsam hat der Mittelstand die erfolgreiche Strategie der Abschließung gegenüber anderen Gruppen. Die aktuelle Diskussion um die Erbschaftsteuer macht dies noch einmal deutlich. Auch im Forschungsförderungssystem der Bundesrepublik hat es der Mittelstand geschafft, sich als einzig wahrer Fördermittelempfänger zu stilisieren. Zwar gehen auch Fördermittel an Großunternehmen, das schlechte Gewissen ist aber gar groß dabei.

Klar, eine starke Mittelschicht und ein starke Mittelstand klingt gut, aber ein wenig Skepsis gegenüber einer ausufernden Idealisierung dieser sozialen Konstruktionen ist schon angebracht.

Donnerstag, 9. Juni 2016

Schmetterlingseffek

Gestern hat mir meine Tochter ein Video über Wölfe im Yellowstone Nationalpark gezeigt. Es geht darum, wie die Wiederansiedlung von Wölfen das gesamte Ökosystem verändert hat. Hirsche haben ihr Verhalten verändert, Bäume sind nun gewachsen, wo sie bislang von diesem Hirschen klein gehalten wurden, und sogar Flüsse haben ihren Lauf verändert.

Ähnliche Effekte kann man manchmal auch im Bereich der Innovationspolitik beobachten. So zeigt dieser Artikel, dass das Auftauchen von Uber erhebliche Effekte auf die Gründungsintensität in einer Region haben kann. Insgesamt nimmt die Gründungsintensität ab, dies betrifft dabei insbesondere solche Unternehmen, die vermutlich eher zum Scheitern verurteilt gewesen wären.

Spannend ist auch folgender Zusammenhang, der nicht sofort ersichtlich ist. Im Moment gibt es in Deutschland ja eine intensive Diskussionen um die Übernahme des Roboterherstellers KUKA durch einen chinesischen Investor.  Ich hatte  darauf auch schon in einem letzten Blog  Bezug genommen. Warum die Chinesen gerade an KUKA so stark interessiert sind,  kann vielleicht  der folgende Bericht  verdeutlichen, indem von einer Roboter-Blase geschrieben wird, die in China seltsame Blüten getrieben hat. Da ist das Investment in deutsche High-Tech vielleicht ein sicherer Weg, um an die begehrte Hochtechnologie zu kommen.

Das ist ja schon fast der Sack Reis, der in China umfällt ... Oder doch der Schmetterlingsflügel ....

Samstag, 4. Juni 2016

Realität und Illusion

Angeblich ist ja der Krieg der Vater aller Dinge (ob eine fortress economy nur Vorteile bringt, darüber lässt sich wohl streiten, wie auch dieser Artikel des Economist zu Israel zeigt ). Die Mutter vieler neuer Dinge ist aber meiner Ansicht nach das Spiel. Für ein bisschen Textverarbeitung hat die Chipindustrie nicht die immer neuen hochleistungs Chips entwickelt, die wir in Handys und Computern finden. Im Moment werden insbesondere neue Handygeneration weiter aufgerüstet, um einen ganz neuen spielerischen Erlebnis die technische Grundlage zu schaffen: der Virtual Reality, der Milliardenmärkte vorausgesagt werden. Im Moment blüht die virtuelle Realität ja in einem Hochpreissegment ebenso wie in einer low budget Variante auf.

Dieser zweiten Form habe ich mich seit Weihnachten mit dem Erwerb eines Google cardboard vorsichtig genähert. Es gibt ja mittlerweile wirklich tolle Beispiele für gelungene 3D Filme: noch von den Jahrmärkten meiner Kindheit kenne ich die groß Projektionen auf halbrunde Leinwände, in denen man zum Beispiel Achterbahn vor. Das geht jetzt auch mit Brett beziehungsweise Handy vorm Kopf. Etwas seriöser sind Reportagen, wie sie zum Beispiel die New York Times veröffentlicht und dabei gleich jedem Leser einen Google cardboard mitgeschickt hat. Neuerdings hat der  Economist eine virtuelle Rekonstruktion der antiken Kunstschätze aus Mossul ins Netz gestellt. Und mit ARTE kann man in 3D ins Wasser tauchen oder die Marmorberge von Carrara besuchen.

Interessanterweise wird nicht nur die virtuelle Realität immer realer, nein, auch die reale Realität (kann man das so sagen?) wird immer virtueller. Ich saß letztens zum ersten Mal hinter dem Steuer eines Elektroautos. Grundsätzlich sehr beeindruckend, aber etwas seltsam fand ich schon, das ist keine oder kaum haptische oder akustische Rückkopplungen gibt. Das Lenkrad vibriert nicht, insgesamt ist das Auto so ruhig, als wenn ich mich in einem Film befinden würde. Irgendwann wird es mir schwer fallen, noch zwischen virtueller Realität und echter zu unterscheiden. In diesem Sinne hat vielleicht auch Egon Musk recht, der kürzlich spekulierte, wir wären alle schon in der Matrix.

Alles Instant also. Vielleicht werde ich doch zum Steam Punker.