Seiten

Donnerstag, 21. Mai 2020

Innovationspolitik und COVID 19 IV: Was hat Westworld mit Corona zu tun?

Um auch das gleich vorweg zu nehmen, wahrscheinlich ziemlich wenig. Manchmal sieht man aber doch die unwahrscheinlichsten Verbindungslinien, wenn zwei Dinge zeitgleich passieren. 

Westworld
Ich habe mir die letzten Wochen die dritte Staffel von Westworld angeschaut, der wirklich abgefahrenen Verfilmung eines Science Fiction Klassikers von Michael Crichton aus dem Jahr 1973, dessen erste Verfilmung mit Yul Brynner schon legendär war. Die aktuelle Neuverfilmung nimmt zunächst den ursprünglichen Plot auf. In einem Freizeitpark leben Roboter, die wie echte Menschen wirken und dort um des Freizeitspaßes willen von Gästen missbraucht und misshandelt werden. Die Roboter entwickeln Bewusstsein und lehnen sich gegen die menschlichen Besucher auf. Dann aber wird die ursprüngliche Story weiterentwickelt. Im Laufe der Staffeln zeigt sich, dass der Freizeitpark eigentlich dazu dient, die menschlichen Besucher in ihrem Verhalten zu durchleuchten und digital zu erfassen, um die notwendigen Daten für digitale Kopien und damit letztlich die Unsterblichkeit zu bekommen. In einem weiteren Handlungsstrang wird eine künstliche Intelligenz vorgestellt, die die menschliche Gesellschaft perfekt simuliert und damit die Manipulation der Gesellschaft erlaubt. Nach Aussage der Erfinder dieser KI natürlich nur, um eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Die ganze Serie durchzieht die philosophische Frage, ob es ein Bewusstsein für Maschinen gibt, ob der Mensch selbst einen freien Willen besitzt und ob Gesellschaften steuerbar sind. 

Modellierung
Zumindest die letzte Frage hat durchaus einen aktuellen Bezug. Schließlich geht es gerade ziemlich intensiv darum, ob wir das Verhalten von Gesellschaften steuern können, nämlich in dem Sinne, dass die Ausbreitung einer gefährlichen Pandemie gestoppt werden kann.

Grundlage vieler dieser Steuerungsversuche sind sogenannte Modellierungen, also der Versuch die Ausbreitung der Pandemie, das Verhalten der Bevölkerung, und die Wirkung politischer Maßnahmen im Computer zu simulieren, und besser abschätzen zu können, welche Maßnahmen zu welchem Erfolg führen können. Besonders schön erklärt ist die Idee der Modellrechnung auf dieser interaktiven Website. Ebenfalls sehr anschaulich ist das agentenbasierte Modell der Universität Hohenheim, dass man auf dieser Webseite ebenfalls spielerisch erfahren kann.

Eine ganze Reihe dieser Modellrechnungen hat es auch in die breite Mediedöffentlichkeit geschafft . Dazu gehört zu Beispiele eine Studie des Imperial College in London, die maßgeblich zum Politikwechsel der britischen und amerikanischen Regierung beigetragen hat. Oder auch Modellrechnungen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland, die ein nur schrittweise Hochfahren aus dem Lockdown präferieren. Oder letzte Woche dann eine Studie, die epidemiologische Modellierungen und wirtschaftswissenschaftlichen Modellierung zusammenführt. Clou dieser Studie ist es zu zeigen, dass der immer wieder postulierte Gegensatz zwischen Epidemiologie und Wirtschaftswissenschaft keine solcher ist, sondern dass sich diese beiden Perspektiven gegenseitig bedingen.

Besonders spannend finde ich zwei zentrale Herausforderungen solche Modellrechnungen. Einmal ist es die Verfügbarkeit der richtigen Daten. Zum anderen ist es eine hinreichende Komplexität des Modells selber, um das epidemiologisch-gesellschaftlich-politischen System hinreichend zu schreiben.

Datenverfügbarkeit
Wer ein aufmerksamer Abonnent des Christian-Drosten-Podcast zum Coronavirus ist, hat in den letzten Wochen erfahren, dass praktisch täglich neue Studien publiziert werden, die mit aktuellen Daten unsere Erkenntnisse zum Virus und seiner Ausbreitung vertiefen. Für die richtige Modellierung des Ausbreitungsgeschehens ist es natürlich zentral, zu wissen, ob z.B. Kinder nun besonders infektiös sind und wie lange die Inkubationszeit beträgt bzw. wie viele asymptomatische Infizierte es eigentlich gibt. 

Für eine Modellierung der Wirkung politischer Steuerungsentscheidungen wie einem Kontaktverbot, der Pflicht, Masken zu tragen oder ähnlichen Auflagen ist es mindestens genauso wichtig zu wissen, wie sich die Bevölkerung eigentlich verhält. Auch hier wird mittlerweile quasi in Echtzeit gemessen, eine ganze Reihe von laufenden Studien, Datensätzen der Telefonanbieter, Google-Suchanfragen oder sonstiger Daten werden zusammengeführt und zeigen, wie sich unsere Gesellschaften in ihrem Verhalten verändern. Dabei zeigt sich z.B., dass das sogenannte social distancing schon deutlich vor den offiziellen Kontaktverboten eingesetzt hat. Ebenso zeigt sich, dass hier mittlerweile ein kontinuierlicher Anstieg der Aktivitäten eingesetzt habt, der nun wiederum insbesondere von Epidemiologen mit Sorge beobachtet wird. 

Und natürlich ist für eine Einschätzung der Steuerungswirkung auch die Information wichtig, wie hoch eigentlich die Akzeptanz in der Bevölkerung ist. Auch hierzu gibt es gleich mehrere Studien, die dies relativ engmaschig begleiten und zeigen, dass noch eine hohe Akzeptanz gegeben ist, diese aber auch Stück für Stück schwindet.

Ein anderer Ansatz verfolgt die Idee, dass wir alle fast automatisch zu Daten-Spendern werden. Die Tracking-App, die eine Nachverfolgung der Corona-Infektionen erleichtern soll und über die immer wieder heftig diskutiert wurde, sollte zunächst auch für eine epidemiologische Verfolgung der Krankheitsausbreitung genutzt werden. Mittlerweile hat man sich in Deutschland auf ein dezentrales System geeinigt, mit dem das nicht funktioniert. Parallel dazu hat aber das Robert-Koch-Institut eine weitere sogenannte Datenspende-App veröffentlicht, mit der jeder seine Fitnessarmband-Daten spenden kann. Vor ein paar Jahren, als der Siegeszug der fitness-tracker begann, gab es eine heftige Diskussion darum, ob Krankenkassen diese Daten nutzen könnten, um ihr Tarifsystem anzupassen und gesundheitsbewusstes Verhalten zu belohnen. Mittlerweile hat sogar Generali, die einzige Versicherung, die ernsthaft mit so einem Gedanken spiegelte, alle Pläne begraben. Auch, weil das mit der Datennutzung rein technisch gar nicht funktioniert. Spannend aber, wenn für den Gesundheitsschutz der ganzen Bevölkerung diese Daten wieder relevant werden.

Wer möchte, kann auch bei einer ganzen Reihe bürgerwissenschaftlicher Projekte  mitwirken, Corona-Tagebücher schreiben, an Befragungen teilnehmen oder in anderer Form die Wissenschaft mit seinen persönlichen Daten bereichern.

Mit Voranschreiten der Krise und der wirtschaftlichen Folgen nimmt das Interesse zu, die volkswirtschaftlichen Konsequenzen hinreichend abschätzen zu können. Auch hier ist eine zentrale Voraussetzung, möglichst schnell an verlässliche Daten und Indikatoren zu kommen. Enige Wirtschaftsforschungsinstitute haben entsprechende Daten-Dashboards ins Netz gestellt, um zumindest annäherungsweise zu verstehen was ganz aktuell in der Wirtschaft passiert und welche Reaktionen nun notwendig sind. Andere Forschungsprojekte nutzen Google Trends als Indikator für volkswirtschaftliche Veränderungen. Und beim ZEW läuft eine Untersuchung, die per Webcrawling auf der Auswertung von Firmen-Webseiten beruht und verfolgt, wie stark die Corona Pandemie auf diesen Web-Sites präsent ist. Unsere skandinavischen Nachbarn schließlich sind mal wieder ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Datensätze zusammenzuführen und innovative Indikatoren zu entwickeln.

Komplexität
Daten, Daten, Daten! Ist es nicht verrückt, was plötzlich möglich ist? Vor ein paar Monaten noch wurde mit einem fast wohligen Schauder des Entsetzens nach China geschaut. Social Scoring, Gesichtserkennung, genetische Datenbanken, der digitalisierte orwellsche Überwachungsstaat des 21. Jahrhunderts. Mit Corona schien dieser digitale Überwachungsapparat auf einmal sehr effizient und effektiv, aber weiterhin nichts für aufgeklärte westliche Demokratischen. Und heute ist die Sensibilität zwar immer noch sehr groß (siehe Tracking-App), gleichwohl ist eine digitale Erfassung der Bevölkerung, ihres Verhaltens und ihrer Steuerung nicht mehr automatisch des Teufels. 

Vermutlich hat der Münchner Soziologe Armin Nassehi Recht mit seiner These, dass die digitale Orientierung der modernen Gesellschaft viel älter ist als die aktuelle Digitalisierungswelle. Und die kulturskeptischen Abhandlungen zum metrischen Wir oder zu einer Gesellschaft der Singularitäten übersehen wichtige Funktionen des Digitalen in der Moderne.

Es gibt auch Autoren, für die die Modellierungen unterschiedlichster Teilsysteme bereits seit langem etabliert sind und der Anspruch einer systematischen Modellierung der gesamten Gesellschaft die Voraussetzung, um Herausforderungen wie den Klimawandel überhaupt in den Griff zu bekommen. Denn auch hier wird es ohne ein verändertes gesellschaftliches Verhalten nicht gehen. 

Vielleicht ist das aber auch nur ein schöner Traum, Größenwahn oder Allmachtsphantasie. 2012 scheiterte ein Antrag auf europäische Förderungen einer Gesellschaftssimulation, die Finanzkrisen und Kriege voraussehen sollte. Einer der Antragsteller, Dirk Helbing, wurde später zu einem großen Mahner vor den Gefahren solcher Ansätze. Bislang haben wir noch keine solche Simulation gesehen, und ehrlich gesagt scheint die ganze Welt ziemlich überrascht vom unvorhersehbaren Lauf der Dinge (Finanzkrise, Coronavirus...) zu sein, die richtigen Prognosen scheint es also auch noch nicht zu geben.

Und auch in China mit seinem Social Credit System läuft nicht alles perfekt. Es gibt durchaus Experten, die das System als weniger ausgefeilt und wirkmächtig halten. Auch zur Überwachung der Regeln in Corona-Krisenzeiten kommen dabei zum Teil ganz altmodische Methoden zum Einsatz, die dann auch nur manchmal wie geplant funktionieren, wie die Reporterin der Zeit in dieser Reportage schildert.

Schluss
Zum Abschluss noch als Hörtipp der Link auf ein wunderbares, trauriges Feature des Deutschlandfunk zu gescheiterten Versuch im Chile Allendes, ein kybernetisches Modell der Wirtschaft für eine endlich funktionierende Planwirtschaft zu entwickeln...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen