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Samstag, 11. März 2017

Schostakowitsch und das Zeitalter des Postfaktischen

Gerade lese ich das neue Buch von Julian Barnes ("Der Lärm der Zeit") über Schostakowitsch und den Stalinismus. Ich finde es faszinierend und erschreckend, wie ein totalitäres Regime tatsächlich totalitär, also alle Lebensbereiche umfassend bestimmt. Ich hatte schon vor einigen Jahren eine Biografie über Schostakowitsch gelesen und zwar "Stalin und Schostakowitsch" von Solomon Wolkow. Ich konnte es damals kaum fassen, dass Musik, eine der abstraktesten Ausdrucksformen, so politische sein soll, dass sie Menschen das Leben kostet. Bei der Lektüre von Barnes überkam mich nun die Analogie zur aktuellen Diskussion um die Wissenschaft, die auch unerwarteterweise ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung geraten ist.

Klar ist mir soweit, dass Musik ein höchst identitätsstiftendes, soziale Gruppen integrierendes (bzw. auch ausgrenzendes) Moment hat, das manche Gruppen erst definiert, wie ein kurzer Blick auf Jugendkulturen zeigt. Rocker, Teds oder Punks sind ja quasi synonym zu ihrer Musik. Und vor 50 Jahren oder noch weiter zurück war eben die Klassik eine ähnlich identitätsstiftende Musikgattung. Vor 2-3 Jahren war ich in einer szenischen Aufführungdes sogenannten Watschenkonzerts, in dem das Wiener Bürgertum Arnold Schönberg und seinen Schülern ziemlich deutlich zeigte, wo der Hammer hängt. Ein echter gesellschaftlicher Skandal. Gleichzeitig bleibt Musik abstrakt. Eine Sinfonie ist eine Sinfonie, und kein Buch über ein Thema. Ich kann lautmalerisch Regen darstellen, oder spielende Katzen, der Karneval der Tiere malt gleich eine ganze Menagerie. Aber politische Statements drücken Musik doch eigentlich nicht aus. Oder?

Zurück zu Schostakowitsch. Beim Lesen des erwähnten Buchs musste ich an die aktuelle Diskussion um die Rolle von Wissenschaft denken. Wissenschaft, die auch für sich in Anspruch nimmt, unpolitisch zu sein, weil sie sich ja mit objektiven Fakten beschäftigt. Da mögen die Sozialwissenschaften politischen Lagern sehr nahe sein, aber wenigstens die Naturwissenschaften sind doch Politik frei, oder? Stattdessen das Entsetzen der Wissenschaft, plötzlich auf eine vermeintlich breite gesellschaftliche Ablehnung zu stoßen und von Politikern wie der aktuellen amerikanischen Regierung - zumindest in der eigenen Wahrnehmung - schikaniert und degradiert zu werden.

Bevor ich aber zum Zeitalter des Postfaktischen komme, muss ich doch noch einmal zurückgehen in die Zeit des Stalinismus. Nicht nur Schostakowitsch lit an dem totalitären Anspruch der sozialistischen Regierung, auch die Wissenschaft musste sich der absoluten Deutungshoheit des Staates beugen, wie die abstruse Geschichte des Lyssenkoismus zeigt.

Sicher hinkt der Vergleich ziemlich, aber bis zu einem gewissen Grad kommen sich heutige amerikanische Wissenschaftler ähnlich vor, wenn der Klimawandel geleugnet wird, um handfesten wirtschaftlichen Interessen zu entsprechen. Oder wenn der Kreationismus fröhliche Urstände feiert. Allerdings hat sich mittlerweile Widerstand formiert, der March of Science wird zeigen, wie breit dieser Widerstand mittlerweile ist. Im Deutschlandfunk gab es gerade eine interessante Sendung darüber, wie sich  die Wissenschaft gegen das Postfaktische wehrt.

Hinter dieser Schale von Interessen und Intrigen, die in der Sowjetunion der 40er Jahre nicht anders war als im Amerika der 2010er Jahre, liegt aber eine zweite Schicht, bei der es stärker um soziale Identifikationen geht, und hier liegt für mich die Analogie zum Drama um Schostakowitsch.

So wie diesem seiner Nähe zum intellektuellen Bürgertum fast zum Verhängnis wurde, die aus seinem musikalischen Werk sprach, so leidet die Wissenschaft heute daran, das sie von gewissen sozialen Schichten als Komplize der Macht wahrgenommen wird. Populistische Kräfte unterstellen der Wissenschaft, nur Erfüllungsgehilfe der aktuell Herrschenden zu sein. Und wenn man diese bekämpfen möchte, so muss man halt auch den Deutungsanspruch der Wissenschaft in Frage stellen. Aus einer ähnlichen Quelle speist sich die Ablehnung gegenüber der europäischen Politik, die pauschal als technokratisch verdammt wird. Oder das Unbehagen gegenüber der Bundesregierung, wenn sie bestimmte Entscheidungen (Griechenland ...) als alternativlos bezeichnet. Kann eine rationale, evidenzbasierte Politik, die sich auf wissenschaftliche Politikberatung stützt, falsch sein? Kann die Wissenschaft zum Komplizen einer herrschenden Elite werden?

Nein, ich halte das für ein Zerrbild, das seinerseits instrumentalisiert wird von den Lautsprechern eines Populismus, die selbst nur ihren Weg an die Macht finden wollen. Aber es ist höchst gefährlich, wenn so wissenschaftliche Erkenntnis negiert wird und Entscheidungen objektiv falsch getroffen werden. Wenn die Politik sich davon verabschiedet, etwas gegen den Klimawandel zu machen. Da ist möglicherweise ziviler Widerstand gefragt. Und die ersten Whistleblower aus der Wissenschaft sind ja schon aktiv, um weiterhin Klimadaten an die Öffentlichkeit weiterzugeben.

Zuletzt aber noch etwas versöhnliches. Am Ende hat es Shostakovich trotz aller widrigen Umstände geschafft, wunderschöne Musik zu schreiben: David Oistrakh spielt das erste Violinkonzert, und hier spielt   Schostakowitsch selbst sein Klavierkonzert.

Freitag, 10. März 2017

Zukunft der Evaluation

Die Jahrestagung der Gesellschaft für Evaluation (DeGEval) wird sich dieses Jahr mit dem Thema Evaluation in der Zukunft befassen. Anlass ist eigentlich das 20 jährige Jubiläum der DeGEval. Der Vorstand der DeGEval und die Sprecher der Arbeitskreis hatten diese Woche ihr jährliches Frühjahrstreffen, und neben vielen anderen Dingen haben wir auch ein kleines Brainstorming veranstaltet, wie wir die Zukunft der Evaluation sehen. Ich fand die Aufgabenstellung nicht einfach, die Zukunft der Evaluation? Was weiß denn ich? Vielleicht alles weiter wie bisher?

Je mehr ich aber darüber nachdenke, desto mehr Trends fallen mir ein, die man aus der Vergangenheit auch in die Zukunft extrapolieren kann. Zum einen glaube ich, dass Evaluationen eher noch wichtiger und nachgefragter werden. An Evaluationsaufträgen wird es nicht mangeln. Und warum ist das so?

Zumindest für die Technologie- und Innovationspolitik kann ich sagen, es wird absehbar mehr Geld ausgegeben werden (siehe zum Beispiel die Diskussion um ein 3,5% Ziel), und damit steigt auch die Rechenschaftspflicht und das Bedürfnis, diese durch Evaluation zu befriedigen. Außerdem begünstigt der technische Fortschritt, der Zugang zu Daten, die Digitalisierung und schnelle Auswertung von Sekundärquellen die Evaluation. Evaluationen werden tendenziell preiswerter und besser. Außerdem erleben wir seit längerem einen Trend hin zur kritischen Hinterfragung staatlichen Handelns, die diesen ebenfalls in Legitimationspflicht nimmt. Das ist eher ein kultureller Faktoren, den ich als Bauchgefühl umschreiben würde.

Der zentrale Treiber, der aus diesem Faktoren reales politisches Handeln generiert, ist der Bundesrechnungshof. Er hat mit seinem steten Nachbohren in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die zuständigen Ressorts, also das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesforschungsministerium, ihre internen Strukturen professionalisiert und ausgebaut haben.

Damit sind auch die Grundlagen gelegt, nicht mehr nur auf Einzelmaßnahmen und Einzelevaluationen zuschauen, sondern ganze Politikfelder in den Blick zu nehmen und vergleichende Evaluationen zu beauftragen. Heute ist das noch kaum der Fall, aber für die nahe Zukunft sehe ich hier bessere Chancen.

Hieraus folgt direkt, dass wir standardisierter Erhebungsmethoden und Indikatoren brauchen, um den Vergleich überhaupt leisten zu können.

Gleichzeitig erhöht sich der Druck auf die Projektträger, die für die Umsetzung und Administration von Maßnahmen verantwortlich sind, ein kontinuierliches Monitoring aufzubauen und beständig Daten zu erheben, die dann einer Evaluation zur Verfügung gestellt werden können. Projektträger werden damit zu zentral Mitspielern der Evaluationskultur.

In einem solchen System, indem Monitoring und Evaluation miteinander verzahnt sind, steigen auch die Chancen, Evaluationen quasi in Echtzeit durchzuführen, also ganz am aktuellen Rand des Geschehens zu sein. Wenn man nun noch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, mitdenkt, und möglicherweise aus historischen Daten bessere Prognoseinstrumente für die Bewertung aktueller Daten schafft, dann werden aus Evaluationen echte Steuerungsinstrumente.

Viel wird standardisiert und quasi automatisiert ablaufen. Und damit eröffnet sich aus meiner Sicht auch wieder ein Fenster für stärker qualitative Ansätze, die in die Tiefe der zu untersuchenden Prozesse und Maßnahmen dringen und nicht nur die Frage beantworten, welche Wirkung ein bestimmtes Handeln hat, sondern auch echte Erkenntnis darüber bringen, warum dies so ist.

Das ist jetzt alles viel Glaskugel. Keine Ahnung, wann es soweit sein könnte. Aber ich bin mir zumindest sicher, dass der Zug in dieser Richtung unterwegs ist. Naja, vielleicht gibt uns ja die Jahrestagung im September darüber nähere Aufschlüsse.

Sonntag, 5. März 2017

Neues aus der Start-up -Welt

Wenn man sich ein wenig für Startups interessiert und wie ich eine Reihe von Newslettern und Newsfeeds abonniert hat, wird man fast erschlagen von der Flut der Meldungen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Da hilft es, ein wenig zurückzutreten und sich die Meldungen aus der Halbdistanz zu betrachten.

Ein schönes Beispiel dafür sind die Meldungen rund um Fintechs, also jungen, technologieorientierten Unternehmen im Finanzsektor, die den klassischen Banken mit Softwarelösungen Konkurrenz machen. Auf den ersten Blick scheint es verwirrend. Laut einer neuen KPMG-Studie brechen die Fintech-Investitionen weltweit ein. War vielleicht doch nur einer der typischen Medienhypes? Ist Legal-Tech das neue Fintech? Andere Medien sehen nicht ganz so schwarz. China scheint sich zu einem Mega-Player im Fintech-Bereich zu entwickeln, schreibt der Economist in einem langen Beitrag. Die NZZ empfiehlt den traditionellen Banken, die Anlaufschwierigkeiten der Fintechs nicht falsch zu interpretieren. Auf kurz oder lang könnte sich das Rennen noch ändern. Und vielleicht der fühlt sich ja doch die Hoffnung darauf, dass mit dem Brexit Fintech-Firmen in größerer Zahl auf den Kontinent wandern. Zumindest legt die ein aktueller Artikel im Guardian nahe. Umkrempeln könnten Fintechs möglicherweise auch schneller andere Weltregionen als ausgerechnet im gesetzten (verkrusteten?) Europa. Möglicherweise sind Fintechs gute Instrumente der Entwicklungshilfe

Und was folgt jetzt daraus? Es ist der langsame, der allmähliche, der schleichende Wandel. Die neuen Firmen führen nicht sofort zum Zusammenbruch der traditionellen Strukturen. Möglicherweise brauchen sie auch mehrere Anläufe. Oft folgt die Berichterstattung einem gewissen hypecycle, nach einer ersten Welle der Euphorie setzt die Ernüchterung ein und  der Trend wird  als beendet erklärt, bevor  die eigentliche Umwälzung  zu sehen ist.  Auch Fintechs scheinen sich im Moment  im Tal der Tränen zu befinden. Aber Stück für Stück werden sie wohl den traditionellen Bankensektor ziemlich radikal umkrempeln. Und möglicherweise sind es unerwartete Akteure, z.b. aus China, die mehr bewirken werden als die üblichen Verdächtigen aus den USA oder UK.

Eine ziemlich ähnliche Entwicklung könnte man für das Thema Crowdfunding beschreiben. Auch hier gibt es im Moment eher negative Meldungen wie diese: Der Crowdfunding-Hype scheint am Ende zu sein, schreibt z.B. die Wirtschaftswoche. Das Crowdfunding die klassischen Finanzierungsformen nicht ersetzen wird, überrascht mich nicht wirklich. Wir hatten das in unserer Analyse im Rahmen des Trendbarometer junge IKT Wirtschaft wiederholt beschrieben. Aber für manche Themen und manche Startups wird Crowdfunding auch in Zukunft spannend bleiben. 

Letzte Meldung zum Thema Startups: In Frankreich scheint die Startup-Welle ins Rollen zu kommen, meint zumindest der Economist in einem neuen Artikel. Es handelt sich, zumindest bei den im Artikel genannten Unternehmen, um eher technologieorientierte Gründungen, also nicht die üblichen Marktplätze, um Pizza oder Schuhe zu verkaufen. Eine spannende Entwicklung, die man hier in Deutschland in der Regel nicht so auf dem Schirm hat. Frankreich hat in Deutschland, das ist zumindest meine Wahrnehmung, nicht ein besonders ausgeprägtes Innovationsimage. Und vielleicht sind wir in Deutschland doch etwas zu berauscht vom Berlin-Hype um diese junge, spannende und kreative Hauptstadt, um die uns angeblich ganz Europa beneidet.