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Sonntag, 29. Mai 2016

Der Zukunft schwaches Rauschen


Heute habe ich es rascheln hören in meiner samstagmorgentlichen Zeitungslektüre. Es war zwar nicht der Weltgeist, aber war es eine Ahnung von Zukunft? War es ein Wispern der Dinge, die da kommen? Oder waren es einfach nur zufällige Meldungen am Samstag?

Wenn Adidas eine neune Turnschuhfabrik in Deutschland baut, ist das schon ein Ereignis. Normalerweise sind Turnschuhe die klassischen Produkte einer globalisierten Wirtschaft.  wie T-Shirts oder Ikea Kleinteile werden sie in Asien preiswert gefertigt und in Europa preiswert verkauft. Jetzt will Adidas die Produktion wieder nach Deutschland verlagern, in einer hochautomatisierten Fabrik mit hoch individualisierter Fertigung. Das Vorzeigebeispiel für Industrie 4.0. Wird sicher einige Arbeitsplätze in Asien Kosten, wenn sich das durchsetzt. Nur werden in den neu errichteten Fabriken in Deutschland kaum neue Arbeitsplätze entstehen. Außer vielleicht bei den Maschinenbauern und Automatisierungsspezialisten.

Adidas wird übrigens in einigen Kommentaren in einem Atemzug mit Foxconn genannt, die die neue Serie des iPhone mit Roboter anfertigen und deshalb nur noch halb so viele Arbeiter brauchen wie zuvor.

Also sind Roboterspezialisten die großen Gewinner? Dazu passt die nächste aktuelle Meldungen. Die Süddeutsche berichtete über die Aktionärsversammlung bei KUKA und die heftigen Auseinandersetzungen über ein chinesisches Angebot zur massiven Aufstockung der Aktienanteile. Ist das der Hausverkauf deutschen Know-hows oder vielmehr der Einstieg von KUKA in die Servicerobotik, die ja das letzte Gutachten der EFI-Kommission als große Schwachstelle der deutschen Hersteller ausgemacht hatte.

Ja die Chinesen, die können einem schon Angst machen. Obwohl sie doch für einen Gutteil des deutschen Wachstums in den letzten Jahren mitverantwortlich waren. Als Absatzmarkt. Übrigens steigt auch das Interesse an China bei den deutschen Startups. Oder zumindest hofft dass die Berliner Wirtschaftsförderung, die jetzt ein neues Vernetzungsprogramm aufgelegt hat. Deutsche Gründer aus Berlin und chinesische Gründer aus Shanghai sollen sich gegenseitig besuchen und das jeweils andere Land als Markt kennenlernen. Ähnliche Vernetzungsprogramme gibt es schon mit New York und Tel Aviv und bald mit Paris.

Àpropos neue Fabriken. VW will nach neusten Gerüchten und Zeitungsartikeln eine Batteriefabrik bauen, um die Elektromobilität der eigenen Flotte in Schwung zu bringen. Das wird ja auch langsam Zeit. Gerade erst hatten die Moderatoren anlässlich der neuen Kaufprämie für Elektroautos gemault, das lieber Geld in den Aufbau solcher Fabriken fließen sollte.  Aber noch scheint nichts entschieden. Bisher hat sich auch noch keiner dazu geäußert, ob dies eine hochautomatisierte Fabrik à la Industrie 4.0 werden wird.

Ebenfalls Teil der Berichterstattung in vielen Medien diesen Samstag war der neue Zukunftsatlas von Prognos. Er misst anhand unterschiedlicher Indikatoren die Zukunftsfähigkeit von Städten in Deutschland. Ziemlich breit hat sich der Tagesspiegel darüber ausgelassen, dass Berlin zwar einerseits mächtig im Ranking nach oben geklettert ist, andererseits gerade die Früchte dieser Entwicklung nur von einem kleinen Teil der Berliner Bevölkerung genossen werden.  Zwar werden viele Technologiefirmen neu gegründet, ihre Mitarbeiter ziehen aber eher zu als dass sie aus der angestammten Berliner Bevölkerung rekrutiert werden. Sind das erste Anzeichen der großen Spaltung, die Tyler Cowen in seinem Buch zum Ende der Mittelmäßigkeit Haus gemacht hatte?

Eine letzte, positive Meldung zum Schluss. Der Anteil der sogenannten Clickworker, der Speerspitze der Gig economy, ist in Deutschland rückläufig. Solange die Wirtschaft rund läuft, scheinen traditionelle Arbeitsverhältnisse doch attraktiver zu sein. Na das lässt ja für die Zukunft hoffen.

Samstag, 21. Mai 2016

Evaluationen und Wissensgesellschaft

Heute morgen habe ich einen schönen Vortrag auf meiner Lieblings-Vortrags Podcast-Website angehört, D-Radio Wissen. Der Soziologe Helmut Willke sprach über die Zukunft der Demokratie in der Wissensgesellschaft. Da lachte der alte Politikwissenschaftler in mir schon ein klein wenig vor Vorfreude.

Seinen Vortrag begannen Willke mit zwei zentralen Thesen. Zum einen ging er davon aus, das die klassische parlamentarische Demokratie zunehmend von der Notwendigkeit eines vertieften Expertenwissens herausgefordert sei. Kein Mensch, auch kein Parlamentariet könne heute noch alle Politikfelder in ihrer Tiefe durchdringen. Ohne Expertenwissen wäre eine vernünftige Steuerung der Politikfelder nicht mehr denkbar.

Ich musste bei diesem Argumentationsschritt an ein Projekt des Global Science Forum der OECD denken, an dem ich vor ein paar Jahren teilgenommen habe. Es ging damals um wissenschaftliche Politikberatung. Anlass waren einmal  das Erdbeben und die Atomkatastrophe in Fukushima gewesen, die in Japan zu einem dramatischen Vertrauensverlust der wissenschaftlichen Politikberatung geführt hatten. Zum anderen hatte ein Erdbeben in Italien zu einer Verurteilung von Geologen geführt, die zu früh Entwarnung gegeben hatten. Der Endbericht des Projektes kam damals zu dem Schluss, das wissenschaftliche Politikberatung heute deutlich heterogene und kontroverse abläuft als früher.

Helmut Wilke forderte wiederum in seinem Vortrag, dass Expertengremien deutlich autonome Verantwortung für die Störung spezifischer Politikfelder übernehmen sollten. Verfassungsgericht und Zentralbanken seine gutes Beispiel dafür, dass auch jenseits der üblichen parlamentarischen Entscheidungsprozesse Experten getriebene regime in spezifischen Politikfeldern möglich und sinnvoll sein, solange reden, also das Parlament, die letzte Entscheidungsgewalt behalte. Wichtig sei außerdem eine hinreichende Pluralität der Gremien, um verschiedene Meinungen und durchaus politische Strömungen zu repräsentieren. Bei ausreichender Transparenz sei eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung zu erwarten.

Ich würde den Fokus dieser politischen Steuerung jenseits klassischer parlamentarischer Entscheidungsfindung sogar noch deutlich breiter sehen. Eigentlich geht es doch um die Partizipation unterschiedlicher aktuelles Gruppen, die jeweils für sich Expertenwissen beanspruchen können. Es geht also nicht nur um wissenschaftliche Politikberatung, sondern gerade auch um die Partizipation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Gerade die deutsche Innovationspolitik das hätte ich gerade in Richtung einer partizipativen Politikgestaltung, wenn auch das Ende der Fahnenstange sicher noch lange nicht erreicht ist.

Seine zweite Eingangsthese führte Willke übrigens leider nicht besonders weit aus. Er postulierte, dass neben der klassischen Inputlegitimation politischen Handelns, also insbesondere des Wahlaktes, eine Art Legitimation über Ergebnisse guter Politik immer wichtiger werde. Die Europäische Union, die gerade in ihren Anfangstagen über einen besonderen Mangel an Inputlegitimation verfügt habe, sei ein gutes Beispiel für diese Legitimation über gute Ergebnisse guter Politik.

Und das ist natürlich das beste Argument für eine ausgeprägte Evaluationskultur. Ohne Evidenz für die positive Wirkung guter Politik ist eine ausreichende Legitimation nicht mehr darstellbar. Gerade wenn Experten zunehmend Entscheidungsverantwortung übernehmen sollten, ist eine enge Prüfung der Ergebnisse solcherart realisierter Steuerung umso wichtiger.

Hierzu hat sich Willke nicht geäußert in seinem Vortrag, aber er hat ja auch nochein Buch geschrieben, vielleicht steht da mehr zu ...

Masken

Steve Jobs ist tot, und damit endete auch die Geschichte der großen Technopräsentationen mit Kultstatus von Apple. Google muss mehr schlecht als recht in die Lücke springen. So wieder einmal geschehen in der letzten Woche.

Die interessantesten Novität scheint der Google Assistent zu sein, die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz früherer Google-Produkte. Der Assistent soll eine quasi natürliche Unterhaltung, Fragen und Steuerung ermöglichen. Daraufsetzen ja mittlerweile auch die anderen Internetgrößen wie Microsoft, Facebook oder Amazon. Er wird in diverse Produkte eingebaut sein. Google stellte schon mal einen drahtlosen  Lautsprecher vor, der "always on" ist und alle Fragen beantwortet. Oder einen Kurznachrichtendienst à la WhatsApp.

Der oben zitierte Bericht über die  Entwicklerkonferenz findet diese Neuvorstellungen ja ziemlich unheimlich. Es kann aber auch ganz anders gehen. Da wird nicht die Maschine menschlich, sondern der Mensch schlüpft in die Maschine. So geschehen in dieser Reportage, in der der Autor über seine virtuelle Konferenzteilnahme in den USA berichtet. Er hat dies mit einem Telepräsenzroboter verwirklicht, und seine Reportage liest sich teils ziemlich skurril. Wenn er zum Beispiel zum begehrten Objekt der medialen Berichterstattung und ihm die Journalisten hinterherrennen, wenn er nicht selbsttätig Treppensteigen oder auch Aufzug-Knöpfe und Türklinken bedienen kann. Wenn bunte Fähnchen die unterschiedlichen Roboter voneinander unterscheidbar machen.

Das ist doch mal was anderes als ein Konferenz-Livestream, macht sicher auch mehr Spaß als Videokonferenzen. Zumal der Roboter vom Nutzer selbst navigiert wird, der sich in einer Einführung erst einmal einweisen lassen muss. Der Autor meint dazu, dass vertiefte Computerspiel-Erfahrungen hier durchaus hilfreich sind. Das ist dann nicht mehr virtual reality, sondern ... ?

Jetzt denke ich mir einmal dieses Szenario als Erfolgsgeschichte weiter. Wir alle können überall hin reisen, zumindest in die Haut von solchen Telepräsenzrobotern schlüpfen. Die Straßen und Plätze sind bevölkert von Telepräsenzlern. Wir schauen uns gegenseitig auf den Bildschirm. Aber vielleicht steckt ja nicht in jedem Roboter ein echter Mensch? Vielleicht sind das dann doch nur Simulationen. Schlaue Algorithmen.

In der Literatur ist das alles schon mal dagewesen. Ich empfehle dem geneigten Leser nur die Geschichte "Der Kalkulator " aus den "Sterntagebüchern" von Stanislaw Lem (hier die entscheidende Textpassage).

Und auch so mancher scheinbar künstlich intelligente Dialoge, der von schlauen Algorithmen generiert wird, bedarf dann doch der Hilfe menschlicher Geisteskraft. Die Washington Post berichtet, dass die Schöngeister unter uns wohlmöglich demnächst sehr gesuchte Arbeitskräfte Entschädigung Berlin sein werden.

Da kann ich nur sagen: studiert keine MINT-Fächer sondern Poesie!

Samstag, 7. Mai 2016

Open Access Piraten und das Rundum Sorglos Paket

Open Access ist gerade total in. Die Europäische Kommission hat den Aufbau einer europäischen wissenschaftlichen Cloud verkündet, in der zum Beispiel ab 2017 alle mit öffentlichen europäischen Geldern geförderten wissenschaftlichen Daten verfügbar sein sollen. Die niederländische Präsidentschaft wiederum, die sich sehr starke für das Thema Open Access einsetzt, hat gerade einen Aufruf veröffentlicht nachdem alle europäischen wissenschaftlichen Paper ab 2020 frei zugänglich sein sollen. Dies umzusetzen ist nicht unbedingt ein Selbstläufer, wie zum Beispiel der Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0 schreibt. Eine Reihe von Voraussetzungen, Strukturen und Rahmenbedingungen muss gegeben sein.

Und vielleicht wird das ganze öffentliche System auch rechts überholt. Seit ungefähr einem halben Jahr sorgt ja das Portal Sci-Hub für Furore, das praktisch alle wissenschaftlichen Publikationen frei ins Netz stellt. Unter anderem wurde dieses Portal mit Pirate Bay verglichen.  Ist hier nicht ein neuer Robin Hood der Wissenschaft unterwegs? Oder handelt es sich vielleicht um die Disruption des Wissenschaftssystems? Von einigen Autoren werden Analogien wie Spotify genannt, um die Rolle als Game Changer deutlich zu machen. Die betroffenen Verlage, allen voran Elsevier, sehen das aus naheliegenden Gründen ganz anders.

Die möglicherweise disruptive Kraft dieses Portals legen auch neueste Daten nahe, die in dieser Umfrage gesammelt wurden. Einerseits zeigen die Befragungsdaten, dass Nutzer der ganzen Welt und den unterschiedlichsten Beweggründen die illegalen Veröffentlichungen nutzen. Neben Überzeugungstätern sind auch viele dabei, die einfach das praktische und unkomplizierte Verfahren Wert schätzen.

Vielleicht gibt es irgendwann noch eine Flatrate für wissenschaftliche Veröffentlichungen. Die Flatrate für Mobilität hat ja gerade erst Bahnchef Grube als Fernziel ausgegeben. Aber habe ich diese Flatrate nicht eigentlich schon bezahlt? Mit meinem Steuern? Aus denen wissenschaftliche Forschung ja letztlich finanziert wird?