Sonntag, 25. Dezember 2016

Vertrauen?

Das Jahr 2016 neigt sich seinem Ende zu und allgemeine Unsicherheit scheint vorzuherrschen. Die Demoskopen waren scheinbar nicht in der Lage, den BREXIT und den Sieg Donald Trumps vorherzusagen, außerdem haben falsche Nachrichten, durch Hacker veröffentlichte geheime E-Mails  und durch Social Bots generierte Kampagnen in sozialen Medien das Manipulationspotential digitale Diskurse deutlich gemacht. Kann man denn niemandem mehr vertrauen?
Vertrauen scheint zum Schlüsselbegriff zu werden, mindestens drei verschiedene Stränge der Diskussion sind mir in den letzten Tagen aufgefallen.

Zunächst geht es um das notwendige Vertrauen zwischen Personen bei Geschäften im Internet. Das ist eine Herausforderung, der sich auch normale Marktplätze im Internet wie eBay stellen müssen. Über die gegenseitige Bewertung von Verkäufern und Käufern zum Beispiel wird dieses Vertrauensproblem gelöst. In China scheint eine ziemlich radikale Lösung in der Diskussion zu sein. Außerdem scheint eine Rolle zu spielen, dass es in China kein System der objektiven Prüfung der Kreditwürdigkeit gibt, wie z.B. in Deutschland das Schufa-System. Hierfür hat der "allmächtige" chinesische Staat nun eine patente Lösung parat. Der Economist schreibt in einer seiner neuesten Ausgabe über ein sogenanntes social-credit System in China, dass einem digitalen totalitären Staat eine perfekte Grundlage bieten würde. Zwar gibt es noch eine offen ausgetragene Diskussion innerhalb Chinas, was dafür spricht, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Aber sollte das kommen, wäre es schon eine ziemlich "schöne neue Welt".

Auch in den Ländern des alten Westend ist die Vertrauensfrage noch nicht abschließend gelöst. Hier verspricht die neue Technologie Blockchain eine interessante Lösung. Blockchain kann dazu dienen, Vertrauen ohne den lästigen und teuren Mittler Bank herzustellen und bedroht so das Kerngeschäft genau diese Banken. Ein Artikel des World Economic Forum darüber, wie Blockchain das Alltagsleben in vielen anderen Feldern beeinflussen könnte, von öffentlichem Nahverkehr bis hin zur Energieversorgung, zeigt aber auch, dass Blockchain das Vertrauensdilemma ganz grundsätzlich lösen und so viele Lebensbereiche entinstitutionalisieren könnte.

Zu guter Letzt: Nachdem Postfaktisch das Wort des Jahres wurde, passt dieser Chanson des Monats von Thomas Pigor zur schwindenden Wirkung von Zahlen, Daten und Fakten.

 

Montag, 12. Dezember 2016

Trendbarometer junge IKT Wirtschaft 2016

Während die Gründungszahlen in Deutschland weiterhin stagnieren oder rückläufig sind, haben wir (Leo Wangler, Kristina Brylla und ich vom IIT sowie Christiane Kerlen) im Rahmen unserer Wirkungsanalyse des Gründerwettbewerbs Digitale Innovationen in der letzten Woche unser neues Trendbarometer Junge IKT-Wirtschaft veröffentlicht.


Für das aktuelle Trendbarometer des Gründerwettbewerb – Digitale Innovationen wurden erneut Gründer in 10 Themenbereichen nach ihrer Einschätzung des Gründungsgeschehens befragt: Auch wenn viele Start-ups die externe Finanzierung und die Mitarbeitergewinnung weiterhin als Herausforderung einschätzen, sind, ist ihre Zukunftserwartung insgesamt doch positiv. Chancen sehen viele Gründer bei der Einstellung von Mitarbeitern aus dem Ausland und beim Entstehen von Ökosystemen für Gründer in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München.
Deutschland verfügt über wachsende, international wahrgenommene Start-up-Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg, zeitweise konnte Berlin sogar den Titel einer europäischen Start-up-Hauptstadt für sich in Anspruch nehmen. Ein wichtiger Faktor hierfür ist der intensive Austausch zwischen den Start-ups und ihren Förderern in lebendigen Ökosystemen. Wie eng die Zusammenarbeit ist, zeigen einige Antworten der von uns befragten Unternehmen, zum Beispiel zum Erfahrungsaustausch über Köpfe. Immerhin 18 Prozent der Antwortenden kommen selbst aus einem anderen Start-up und konnten diese Erfahrung für die eigene Neugründung nutzen. Ebenso viele Unternehmen haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, die aus anderen Start-ups kommen.


Eine wichtige Erkenntnis bei der Analyse funktionierender Start-up-Ökosysteme ist, dass sie sich ab einem gewissen Punkt aus sich selbst heraus weiter stärken, da ehemalige Gründerinnen und Gründer nun in neue Start-ups investieren oder diese als Mentoren stützen. Relativ neu ist der Ansatz, Start-up-Metropolen international miteinander zu vernetzen, um im Sinne eines Positiv-Summen-Spiels Mehrwert für beide Seiten zu generieren. So kooperieren beispielsweise Berlin und Tel Aviv, um den Austausch von Ideen, Köpfen und Kapital zu beschleunigen. 49 Prozent der von uns Befragten sehen hierin eher eine Chance, nur 19 Prozent eher eine Gefahr für deutsche Gründungsstandorte.
 
Das sind die zehn Thesen, die wir im Rahmen des Trendbarometers überprüft haben:
  1. Das aktuelle Geschäftsumfeld hat sich gegenüber dem Vorjahr leicht verschlechtert, die Erwartungen an die zukünftige Auftragsentwicklung sind hingegen ungebrochen positiv.
  2. Der Erfolg des bisherigen Gründerwettbewerbs hat zu einer Fortsetzung mit neuer Ausrichtung auf „Digitale Innovationen" geführt.
  3. Trotz historisch niedriger Zinsen bestehen für Start-ups weiterhin schwierige Finanzierungsbedingungen.
  4. Mit neuen Instrumenten der Wachstumsfinanzierung hat die Bundesregierung attraktive Angebote für die junge IKT-Wirtschaft entwickelt, die nun in die Breite getragen werden müssen.
  5. Der Mittelstand entwickelt sich zu einem interessanten und relevanten Kooperationspartner für die junge IKT-Wirtschaft mit erheblichem Potenzial.
  6. Fachkräfte weiterhin gesucht – insbesondere Entwickler, Programmierer und andere IT-Spezialisten fehlen der jungen IKT-Wirtschaft.
  7. Die aktuelle Migration nach Deutschland wird von der jungen IKT-Wirtschaft überwiegend als Chance wahrgenommen.
  8. Enge Verflechtungen in Start-up-Ökosystemen stärken den Gründungsstandort Deutschland zunehmend.
  9. Die Kooperation zwischen internationalen Start-up-Zentren wird als positiver Trend gesehen.
  10. Die Geschäftsmodelle der jungen IKT-Wirtschaft sind zukunftsweisend auf die Plattformökonomie ausgerichtet. Digitale Plattformen werden von den jungen IKT-Unternehmen überwiegend als Chance für das eigene Geschäftsmodell verstanden.

Freitag, 9. Dezember 2016

Magischer Digitalismus und Donald Trump

Hat schon mal jemand den Begriff "magischer Digitalismus" gehört? Ich bin erst kürzlich zum ersten Mal darüber gestolpert, und zwar in einem sehr lesenswerten Beitrag der Spiegel-Kolumne von Sascha Lobo. Es geht dabei um eine aufgeregte Diskussion in deutschen Medien rund um einen Beitrag des Schweizer Magazins, in dem die Praktiken einer datenbasierten Beratungseinrichtung im amerikanischen Wahlkampf debattiert wurde.

Viele hatten sich ja in der Zwischenzeit kritisch dazu geäußert, darunter "Gründerzeit" als Sprachrohr der Gründerszene. Die Plattform Carta meint in einem Beitrag, einen datengetrieben Mikro-Wahlkampf hätte es doch schon lange gegeben. In einem anderen Beitrag stellt sie die Wirksamkeit selbst in Frage bzw. fragt hier, was Psychologen wohl zu den angeblichen Persönlichkeits-Analysetechniken sagen. Die Seite "Netzpolitik" hat vorsorglich schon mal die deutschen Parteien befragt, ob sie vorhaben, ein solches "Wähler-Targeting" einzusetzen. Die Zeit hat sich dazu geäußert, der Spiegel und so weiter.

Sascha Lobo nun meinte, dass hinter der aufgeregten Diskussionen mal wieder ein Unverständnis digitaler Technologien stecke. Diesen würden erneut geradezu magische Fähigkeiten zugeschrieben, was die Durchleuchtung jedes einzelnen angehe genauso wie die Möglichkeiten der Manipulation.

Tatsächlich scheint die deutsche Bevölkerung ein wenig verunsichert zu sein ob der Möglichkeiten, die digitale Technologien bei der Beeinflussung, Verfälschung und Verdrehung von Tatsachen wie auch der Provokation von hasserfüllten Diskussionen bieten.

Schon länger gährt in Deutschland z.B. die Debatte um Filterblasen und Echokammern, in denen der arme Leser soziale Medien gefangen ist und nur noch das mitbekommt, was er sowieso schon weiß und immer dachte. Die Wissenschaft ist zwar mehr als unsicher ob es diese Filterblasen im beschriebenen Ausmaße tatsächlich gibt. Zumindest scheint der Effekt nicht unbedingt etwas mit Technologie zu tun haben, sondern eher in der Natur des Menschen begründet zu sein, und vermutlich dürften Filterblasen im deutschen Kontext, in dem sich die Menschen (noch) etwas anders informieren als in den USA, noch weniger wirksam sein.

Im deutschen Kontext spielte dann auch das Thema Social Bots eine Rolle, das nach einer Meldung über den drohenden Einsatz durch die AfD schnell in den politischen Diskurs aufgenommen wurde.  

Ein Thema, was in diesem Zusammenhang bislang nicht angesprochen wurde, betrifft den Einfluss von außen mit illegal erworbenen Informationen. Im amerikanischen Wahlkampf hatte es ja lange Zeit die Sorge vor massiven Störungen durch Russland gegeben. Und tatsächlich tauchten reihenweise Informationen auf, die nur durch Hacker-Angriffe besorgt werden konnten. Sie betrafen immer Hillary Clinton, und der Verdacht wurde in mehreren Artikeln gelehrt, dass dahinter der russische Geheimdienst stecke. War das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und Hillary den Sieg kostete? Ist vielleicht auch der deutsche Bundestagswahlkampf bedroht?

Hysterie und echte Herausforderung scheinen eng beieinander zu liegen.

P.S. kurz nachdem ich diesen Blog veröffentlicht habe, ist gerade das Thema der russischen Einflussnahme omnipräsent in der deutschen Medien Berichterstattung. Und auch die Diskussionen um Cambridge Analytics und andere Möglichkeiten der Manipulation sind weiterhin breit diskutiert, wie zum Beispiel dieser lesenswerte Artikel zeigt, drr einige Annahmen über Gerüchte im digitalen Zeitalter in Fragen stellt.

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Neues von der Gründungsfront

In den letzten Wochen ist wieder eine Reihe von neuen Studien über Startups und Gründer erschienen, über die es sich zu bloggen lohnt. Nicht dass sich besonders viel Sensationelles getan hätte. Zumindest für Deutschland gilt weiterhin, eine echte Dynamik und Steigerung der Gründungszahlen ist nicht zu erwarten. Aber trotzdem, ein paar Details sind durchaus interessant.

Zum Beispiel wurde im November der European Startup Monitor veröffentlicht, der in den meisten europäischen Ländern ein stärkere Internationalisierung der Gründung beobachtet. Deutlich mehr Gründer haben eine andere Nationalität als die des Landes, indem sie gründen. Eine stärkere Internationalisierung lässt sich auch für Deutschland beobachten, wie der ebenfalls vor kurzem erst veröffentlichte Deutsche Startup Monitor fest stellt, hier allerdings insbesondere für die stärker internationale Belegschaft der Startups. Und auf diesem Zug sind ja auch eine Reihe von Initiativen aufgesprungen, die, wie zum Beispiel in Berlin, Gründer weltweit vernetzten und für ihren jeweiligen Standort gewinnen wollen.

Erst in der vergangenen Woche hatte das Bundeswirtschaftsministerium eine neue Studie veröffentlicht, die zeigt, wie Gründung aktiv die Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland sind. Ein Kollege von mir war auf der Veranstaltung, auf der die Studie präsentiert wurde. Er war insbesondere beeindruckt von den persönlichen Berichten einiger Gründerinnen und Gründer, die auf der Veranstaltung auftraten. Die Botschaft wird in Deutschland gern gehört, wie diverse Medienberichte über die Studie zeigen, ich zum Beispiel hier im Spiegel oder auf bento. Allerdings muss man auch sehen, dass die allermeisten Gründungen von Personen mit ausländischer Herkunft in Deutschland im Bereich Handel oder Dienstleistungen liegen, also nicht unbedingt bei den Hochtechnologien. Aber das ist natürlich auch für deutsche Gründerinnen und Gründer so. Würde man die leicht ansteigende Zahl der ausländischen Gründungen aus der Gesamtzahl herausrechnen, so wäre der deutsche Gründungstrend übrigens noch negativer.

Lustig fand ich, wie der deutsche Startup Monitor aus der wachsenden Zahl an Startups, die er mittlerweile auf seinem Radar hat, auf eine Diversifizierung der Szene schließt. Aus eine Dominanz weniger Gründungsmetropolen wie Berlin und München wird jetzt eine vielfältige Landschaft, die sich über diverse Städte in ganz Deutschland erstreckt. Mir scheint dies eher eine Frage der Methodik und der damit erreichten Grundgesamtheit zu sein als tatsächlich ein Indiz für einen Trend hin zu einer vielfältigeren Szenen. Andere Medien jedoch machen daraus den Aufruf an potentielle Gründerinnen und Gründer, nicht nach Berlin zu gehen, sondern nach zum Beispiel Aachen.

Und tatsächlich ähnlicher praktisch flächendeckend alle Kommunen, Regionen, Länder und Staaten darum, ihre lokale Gründerszene zu stärken. Ob das aber manchmal vergebliche Liebesmüh ist, fragt sich die nachfolgende Studie, die Faktoren zur Gründungsneigung untersucht hat und zu dem Schluss kommt, dass der familiäre Hintergrund, aber sogar auch grundsätzliche Dispositionen die Gründungsneigung befördern sollen. Zum Gründer geboren? Dann wäre möglicherweise tatsächlich so manche politische Initiative vollkommen vergeblich, weil an ein Zielpublikum gerichtet, dass nie zum Gründer entwickelt werden kann. Und dann wäre natürlich auch der letzte Hoffnunganker ein Zuzug vieler gründungsgeeigneter Menschen.

Ich vermute hinter den unterschiedlichen Gründungsdynamiken ja eher systemische Faktoren, die von Arbeitsmarktregelungen über kulturelle Wertungen hinsichtlich der Selbständigkeit bis hin zu vorherrschenden Branchenstrukturen reichen. Und außerdem lässt sich zumindest für die westlichen Industrieländer auch ein ziemlich ähnlicher Trend, wenngleich auch von einem unterschiedlichen Ausgangsniveau, beobachten. Nämlich der Trend nach unten.

Ich war kürzlich auf einer Veranstaltung von Innovationsökonomen, die darin zum Teil einen weiterer Beleg dafür gesehen haben, dass wir es tatsächlich mit so etwas ähnlichem wie einer sekulären Stagnation zu tun haben, dass also der Innovationsmotor insgesamt mehrere Gänge zurückgeschaltet hat. Am zurückgehende Produktivitätswachstum können man das gut festmachen.

Womit ich bei meinem letzten Thema wäre. Die OECD hatte im vergangenen Jahr dem Produktivitätswachstum eine eigene größere Studie gewidmet. Bislang ist sie in deutschen Medien nur wenig rezipiert worden, gerade erst habe ich einen Artikel im Economist gelesen, der jetzt, ein Jahr später, auf diese Studie verweist. Und auf der eben erwähnten Veranstaltung war auch ein Vertreter der OECD, der seine persönliche Meinung zum rückläufigen Produktivitätswachstum und insbesondere zur rückläufigen Innovationsneigung deutscher mittelständischer Unternehmen kundtat. Seiner Meinung nach könnte dies auch durch den zu schwachen Innovationsdruck auf deutsche Unternehmen kommen, der insbesondere in den letzten 10 bis 15 Jahren durch den Euroraum und den daraus für deutsche Unternehmen stehenden Wettbewerbsvorteil entstanden ist. Fehlt es also an Krisen, um wieder innovativ zu werden? Dann wären ja die letzten Meldungen aus Wolfsburg und anderen automobilen Zentren eher Anlass zur Hoffnung. Aber das ist dann doch irgendwie paradox.

 

Samstag, 19. November 2016

Google, Trump, Merkel und der Untergang des Automobillandes Deutschland

Irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen, wenn man nur genügend Bindeglieder dazwischen sucht. Ein schönes Beispiel für diese Erkenntnis hat Google gerade spielerisch ins Netz gestellt und gleichzeitig bewiesen, dass seine künstliche Intelligenz im Bereich der Bilderkennung schon beachtliche Fortschritte macht. Der menschliche Mitspieler soll zwei beliebige Kunstwerke benennen, Google zeigt dann, wie diese über mehrere Zwischenschritte miteinander zusammenhängen könnten. Ich habe ein bisschen damit rumgespielt, mich überzeugt nicht jeder Zwischenschritt, aber sei es drum.

Was hat das nun mit dem Titel des heutigen Blogeintrags zu tun? Beginnen wir mit einer Meldung, die gestern über den Äther ging und schon heute die Kommentatoren der meisten Medien beschäftigt. Volkswagen hat das Ergebnis seiner Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung zum so genannten Zukunftspakt bekannt gegeben. Demnach werden bis zu 30.000 Arbeitsplätze in den nächsten Jahren wegfallen, davon etwa zwei Drittel, in einigen Berichten werden etwa 23.000 Land, auch in Deutschland. Als Begründung wird nicht allein das Problem mit den manipulierten Abgaswerten in den USA genannt, wesentlich scheint die Umorientierung des Konzerns auf die Elektromobilität sowie auf eine digitalisierte Fertigung im Zeichen von Industrie 4.0 zu sein, die zu einer deutlich weniger arbeitsintensiven Fertigung führen dürfte. Ein schönes Beispiel dafür, wie Automatisierung und technologischer Wandel auch in Deutschland zu einem Rückgang an Arbeitsplätzen führen könnte. Und dies ist noch das optimistisches Szenario, dass VW grundsätzlich seine Marktanteile behält.

Das ist genau die Art von Szenarien, die weite Teile der Gesellschaft in der Zwischenzeit doch ein wenig verunsichert. Und möglicherweise auch zum Anstieg des Populismus in vielen Ländern beigetragen hat, wir Donald Trump. Weniger technologiepolitisch, als vielmehr sozialpolitisch scheint nun die CDU reagieren zu wollen, zumindest legen das die ersten Berichte über das kommende Wahlprogramm der CDU nahe, das gerade diskutiert wird. Die CDU will sich darin insbesondere der verunsicherten Mittelschicht, den Modernisierungsverlierern annehmen.

Und auch die Europäische Kommission versucht gerade in ihren Haushaltsbeschlüssen für das nächste Jahr, zumindest symbolisch deutlich zu machen, dass sie auch in eine nachhaltige, sozial ausgewogene Wachstumspolitik investieren möchte.

Und was hat das jetzt alles mit Google zu tun? Diesen Bogen muss ich noch bekommen. Gleichzeitig zu dem oben genannten Bilderverkettungsspiel hat Google auch ein anderes Spielchen veröffentlicht, indem der menschliche Nutzer mit seinem künstlichen Gegenüber digitale Montagsmaler spielen kann. Begriffe müssen auf den Bildschirm schnell skizziert werden, die KI sagt dann, was das Ganze darstellen soll. Probieren Sie's, es ist beeindruckend, wie gut die Trefferquoten des Google-Algorithmus sind. Und das sind natürlich genau die Technologien der Bilderkennung, die zum Durchbruch des autonomen Fahrens führen werden. Dem nächsten Technologie Schwenk, wo wir die Elektromobilität noch gar nicht richtig verarbeitet haben.

Angesichts dieser technologischen Umwälzungen und der drohenden Populismusflut wird einem ganz Angst und Bange, wie wäre es damit ein wenig Hygge, dem neuen dänischen Exportschlager zum Wohlfühlen und glücklich werden. Die Süddeutsche hat in ihrer Wochenendausgabe gerade diesen Hype ein wenig demontiert und seine regressiven Momente aufgedeckt. Die rechte Lektüre für ein kuscheliges Wochenende auf dem Sofa.

Samstag, 12. November 2016

Trump und nun

Das erschütternde Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen beschäftigt die Medien landauf und landab, und irgendwie komme auch ich nicht drumherum, meinen Senf dazu zu geben. Im Moment wird wirklich jedes Detail des Wahlkampf und das Wahlergebnis sowie alle möglichen Zukünfte heiß diskutiert. In diesem Kontext sind natürlich auch viele spannende Fragen rund um die Rolle von Technik oder die Zukunft von Wissenschaft und Innovation mit dabei.
Zunächst beschäftigt uns alle natürlich die Frage, wie es dazu kommen konnte dass diese Person die Wahlen gewonnen hat. Ein Erklärungsansatz ist wie schon beim Brexit die sogenannte Filter bubble, also das Phänomen, dass in elektronische Medien vor allen Dingen die eigene Meinungen und Ansichten widergespiegelt werden und jeder glücklich in seiner Blase die Welt nur noch so sieht, wie er sie sowieso schon immer zu sein glaubte. Das Konzept Filter Bubble ist zwar beliebt, aber deswegen nicht unbedingt richtig, wie die Seite gezeigt. Gleichwohl macht die monopolartige Stellung der Internetkonzerne gehörig Angst, und so gibt es eine Reihe von Vermutungen über technisch bedingte oder absichtliche Manipulation des Informationszugang per Google Suche oder Facebook. Zuckerberg hat diese Unterstellung gerade entrüstet von sich gewiesen.
Oder ist es kein Problem der Wahrnehmung, sondern handfester Realitäten? Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass die Profiteure des technologischen Wandels in den Metropolen der West- und Ostküste Leben und die sogenannte abgehängte Mittelschicht in der Mitte nun genug hatte und für einen Sieg von Trum gesorgt hat. Das Silicon Valley scheint jedenfalls gehörig geschockt zu sein. Oder ist es doch die Finanzkrise? Studien zeigen ja, dass nach solchen Finanz- und Wirtschaftskrise nimmer die extrem Positionen Zulauf bekommen. Findet hier eine Rebellion gegen die Globalisierung statt? Was ist eine ganze vierte diese, es gibt aber auch eine Reihe von Autoren, die solchen wirtschaftlichen Faktoren weniger Gewicht beimessen und stärker eine Art Kulturkampf gegen die Moderne am Werke sehen.
Da man über Trump und seine konkreten Ziele so wenig weiß, beschäftigt sich das politische Amerika im Moment vor allen Dingen damit, wie sein Team aussehen wird. Und das ist aus der Sicht von Wissenschaft, Forschung und Innovation einigermaßen beunruhigend. So wird beispielsweise ein dezidierter Leugner des Klimawandels als Chef der Umweltbehörde gehandelt, oder dem legendäre Newt Gingrich eine wichtige Rolle in der Wissenschaftspolitik zugeschrieben. Aber auch die Wahlkampfäußerungen machen nicht gerade Lust auf einen Präsidenten Trump und seine Forschungs- und Innovationspolitik. Dabei kommen möglicherweise enorme Herausforderungen und weitreichende Entscheidungen in der Wissenschaftspolitik auf den neuen Präsidenten zu.
Die Wissenschaft hat nicht nur Angst vor einem Präsidenten Trump, nein, sie fühlt sich auch ein klein wenig mit schuldig. Wenn nun Klimawandelleugner und andere Realitätsverweigerer die amerikanische Politik bestimmen, liegt dies auch an einer gescheiterten Wissenschaftskommunikation? Naja, ich weiß nicht.



Update: Hier noch eine sehr lesenswerte Zusammenstellung der aktuellen Diskussion um Trump und die Wissenschaft von den Kollegen von "Kooperation International"

2. Update: Und hier noch ein Artikel der FAZ zum Entsetzen der TechnoBranche des Silicon Valley über den Wahlausgang
3. Update: Und hier noch ein etwas skurriler (oder wenn er den Kern treffen sollte eher erschreckender) Bericht darüber, dass ein Algorithmus angeblich für Clintons gescheiterte Wahlkampfstrategie verantwortlich sei - und Trump einfach den besseren Algorithmus hatte?
4. Update: Auch wenn es langsam zur Linksammlung wird, hier noch der Hinweis auf ein Zusammenstellung von ITIF, einem amerikanischen Think Tank zur Innovationspolitik, zu den Positionen des neuen Präsidenten zur Innovations- und Technologiepolitik. Zwar drückt sich ITIF etwas um die explizite Bewertung, scheint aber zwischen den Zeilen not amused ...

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Gescheiterte Innovationen

Letzte Woche war ich auf der Jahrestagung des Programms ZIM des Bundeswirtschaftsministeriums, des großen Mittelstands-Innovationsförderprogramms. Die Keynote hielt Professor Reinhold Bauer, seines Zeichens Technikhistoriker. Thema war wenn innovationen scheitern. Professor Bauer illustrierte in einem launigen Vortrag, wie gute Ideen aufgrund widriger Rahmenbedingungen oder eines schlechten Timings dann doch kein Markterfolg werden, oder wie Ideen an Nutzern und Nutzen vorbei entwickelt werden. Seine zentrale Motivation für diesen Vortrag war, am Beispiel der gescheiterten innovationen zu zeigen, dass auch erfolgreiche Innovationen nur aus ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext heraus zu verstehen sind. Sie sind nicht perse Objektiv gut, sondern eben zum richtigen Zeitpunkt mit Glück und Verstand zu erfolgreichen Innovationen geworden. Diese These vertritt Professor Bauer übrigens nicht nur Zeit vielen Jahren in Büchern, Aufsätzen oder Vorträgen. Sie sind auch in diversen Artikel und Interviews nachzulesen, zum Beispiel hier in der Süddeutschen oder hier auf brand eins.

Kurz zuvor hatte ich eine zweiteiligen Blogbeitrag (hier und hier) zum Thema technischer Rückschritt gelesen, der ganz gut zu diesem Beitrag passt. Es ging darum, dass Innovationen nicht immer nur einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten, dass sie nicht immer wohltuend und Segen bringend sind, sondern z.B. auch zu Pfadabhängigkeiten führen können. Beispiele sind Druckerpatronen zu überhöhten Preisen, Geräte, die sich nicht reparieren lassen, rebound-Effekte und so weiter und so fort.

Mir war gerade der zweite Beitrag ein bisschen zu Technik-pessimistisch. Klar, nicht alles was neu ist, ist immer auch sinnvoll. Und natürlich handeln Firmen zweckrational und nutzen mögliche Abhängigkeiten der Kunden zu ihrem eigenen Vorteil aus. Ob sie nun neue Technologie dafür nutzen oder andere Mechanismen, ist letztendlich egal. Aber zusammen mit dem erstgenannten Vortrag wird für mich dann doch ein rundes Bilder raus. Innovationen sind weder dann immer gut und richtig, wenn sie sich am Markt durchgesetzt haben. Noch sind in einem konkreten historischen Moment und  an einem Ort gescheiterte Innovationen per se untauglich.

Ist halt irgendwie doch alles relativ ...

Dienstag, 18. Oktober 2016

Vom Ende der Arbeit? Elektromobilität

Am Beispiel der Mobilität kann man schön sehen, wie regulative politische Instrumente zum Treiber innovativer Prozesse werden können. Am Anfang stand das politische Ziel, die Belastung von Mensch, Umwelt und Klima durch die Abgase klassischer Verbrennungsmotoren deutlich zu reduzieren. Insbesondere in den USA waren einige Bundesstaaten Vorreiter dabei, durch äußerst strenge Vorgaben zu Abgasemissionen die Automobilindustrie unter Druck zu setzen. Die Idee dahinter war, die Automobilindustrie zur Entwicklung neuer Motorkonzepte zu zwingen, die weniger Abgase verursachen. Bei einem namhaften deutschen Unternehmen hat dies leider innovative Energie in ganz ungeahnter Richtung freigesetzt. Besagter Konzern muss jetzt mit den Folgen dieser Richtungsentscheidung umgehen.

Gleichzeitig wird der Konzern von den Folgen technologischer Entwicklungen in mindestens zwei Dimensionen überholt, oder zumindest befürchtet dies der Betriebsrat, der diesen Konzernen eine ziemlich starke Rolle hat. Zum einen könnte ein heute erst am Horizont abziehbarer, durchschlagender Erfolg der Elektromobilität dazu führen, dass klassische Verbrennungsmotoren kaum noch gebaut werden. Die Produktion von Elektromotoren hingegen braucht deutlich weniger Arbeitskräfte. Wie schafft man es aber, trotzdem Arbeit am Standort Deutschland zu sichern? Möglicherweise durch den Aufbau einer Batterieproduktion? Das wäre ein Novum in Deutschland, andere Autokonzerne sprechen sich bislang dezidiert dagegen aus.

Aber ganz abgesehen von diesem Schwenk hin zur Elektromobilität wird die Produktion in Zeiten von Industrie 4.0 voraussichtlich weniger menschliche Arbeit in Anspruch nehmen als bislang. Auch dies beschäftigt den oben genannten Betriebsrat und soll Teil des Zukunftspaktes mit der Geschäftsführung werden. Weiterbildungsmaßnahmen und um Qualifizierungen sollen dazu beitragen, dass auch der Teil der Belegschaft, der durch die weitere Automatisierung nicht mehr gebraucht wird, an anderen Prozessen umgesetzt wird.

Die ARD hat übrigens in der nächsten Woche einen Themenschwerpunkt zur Zukunft der Arbeit in Zeiten von Industrie 4.0. Viele Sendungen im Fernsehen und im Radio sind zu erwarten, ich habe mir schon einmal die Hintergrundreportage angeschaut, aber in der Langversion, wie sie vor einiger Zeit auf Arte lief. Eine gute Zusammenfassung der aktuellen Situation mit, wie ich finde, schön illustrierten Beispielen.

Samstag, 15. Oktober 2016

Was bedeuten die Wirtschaftsnobelpreise für die Innovationspolitik,

Im Herbst ist Nobelpreis-Zeit. Jedes Jahr aufs Neue kürt die Schwedische Akademie der Wissenschaften die Nobelpreisträger, und da Alfred Nobel für die Wirtschaftswissenschaften einen solchen Preis nicht vorgesehen hatte, heilt die schwedische Reichsbank dieses bedauerliche Versehen durch einen eigenen Preis, den Alfred Nobel Gedächtnispreis, landläufig als Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften bezeichnet.

Ob diese Preisstiftung nun ein fieses, neoliberales Komplott gegen die Sozialdemokratie war, wie dieser Artikel behauptet, oder nicht, kann ich nicht einschätzen. Ich merke nur jedes Mal aufs Neue, dass ich ein einfacher Feld-Wald-Wiesen-Politologe bin und von den ausgezeichneten Wissenschaftlern in der Regel noch nie gehört habe. Und ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass in der Regel Arbeiten ausgezeichnet werden, die schon 20 Jahre zurückliegen, damit da Preiskomitee sicher sein kann, nicht aufs falsche Pferd zu setzen.

Dabei lohnt sich auch aus Innovationspolitischer Sicht ein Blick auf die Thesen der jeweiligen Preisträger. Zum Beispiel habe ich zufällig gerade ein Buch des Nobelpreisträgers von 2012, Alvin E. Roth, gelesen, der sich mit Marktdesign beschäftigt. Gott sei Dank war es ein populärwissenschaftliches Buch, also auch für Politologen verständlich. Das Buch hat in der Tat, wie auch diese Rezension meint, einige Längen, trotzdem fand ich es erhellend. Zum Beispiel hat es mir noch einmal deutlich gemacht, wie stark die meisten Internet-Geschäftsmodelle, vor allem natürlich die digitale Marktplätze, auf neues Marktdesign setzen. Ein echtes Déjà Vue beschlich mich bei der Schilderung der Vergabe von Schulplätzen in den USA. Gleichen die beschriebenen Marktversagen nicht der Situation in Berlin, wo Kinder schon vor der Geburt für Kita und Schule angemeldet sein müssen, und dennoch ein chaotischer und ungeregelter Prozess dazu führt, dass bis zur letzten Minute keiner weiss, wer welchen Platz bekommt. Hier hätte ein wenig Politikberatung durch Herrn Roth gutgetan ..

Auch der Jahrgang 2016 ist nicht uninteressant. Dieser Beitrag von SWR2 versucht, die Kernthemen der aktuellen Nobelpreisträger zu erklären. Dabei scheinen die Steckenpferde der beiden frisch gekürte Nobelpreisträger durchaus Relevanz für das Innovationsgeschichte zu haben. Zum Beispiel, was die Beziehungen zwischen Gründern und Investoren angeht. So zumindest fasst der Blog von Gründerszene die Äußerungen von Oliver Hart zusammen. Wer in welcher Situation wie viele Anteile bekommt, scheint ein entscheidender Faktor zu sein. Und die Botschaft scheint laut des zitierten Artikel zu lauten: seid nicht zu gierig.

Ein anderer Beitrag verweist auf den Erklärungsgehalt der aktuellen Nobelpreisträger und ihre Theorien für eine sehr beschränkte Risiko- und Innovationsorientiertung in größeren Unternehmen, die ebenfalls auf ein Principal-Agent-Dilemma zurückgeht.

Über den letztjährigen Preisträger Angus Deaton hatte ich auch noch nicht gebloggt, aber schon zu einem seiner Themen, den randomised controlled trials. Hier noch ein Link auf ein neues Papier von ihm zu eben diesen randomised controlled trials.

Und nun eine letzte Bitte an die schwedische Reichsbank. Bitte akzeptiert nur Preisträger, die ihre Theorien auch im allgemein verständlichen Büchern vorab publiziert haben. Den Politologen zuliebe.

Samstag, 8. Oktober 2016

Matrix und Cyborgs

Wer einmal einen Fiebertraum hatte, weiß, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Traum manchmal schwer fällt. Im normalen Wachzustand sollte dies dann aber doch klar und eindeutig sein, außer ... Außer die Illusion ist so perfekt, dass man darauf reinfallen muss. Das ist der Kern der Simulations-Hypothese, die seit geraumer Zeit insbesondere in den USA ihr Unwesen treibt. Gerade erst habe ich wieder einen Artikel gelesen, der behauptet, zwei Multimilliardäre aus dem Silicon Valley würden jetzt Wissenschaftler bezahl, die Simulation-Hypothese zu beweisen. Zitiert wird dabei ein Artikel im New Yorker. Es ist nur ein sehr kleiner Abschnitt in einem sehr langen Text:

Many people in Silicon Valley have become obsessed with the simulation hypothesis, the argument that what we experience as reality is in fact fabricated in a computer; two tech billionaires have gone so far as to secretly engage scientists to work on breaking us out of the simulation.

Ich hielt die ganze Diskussion bis vor kurzem für einen ziemlich spinnerte Idee einzelner Verrückter. Dann habe ich nachgegoogelt und gemerkt, dass dies eine seit langem mit überraschender Ernsthaftigkeit geführte Debatte ist (was natürlich weiterhin nicht in Frage stellt, daß es eine ziemlich spinnerte Idee ist). Hier ist eine Website, die alle möglichen Quellen und Artikel zum Thema zusammengestellt hatten.

Ich habe mich dann als nächstes gefragt, was eigentlich gerade heute zum aufpoppen solche Fantasien geführt hat. Natürlich ist es möglich, dass der absurde Wahlkampf um das Präsidentenamt in den USA die Amerikaner zu der Einsicht gebracht hat, dass dies nicht die Wirklichkeit sein kann. Na ja, wirklich plausibel ist das natürlich nicht.

Vielleicht sind es ja auch die ersten Erfahrungen in der Virtual Reality, die mit den neuen 3D Brillen von Google, Samsung und Oculus Rift möglich sind. Ich habe zwar nur mit der Billigvariante von Google herumexperimentiert, fand aber die Erfahrungen wirklich beeindruckend. Eine Achterbahnfahrt mit Google Cardboard, da bin ich ganz froh, dass das nur eine Simulation ist und ich die Brille wieder absetzen kann. Man kann aber auch in andere Menschen schlüpfen und spannende Erfahrungen machen,
zum Beispiel die Welt aus der Perspektive eines Autisten erfahren.

Vielleicht sind die Vertreter der Simulationshypothese aber auch nur, nun ja, ein wenig verrückt? In der klinischen Psychologie wird ja der krankhafte Realitätsverlust als Psychose bezeichnet. Andererseits ist die philosophische Auseinandersetzung mit der Realität sowohl in Europa wie auch im fernen Osten seit der Antike verbreitet. In China zum Beispiel gibt es hier für die Metapher des Schmetterlingstraums, über den ein chinesischer Philosoph im dritten Jahrhundert vor Christus berichtet. Er träumt, er sei ein Schmetterling, erwacht daraus und ist wieder er selbst. Oder ist er nur der Schmetterling, der davon träumt ein Mensch zu sein?

Das Zweifeln an der Wirklichkeit der Realitätswahrnehmung hat also eine lange Tradition und kann nicht gleich als Spinnerei abgetan werden. Und auch der Auftrag an die Wissenschaftler reiht sich ein in eine solche Tradition. Was hier die Suche nach den Schöpfern der Matrix ist, war in der christlichen Tradition die Frage nach dem Gottesbeweis, die manchmal ganz logisch-mathematisch gelöst wurde.

Die Frage nach Wirklichkeit oder Simulation durchzieht die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Wenn Maschinen intelligent werden, kann ich dann mit ihnen einen Dialog führen wie mit einem normalen Menschen? Entscheidet meine Illusion über die Menschennatur meines Gegenüber, ob dieser Gegenüber intelligent ist? Ist das nicht der tiefere Sinn des Turing-Tests?

Vielleicht ist aber die eigentliche Simulation diejenige, die wir in unserer Fantasie vornehmen oder in Filmen und Büchern Wirklichkeit werden lassen. Und diese Fantasien nehmen wir dann auch mit in die Wirklichkeit, sie sind unsere 3D Brillen, die dem Blick auf die reale Welt um schreiben.

Wie Science Fiction -Fantasien instrumentalisiert werden, um neue Wirklichkeiten zu schaffen, lässt sich meiner Meinung nach ganz schön am Beispiel des Cybathlon zeigen, der gerade in Zürich stattgefunden hat. Es ist eine Art Leistungsschau der Prothetik, die als Wettkampf, als Challenge inszeniert wurde und mit den Begriffen des Cyborg spielt. Dabei sind die Aufgaben, die hier in Wettkämpfen zu meisten sind, sehr nah an den Alltagsherausforderungen von Menschen mit Einschränkungen. Es sind keine europäischen Paralympics, sondern ein publikumswirksame Testlauf alltagstauglicher Assistenzsysteme. Aber die Inszenierung hat funktioniert, die Medienresonanz war ziemlich groß. Und wenn Prothetik hip Stadt tabuisiert wird, ist das ein schöner Erfolg. Die schönsten Beiträge zum Cybathlon finden sich hier, hier, hier, hier und hier.

Donnerstag, 29. September 2016

Jahrestagung der EES: Tag 2

(dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des AK FTI der DeGEval)

Auch der zweite Tag der europäischen Evaluationskonferenz war wieder sehr dicht gepackt, mit bis zu 20 nebeneinander laufenden Parallelsession. Entsprechend gering war zum Teil auch der Zulauf, sodass manchmal mehr Präsentator als Zuhörer in einem Raum waren. Gleichwohl waren die Diskussionen in diesen kleinen Gruppen bisweilen intensiver als in gut gefüllten Vortragssälen. Und Anregendes gab es genug zu hören.

Gut gefallen hat mir zum Beispiel der Beitrag über ein Evaluationskonzept, das Startup-Inkubatoren in den Fokus nimmt. Die Herausforderung ist dabei wie so oft, kausale Zusammenhänge zwischen der Intervention und der später gemessenen Wirkung herzustellen. Der Präsentator betonte daher, dass es nicht um "attribution", sondern nur um "contribution" gehen können, also um den Beitrag, die eine Intervention zu einer gemessenen Wirkung voraussichtlich leisten kann. Zum Einsatz kam in diesem Fall die qualitative comparative analysis Technik.

In einer weiteren Session wurde ein Evaluationsansatz vorgestellt, der die Konzeptionsphase von der eigentlichen Evaluation abtrennt. In Großbritannien scheinen zunehmend Projekte ausgeschrieben zu werden, die zunächst einmal potentiell zu evaluierende Maßnahmen oder Politikfelder daraufhin untersuchen, welche Voraussetzungen für die spätere Evaluation vorhanden sein müssen. Sind zum Beispiel Zugänge zu notwendigen Daten gesichert, werden entsprechende Prozesse auch gemonitort, gibt es eine Programmtheorie, die Wirkvermutungen widerspiegelt? Am Ende steht ein Evaluationsdesign, das auch Angaben zu den am besten geeigneten methodischen Zugängen macht. Die eigentliche Evaluation wird dann erneut ausgeschrieben, und der Auftragnehmer der Vorstudie kann sich natürlich wieder bewerben. Nach Angaben des Präsentators werden mittlerweile 10% aller Evaluationen in Großbritannien entsprechend vorbereitet. Zwei seiner Beispiele betrafen Evaluation im Bereich FTI, eine eine Gründungsförderungsmaßnahme, eine andere ein Luftfahrtforschungsprogramm. Der Vorteil gegenüber einer integrierten Evaluation sei, dass diese Vorstudien relativ früh erfolgten, dass keine sehr lang laufenden Evaluationsprojekte ausgeschrieben werden müssten und dass der / die Programmverantwortliche eventuell einen neuen Auftragnehmer auswählen können, falls er/sie mit den Auftragnehmern der Vorstudie unzufrieden ist.

Ich selbst hatte heute auch zwei aktive Beiträge, den einen zu einem Ansatz der Analyse von spezifischen Technologie-Wertschöpfungsketten, die gerade bei der Technologieförderung beeinflusst werden sollen. Zusammen mit meiner Kollegin Christiane Kerlen haben wir ausgeführt, wie ein relativ erschöpfendes Mapping spezifischer Wertschöpfungsketten als Ausgangsdaten genutzt werden kann, um dann den Beitrag eines konkreten Programms zur Stärkung der selben zu argumentieren.

In einem zweiten Beitrag mit meiner Kollegin Sonja Kind haben wir beschrieben, wie die Nutzung unterschiedlicher methodischer Zugänge, in unserem Fall eines Online-Survey und qualitativer Fallstudien, zu widersprüchlichen Teilergebnisse führen kann, die dann erst in einer weiteren Interpretationsschleife, unter Zuhilfenahme von Experteneinschätzungen und Diskussionen mit dem Programmverantwortlichen, in einer final Interpretation des Endbericht münden.

Jahrestagung der EES - Tag 1

(dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des AK FTI der DeGEval)

Nach der DeGEval-Konferenz in der letzten Woche startete heute die europäische Evaluationskonferenz in Maastricht. Die EES-Konferenz ist mit 600 Teilnehmern deutlich größer, entsprechend groß war auch die Herausforderung, im Konferenzprogramm die richtigen Sessions auszuwählen.

Schon der Auftakt war anders als in Salzburg. Es gab keine Keynote. In der Eröffnungssession wurde stattdessen die Simulation eines Evaluationsauftrags durch ein Panel von bekannten Evaluatoren diskutiert. Thema dieses fiktiven Auftrags war die Integration von Flüchtlingen in Armenien. Ich fand dies ein charmantes Design, um etwas grundsätzlicher typische Herausforderungen von Evaluationen zu diskutieren. Die Panel-Teilnehmer reagierten ganz unterschiedlich auf die Ausgangsfragestellung. Zwei von ihnen setzten auf Evidenz durch Sekundäranalyse. Im Sinne von "what works" (siehe hierzu auch die entsprechenden Institutionen in UK und den USA) plädieren sie z. B. dafür, erst mal zu sammeln, was es schon an Erkenntnissen gibt, oder mit Experten oder Institutionen zu reden, die zu dem Thema schon gearbeitet haben.

Elliot Stern, ebenfalls auf dem Panel, sprach sich als Anwalt der Politikberatung dafür aus, die Fallstudien eher als strategische Problemstellung zu behandeln und das Design der Evaluation entsprechend zukunftsgerichtet zu halten.

Tatsächlich war die ganze Fragestellung dieser hypothetischen Evaluationsaufgabe eher untypisch, weil sie nicht ein bestehendes Programm oder eine bereits umgesetzte Politikstrategie adressierte. Andererseits machte sie deutlich, wie nahe Evaluationen und in die Zukunft gerichtete Politikberatung eigentlich sind. Die Rekonstruktion von Programmtheorien und Modellen ist ja nichts anderes, als der Blick zurück auf die Strategieentwicklung der Vergangenheit zu werfen. Möglicherweise sollten Handlungsempfehlungen von Evaluationen stärker auch die Strategieentwicklung selbst in den Blick nehmen.

Am kontrovers in ganz Europa diskutierten Thema Flüchtlinge wurde auch ein anderer  Aspekt von Evaluationen deutlich. Evaluationen müssen in solchen Fällen Politik erklären, sie müssen deuten, framen, Geschichten erzählen. Die harten Fakten werden bei solch einem emotional diskutierten Thema nicht unbedingt überzeugen.

Eine weitere Session beschäftigte sich mit der Institutionalisierung von Evaluationskulturen in unterschiedlichen Ländern und der Rolle, die Evaluationsgesellschaften dabei spielen.

Mich hat dabei am meisten das Beispiel der Niederlande beeindruckt. Seit ein paar Jahren gibt es dort so genannte policy reviews, worunter Metaevaluation in ganzer Politikfelder zu verstehen sind, die auf Einzelevaluationen spezifischer Maßnahmen aufbauen und alle 7 Jahre erstellt werden sollten. Die Initiative hierzu ging vom Finanzministerium aus. Zuschnitt und Fokus solcher Politikfeldevaluation bleibt offen und in der Entscheidung des zuständigen Ressorts. Allerdings müssen die Ressorts in den Budgetverhandlungen jeweils einen Evaluationsplan für die nächsten 3 Jahre angeben. Den neuen Ansatz der policy Review es gibt es seit ein paar Jahren, heute sind es schon 20-25 pro Jahr. Ähnliches könnte man sich auch für Deutschland wünschen, zum Beispiel für die KMU-Förderung oder die Förderung im Bereich Elektromobilität.

Eine weitere Session des heutigen Tages stand im Zeichen einer begleitenden Programmevaluation in der Region Limburg, in der Maastricht liegt. Es geht um eine stärkere Unterstützung der Universitäten und ihrer Kooperationen untereinander und mit Unternehmen in den nächsten zehn Jahren. Ziel dieser Maßnahme ist es, das gesamte Innovationssystem der Regionen zu stärken und auf ganz unterschiedlichen Dimensionen Effekte zu erzielen. Entsprechend ambitiös ist auch das Evaluationskonzept, das diese Impacts mit einem sehr breiten Set an Indikatoren messen möchte und auch vor der Herausforderung steht, kausale Effekte in komplexen Systemen nachweisen zu können. Beeindruckend ist aber, dass schon jetzt Monitoringdaten gesammelt werden, und dies mit der Perspektive, erst in einigen Jahren (2024) die eigentliche Evaluation vorzunehmen.

Sonntag, 25. September 2016

DeGEval Jahrestagung: von der Nützlichkeit der Evaluationen

Vergangene Woche habe ich mich in Salzburg rumgetrieben, auf der Jahrestagung der DeGEval. Motto der diesjährigen Tagung war: Nutzen und Nachhaltigkeit von Evaluationen. Beiträge zu einzelnen Sessions finden sich in Blogbeiträgen des Arbeitskreises FTI der Degeval, zum Beispiel hier, hier und hier.

An dieser Stelle möchte ich ein anderes Thema aufgreifen, das bereits in der Keynote von Professor Altrichter Beginn angesprochen wurde. Nämlich die Frage, wie Evaluationsergebnisse tatsächlich genutzt werden, wie es also um die Nützlichkeit steht. Professor Altrichter führte dies in seinem Vortrag am Beispiel von Schulinspektionen aus. Er kam zu dem etwas ambivalenten Schluss, dass zwar die Erwartung solcher Inspektionen bereits erhebliche Wirkung in den Institutionen, also den inspizierten Schulen auslöst. Dass aber andererseits die Ergebnisse solcher Inspektionen kaum konkret zu einer Veränderung führen. Evidenz ist also möglicherweise da, diese wird aber nicht für ein verändertes Handeln genutzt.

Nun ist die Situation in der FTI Politik ein wenig anders. Hier gibt es keine Schulinspektionen oder vergleichbare Instrumente. Gleichwohl erscheint ist mir aber durchaus plausibel, dass ähnliche Effekte wirken. Der Weg ist quasi das Ziel. In der Auseinandersetzung mit Evaluationsprozess werden Veränderungen angestoßen, während die Nutzung von Evaluationsberichte marginal bleibt. Die hat auch damit zu tun, dass sich Evaluationen im FTI Bereich über geraume Zeit hinziehen Köln. Es ist also auch aus Sicht der Akteure rationaler, bereits im Prozess den Impuls aufzunehmen und Veränderungsprozesse anzustoßen, als auf die Endberichte zu warten.

Ein weiterer Effekt wurde in einer der oben genannten Sessions der Tagung angesprochen, nämlich das kumulative Lernen aus immer wiederkehrenden Evaluationsprozessen. Es ist weniger das Ergebnis einer konkreten Evaluation, das zu veränderten Verhalten führt, als vielmehr die wachsende Erfahrung, die im Verlauf von Evaluationsprozessen durch verschiedene Akteure gesammelt wird.

Aber was ist dann mit Daten- und Fakten- geleitete Evidenz, die wie eine Monstranz als letztes Ziel der Evaluation voran getragen wird? Wird dieses Denkmal durch solche Vermutungen vom Sockel gestoßen? Ich glaube nicht. Für mich wird in solchen Überlegungen viel mehr deutlich, dass Evaluationen vor allem anderen Lernprozesse initiieren und begleiten, die dann auf sehr unterschiedliche Weise auch neue Evidenz in die Entscheidungsfindung einbringen. Daten und Fakten spielen darin eine Rolle, sie sind aber nicht unbedingt die dominierenden Faktoren.

Samstag, 17. September 2016

Schon wieder wissenschaftliche Politikberatung

Im Moment lässt mich das Thema wissenschaftliche Politikberatung nicht los. Als vor einigen Wochen die Erde in Mittelitalien bebte und die Stadt Amatrice  verwüstete, war gerade in den ersten Stunden und Tagen noch unklar, wie  wahrscheinlich schwere Nachbeben sein könnten. Angefragt wurden hierzu natürlich wissenschaftliche Experten, also Geologen, aber die konnten auch nur sehr unbefriedigende Antworten geben.

Wie schwierig es ist, wissenschaftliche Politikberatung über Risiken von Naturkatastrophen richtig zu machen, zeigt dieser Artikel zu Beratungsdilemata der Fachleute. Letztendlich schildert er ein Problem, das nicht neu ist. Schon das Erdbeben in L'Aqilla führte die Schwierigkeiten, statistische Wahrscheinlichkeiten und Risiken verständlich zu kommunizieren, mehr als deutlich vor Augen. Damals kamen bei Nachbeben viele Menschen ums Leben, und einige Geologen wurden daraufhin strafrechtlich belangt (aber mittlerweile freigesprochen), weil sie falschen Rat gegeben hätten.

Eine Studie der OECD zur wissenschaftlichen Politikberatung,  an der ich auch teilnehmen konnte, nahmen diese Entwicklungen zum Ausgangspunkt einer Untersuchung über Herausforderungen der wissenschaftlichen Politikberatung. In der Studie ging es auch, aber nicht nur um Politikberatung hinsichtlich von Risiken und Katastrophen.

Letztere sind auch in Deutschland in den letzten Tagen intensiver diskutiert worden. Das neue Konzept der Bundesregierung zur zivilen Verteidigung hat ganz schön Staub aufgewirbelt. Die Diskussion drehte sich insbesondere darüber, wie weit der Einzelnen vorsorgen muss und wie er die ganzen Lebensmittelvorräte dann lagern soll. Ich habe es mal nachgerechnet: allein Wasser müsste ich nach diesem Konzept etwa 40 Liter im Keller haben. Andererseits ist das alles nicht neu. Das Bundesamt für Bevölkerungsschichten und Katastrophenhilfe hat entsprechende Ratschläge schon seit langem auf seiner Homepage.

Wie schnell in einer Katastrophensituation sämtliche Systeme zusammenbrechen können, hat Marc Elsberg sehr schön in seinem Roman blackout vor einigen Jahren geschrieben, dass auch bei professionellen Katastrophenschützern heiß diskutiert wurde.

Katastrophenschutz ist also okay, aber wie realistisch ist das Ausgangsszenario der Bundesregierung. Hier setzte die zweite Dimension der Kritik ein. War das Panikmache, jetzt von einer militärischen Bedrohung auszugehen? Oder greift hier nur die Verantwortung der Bundesregierung, für alle Eventualitäten gerüstet zu sein? Schließlich gab es auch schon zuvor ein Konzept zur zivilen Verteidigung, es wurde ja nur aktualisiert. Und wie wichtig unterschiedliche Szenarien sind, hatte ich ja gerade erst in einem meiner letzten Blogs zum Thema foresight thematisiert.

Irgendwie bleibt aber schon ein komischer Nachgeschmack, aber seis drum. Mich erinnern solche Bedrohungsszenarien irgendwie an die frühen 80er Jahre, als sich Ost und West noch sehr kriegerisch gegenüberstanden. Aus dieser Zeit ist mir noch ein wirklich lustiger, sehenswerter Film in Erinnerung geblieben, der die Schizophrenie am Beispiel der Atombegeisterung und Atomangst der 50er bis 70er Jahre deutlich macht. Der Film "The Atomic Cafe" hat zum Beispiel herrliches Sehnen, wie laienhaft und skurril der Schutz vor einem atomaren Angriff in den 50er Jahren in Aufklärungsfilmen bebildert wurde.

Der nahenden Katastrophe lassen sich also durchaus auch lustige Seiten abgewinnen. Der Tagesspiegel zeigte gerade in einem Bericht,  dass sich aus den Vorräten des Katastrophenschutzes leckere Gourmet-Menues kochen lassen. Und dann gibt es natürlich noch die lustigen Prepper. Das Leben wird komplett der Vorsorge für den individuellen Katastrophenfall untergeordnet. Mich erinnert das ein wenig an die netten Abenteurer und Aussteiger Bücher zum Überleben in der Wildnis, Rüdiger Nehberg oder so.

Aber solche Bücher sind heutzutage auch von ganz anderem Kaliber. Gerade habe ich das Handbuch für den Neustart der Welt gelesen, mit dem wir uns nach der totalen Katastrophe, den globalen Mega-Virus zum Beispiel, langsam wieder technologisch hoch arbeiten sollen. Das ist natürlich nur Verpackung, die Rahmenhandlung sozusagen, um dann einen Rundumschlag über die technologischen Errungenschaften unserer Zivilisation zu starten. Mein Sohn fand das sehr spannend. Mir war es manchmal zu enzyklopädisch. Aber dann doch wieder gute wissenschaftliche Politikberatung?

Sonntag, 21. August 2016

Gründerhauptstadt?

Im September wird in Berlin gewählt, schon jetzt wurden die Berliner Parteien von BITKOM und dem Online-Magazin Gründerszene gefragt, wie sie zur Gründungsförderung in der Hauptstadt stehen.

Startups sind hip, und natürlich sind alle Berliner Parteien dafür, diese auch in Zukunft weiter zu fördern. Die konkreten Vorschläge der Parteien sind dann aber relativ langweilig. In den Schulen sollen zum Beispiel mehr Whiteboards stehen, die IBB, also die Berliner Investitionsbank soll ihre Gründungsunterstützung in ähnlicher Höhe beibehalten, Breitband ist natürlich wichtig, und irgendwie soll auch die Bürokratie abgebaut werden, damit Gründer schneller gründen können.

Gründerszene kommt zu dem Fazit, dass alle irgendwie was machen wollen, aber auch, dass Berlin als Gründungsstandort stark ist und vermutlich auch stark bleiben wird, aber nicht wegen der besonders Durchschlag der politischen Aktivitäten, sondern eher, weil Berlin attraktiv für Gründer ist und die Szene aus sich selbst heraus wächst. Hauptsache also, die Politik schadet nicht?

Aber wie stark ist Berlin tatsächlich als Gründungsstandort? Hierzu gibt es aktuell sehr ambivalente Einschränkungen. Aufgeschreckt hat manche Kommentatoren einerseits eine neue Studie von EY. Demnach hat Berlin seine Spitzenposition bei den Startup Investitionen gegenüber London, Paris und Stockholm wieder eingebüßt. Grund dafür ist vor allem, dass letztes Jahr, als die Sensationsmeldung über Berlin als Europas Startup-Hauptstadt durch die Medien gingen, Sondereffekte zum Tragen kamen, wie zum Beispiel die hohen Investitionen in die Rocket Internet Firmen. Die aktuelle Situation ist also näher am tatsächlichen Potenzial der deutschen Hauptstadt. Aber insgesamt sind sich die EY-Fachleute zufrieden, weil in der Breite die Substanz an Gründern da ist und dies auch in Zukunft Wachstum und Entwicklung der Gründerszene in Berlin bedeutet.

Aber vielleicht bringt ja das neue Hypethema fintech zusätzlichen Schub für die hauptstädtische Szene, zumal sich viele Hoffnung machen, nach dem Brexit-Referendum London um seine fintech - Szene zu beerben. Neueste Zahlen einer aktuellen Studie scheinen diese Hoffnungen zu bestärken. Die noch kleine fintech - Szene wächst.

Das Magazin brand eins ist hier allerdings skeptischer, ob fintech wirklich das Zeug für viele neue Unternehmensgründung hat. Die Autoren sehen hier die etablierten Banken deutlich besser positioniert, um mittelfristig echte Gewinne aus fintech-Lösungen zu schlagen.

Unterm Strich bleibt Berlin aber eines der dynamischsten Gründungszentren Europas. Und natürlich kann die Politik dazu beitragen, Gründungsaktivitäten zu fördern und Gründungsneigung in zu stärken. Es gibt es auch weiterhin viele Gruppen, die bislang ihr Potenzial nicht voll ausgeschöpft haben, beispielsweise Gründerinnen. Hierzu habe ich gerade mit einer Kollegin eine neue kleine Studie veröffentlicht, die ich aber erst in einem meiner nächsten Blogs vorstellen werde.

Donnerstag, 11. August 2016

Was wäre wenn? Foresight-Stories

Heute habe ich per Podcast eine längere Podiumsdiskussion zum Brexit und der Wissenschaft bei Dradio Wissen nachgehört, die mich in mehrfacher Hinsicht zum Nachdenken gebracht hat. Es diskutierten Prof. Görner und Prof. Strohschneider, unter anderem über englische (und andere) Populisten. Diese zeichneten sich nicht nur durch ihre Vorlieben für einfache Erklärungsmuster aus, sondern auch durch ein tendenziell wissenschaftsfeindliches Grundverständnis. Riefen sie heute noch Parolen von Lügenpresse, so könnte das morgen schon die Lügenwissenschaft sein.

Alles sehr unappetitlich, aber dann doch auch aus Sicht der Diskutanten auch eine Reaktion auf ein technokratisches Politikverständnis in London und Brüssel, welches die beiden Herren dann flugs gleichsetzten mit einem ökonomischen Imperativ, der kurzfristigen wirtschaftlichen Mehrwert für alles einfordert und demokratische Diskurse gefährdet. Diese Stilisierung des Technokratentums klang in meinen Ohren allerdings nur graduell besser als bei den zuvor gescholtenen Populisten.  

Ebenso einig waren sich die beiden Professoren über ihr Entsetzen angesichts der kopflosen Reaktionen der Brexit-Befürworter. Kaum hätten sie gemerkt, dass sie sich verzockt haben, hätten sie sich aus der Verantwortung gestohlen. Eine klare Vorstellung vom Szenario des Europaaustritts, von den Handlungsmöglichkeiten und Handlungsnotwendigkeiten, hätte bei den politischen Entscheider nicht vorgelegen.

Handelt es sich auch hier um den klaren Fall des Versagens bei der Politikberatung? Ich weiß es nicht, ich kenne die britische Landschaft der Politikberatung nicht gut genug. Auf jeden Fall sind mir in diesem Zusammenhang wieder die jüngsten Foresight'Studien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Erinnerung gekommen. Die wohl durchaus kontrovers diskutierte Studie zu möglichen Entwicklungen in Russland, und die übergreifende Studie zu Szenarien der internationalen Politik.

Der Brexit übrigens kommt als internationale szenario in letztgenannter Studie nicht vor. Dafür hatte sich die Zeit in einem ein wenig ironisch gemeinten Artikel, der vor der eigentlichen Brexit-Entscheidung erschienen ist, an so etwas wie ein Szenario gewagt.

Doch nun zuletzt noch einmal auf die britischen Inseln und zu ihrer Foresight-Kultur. Wirkliche rundrum gelungen finde ich die folgende Übung in Zukunfts-Vorausschau: Der Economist veröffentlichte im Mai seine jährliche Sammlung "The World if ", in der er nicht nur einen Blick in die Kristallkugel möglicher Zukünfte wirft, sondern auch alternative Verläufe der Geschichte skizziert. Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn sich die beiden Hälften Deutschlands nicht wiedervereinigt hätten.

Außerdem ist für ihn Teil von Foresight auch ein Blick in Technologieentwicklung und gesellschaftliche Trends. Was wäre zum Beispiel, wenn Algorithmen Gesetze schrieben? Sehr spannend! Technologieentwicklung und soziale Trends schließlich sind Perspektiven, die deutsche Foresight-Prozesse in der Innovationspolitik abgedeckt haben. Womit ich am Ende dann doch noch glücklich den Bogen zur Innovationspolitik hinbekommen habe.

Montag, 8. August 2016

Philanthropen?

Vor zwei Wochen brachte die Print-Ausgabe der Zeit (update 13.8.: jetzt online) in ihrem Wirtschaftsteil einen großen Artikel zu den sogenannten neuen Philanthropen. Anlass war die Entscheidung der BMW-Großaktionärin Susanne Klatten, 100 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren für soziale Zwecke zu spenden.

Der Artikel berichtete, wie gerade in den USA eine regelrechte Spenden-Lawine von Superreichen losgetreten wurde, ausgehend von einer Initiative von Warren Buffett und Bill Gates. Der Artikel geht weiter darauf ein, dass es eine lange Tradition in den USA gibt, angefangen bei den Industrie-Baronen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, den Carnegies undRockefellers.

Die spendenfreudigen Milliardäre von heute sind aber doch etwas anders, wie ich schon vor ein paar Monaten in diesem Blogbeitrag berichtet hatte. Sie sind viel jünger, und sie sind möglicherweise auch dann, wenn sie Gutes tun, knallhart auf marktwirtschaftliche Mechanismen ausgerichtet. Das zeigt sich in der Art und Weise, wie sie stiften und spenden. Effizienz ist alles, mit dem geringsten Aufwand soll der größtmögliche Nutzen erreicht werden. Die Rendite muss stimmen. Und dafür muss auch gemessen werden können, dass das Spenden-Investment zu Erfolgen führt.

Die Autoren der Zeit meinen, dass dies eine ganz neue Qualität soziale Arbeit nach sich ziehe. Diese müssen nur beweisen, dass sie auch Nutzen stiftet. Dieses allerdings ein hehrer Anspruch, der nicht immer leicht einzulösen ist.

Welch sonderbare Blüten es treiben kann, zeigt  ein Artikel zum Thema Bewertung von sozialen Projekten der Zeitschrift brand eins. Mittlerweile haben sich etliche Beratungsfirmen darauf spezialisiert, Stifter zu unterstützen und Messsysteme zu entwickeln, um tatsächlich den Erfolg des "sozialen Investments" zu messen. Aber es lässt sich halt nicht alles so messen, wie man sich das wünscht. Das oben verlinkte brand eins Heft ist übrigens eine gute Sammlung von Artikeln zum Thema messen und bewerten in allen möglichen Lebenslagen und Kontexten.

Zurück zum Zeit-Artikel. Dieser vermittelt den Eindruck, als wenn eine Kontrolle der Wirksamkeit sozialer Aktivitäten, sei es Sozialarbeit in Deutschland oder Entwicklungspolitik, durch private Stifter ganz neu eingeführt worden wäre. Das ist natürlich Quatsch. Auch staatliche Akteure versuchen seit langem, die Wirkung ihrer Politik zu messen und zu überprüfen. In der Entwicklungspolitik zum Beispiel hat die Evaluation von Förderung eine lange Tradition und ist besser etabliert als in allen anderen Politikbereichen.

Für mich schwingt hier ein ganz anderer Subtext mit. Unternehmer halten sich für die besseren Politiker. Populisten in den verschiedensten Ländern, in den USA, in Tschechien, in Italien wagen die These, das angeblich erfolgreiches Unternehmertum auch gutes Regieren garantieren würde. Mal davon abgesehen dass die meisten Beispiele der jüngeren Geschichte, nehmen wir nur einmal Silvio Berlusconi (und hoffentlich nicht bald auch Donald Trump), nicht gerade die Belastbarkeit dieser These belegen, so liegt den ganzen auch einen sehr vereinfachtes Verständnis staatliche Verwaltung zugrunde. 

Schon die Bundeshaushaltsordnung fordert effizientes und effektives Handeln dieser Verwaltung. Natürlich gibt es auch hier Verschwendung und Fehlinvestitionen. Aber die gibt es in der privaten Wirtschaft auch. Auch die deutschen Vorzeige-Konzerne von Volkswagen über Siemens bis hin zu Daimler haben in der Vergangenheit gezeigt dass sie so manchen Euro in den Sand setzen können.

Und die Überzeichnung der Unternehmerpersönlichkeit, des Firmenlenkers als Held und Supermann schließlich bedient zwar die Sehnsucht vieler Menschen nach Vorbildern, hat aber mit der Wirklichkeit vermutlich recht wenig zu tun. Sie verschleiert nur, dass hier Einzelpersonen geradezu pervers große Summen an Reichtum anhäufen, ohne dass dies in einem Verhältnis zu ihrer Leistung steht. Da hilft dann auch das großzügige Spenden am Ende nicht mehr viel.

Samstag, 6. August 2016

Zeigt der Brexit das Versagen wissenschaftlicher Politikberatung?

Das ist ein ganz schön langer Kater. Auch Wochen nach dem Brexit-Referendum hält der Kopfschmerz an. Die britische Wissenschaft macht sich massive Sorgen um die Folgen für Forschung in Großbritannien. Ich hatte darüber in einem früheren Blogbeitrag berichtet. Und aktuelle Artikel zeigen, dass diese Sorgen eher zu nehmen. Britische Wissenschaftler fragen sich mittlerweile aber auch, warum ihre guten Argumente gegen einen Brexit nicht ausreichend dafür gesorgt haben, die Bevölkerung umzustimmen. Honorige Nobelpreisträger hatten alle Argumente zusammengetragen, warum der Brexit wirtschaftlich eine Katastrophe sein könnte. Ohne Erfolg. Sozialwissenschaftler hatten gezeigt, dass Einwanderung kein Problem, sondern ihr eine Lösung für das britische Sozialsystem sein könnte. Die Mehrheit der Wähler und insbesondere die meinungsgebenden Medien waren anderer Ansicht. Ist wissenschaftliche Politikberatung also unnütz und ohne Effekt?

Es gibt durchaus die Meinung, dass der Konsensus der Wissenschaft über die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit so groß durchaus nicht wahr.  Die Aussagen über mögliche Folgen wichen relativ stark voneinander ab, und dies hat  die Wirkung der  wissenschaftlichen Expertise auf die Debatte durchaus geschwächt.

Andere Wissenschaftler haben den Eindruck, dass ein ausreichender Konsens der Wissenschaft über die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit durchaus da waren, dass die Medien aber der wissenschaftlichen Meinung zu wenig Platz eingeräumt hätten.

Angesichts der Welle rechtspopulistischer Erfolge in anderen europäischen Staaten und des Erfolgs von Donald Trump im PräsidentschaftsVorwahlkampf geht eine weitere Diskussion darüber, ob Globalisierungsverlierer ausschlaggebend für den Brexit -Erfolg waren. Eine Reihe sozialwissenschaftlichen Analysen des Wählerverhaltens in unterschiedlichen britischen Regionen scheint diese These zu stützen. Andere Studien  beschreiben die Gruppe der  Brexit-Befürworter etwas allgemeine als  "left behind". Dieser Artikel wiederum geht davon aus dass spezifische Werteinstellung ausschlaggebend für das Abstimmungsverhalten waren. Bei der Suche nach den Gründen für das Brexit-Desaster scheint die Wissenschaft also etwas erfolgreicher zu sein.

Etwas hilflos ist "die Wissenschaft", soweit es die denn gibt, bei der Frage, was für Lehren denn aus dem Brexit zu ziehen sind. Diese Frage stellte die Zeitschrift Science fünf renomierten Wissenschaftlern aus Europa, und die Antworten sind, folgt man diesem Blogbeitrag, eher enttäuschen. In der Regel plädieren die Wissenschaftler dafür, ihr spezielles Steckenpferdchen mit noch mehr Fördergeldern zu stärken. Einen wirklichen Lösungsansatz hatten sie nicht parat.

P.S.  ... und die Debatte um notwendige Änderungen bei der wissenschaftlichen Politikberatung geht weiter, hier z.B. für die Ökonomen ...

Samstag, 16. Juli 2016

European Innovation Scoreboard

In der vergangenen Woche hat die Europäische Kommission mal wieder ihr European Innovation Scoreboard veröffentlich. Das macht sie jedes Jahr, und ich habe auch schon in einem meiner früheren Blogs darüber berichtet. Trotzdem lohnt sich ein Blick in die aktuelle Ausgabe, zumal man nicht nur den Gesamtbericht lesen, sondern auch auf einer aktiven Webseite Vergleiche zwischen Ländern und Einzelindikatoren anstellen kann.

Für Deutschland ist die Bilanz durchwachsen. Einerseits ist Deutschland weiterhin Teil der sogenannten Innovation Leader, also der Gruppe der innovationsstärksten Mitglieder der EU. Andererseits ist der deutsche Gesamtindex in den letzten Jahren eher stagnierend bis abnehmen, während andere Länder wie die Niederlande deutlich aufholen und schon fast gleichauf mit Deutschland liegen.

Interessant ist auch die Entwicklung der skandinavischen Länder. Während die top Länder Finnland und Schweden ihre schwächeln, holt Dänemark rasant auf. Es wäre schon spannend zu erfahren, was der Grund hierfür ist, ob bestimmte Politikansätze dafür verantwortlich sind.

Unterschiedlich auch die Entwicklung auf der iberischen Halbinsel. Während Portugal eher an Innovationsstärke gewinnt, rutscht Spanien ab. Und unsere großen westlichen Nachbarn Frankreich und Großbritannien wiederum sind eher auf einem  Aufwärtstrend, wenn auch nicht in der Spitzengruppe wie Deutschland.

Insgesamt nimmt die Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten der EU wieder ab. Es gab schon einmal einen auseinanderstrebenden Trend in der Nachfolge der Finanz- und Wirtschaftskrise, dann sei zunächst so aus als wenn die Länder in ihrer Innovationskraft wieder stärker zusammenrücken, aber jetzt scheint es sich wieder leicht auseinander zu bewegen. Innerhalb der einzelnen Gruppen allerdings ist eher Stabilität angesagt.

Bei all diesen Trends und Vergleichen muss man allerdings berücksichtigen, dass die Daten schon etwa 3 Jahre alt sind, dass dies also ein Blick in die Vergangenheit ist. Das ist auch den Machern des Innovation Scoreboard bewusst, und dieses Jahr haben sie zum ersten Mal darauf reagiert und versucht aktuellere Zahlen einzubeziehen und Trendaussagen zu formulieren. Das ist ein spannender Ansatz, den man sich auch für die deutsche Innovationen Statistik wünschen würde.

Für Deutschland ist der Trend übrigens eher negativ.

Mittwoch, 13. Juli 2016

Robotersteuer und Teamarbeit


in einem Interview hat sich der Chef der Post Frank Appel gerade für eine Robotersteuer ausgesprochen. "Man könnte zum Beispiel bei Arbeit, die von Menschen geleistet wurde, auf die Mehrwertsteuer verzichten – und nur die Arbeit von Robotern besteuern". Im selben Interview hat sich Appel übrigens gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, wie es gerade erst wieder anlässlich des Schweizer Referendums stark in den Medien diskutiert worden war.

Der Kontext ist klar. Die Angst davor, durch die neu heranrauschende Automatisierungswelle auf breiter Front Arbeitsplätze zu verlieren. Und die Senkung der Arbeitskosten ist natürlich ein bewährtes Mittel, um Arbeit attraktiver und Standorte sicher zu machen. Wenn der Arbeitgeberanteil zur Krankenkasse eingefroren wird, steckt genau diese Logik dahinter. Mir erschließt sich die Logik des Vorschlags trotzdem nicht.

Automatisierte Arbeit wird ja mit diesem Vorschlag relativ gesehen zu menschlicher Arbeit teurer. Und automatisierte Arbeit ist im weltweiten Wettbewerb sicher die Konkurrenz fähigere, ein Standortvorteil. Wir leben ja nicht in einem geschlossenen System. Das nun tatsächlich auf breiter Front menschliche Arbeit nach Deutschland kommt, weil hier Steuervorteile winken, halte ich für eher unwahrscheinlich.

Außerdem lässt sich das sicher nicht so fein auseinanderhalten, wo nur ein Mensch und wo nur ein Roboter gearbeitet hat. Das ist doch völlig weltfremd. In der Regel arbeiten Maschinen und Menschen zusammen, und das Bild vom Roboter führt sowieso in die Ehre. Es sind Softwaresysteme, die den Menschen unterstützen, es ist Intelligenz in der Maschine, die den menschlichen Arbeiter effizienter macht. Die will man da tatsächlich steuerrechtlich zu sortieren, was nur menschliche Arbeit ist.

Der große Trend in der industriellen Produktion ist doch gerade die kollaborative Arbeit von automatisierten Systemen und Menschen.

Apropos kollaborative Arbeit. Zu diesem Thema habe ich gerade einen Klassiker gelesen, das Buch Stahlhöhlen von Isaac Asimov aus den 50er Jahren. In diesem Buch beschreibt er sie mal auf die Vision einer Gesellschaft, in der Roboter und Menschen zusammenleben. Es geht ja ganz im Stil der 50er Jahre vor allen Dingen um humanoider Roboter. Der Held der Geschichte ist übrigens ein Polizist, und einen Roboter-Partner hat er auch.

Auch bei der Polizei wird heute zusammen mit automatisierten Systemen gearbeitet. Publicityträchtig sind immer Meldungen, indem es um Vorhersage Software, predictive computing geht. Ein ganz anderer Vorfall hat aber erst in den letzten Tagen für Aufsehen gesorgt. Der Fall eines Roboters, der eine Bombe zu einem Attentäter transportiert hat und sie dort explodieren ließ. Dagegen hilft auch kein Steuerrecht mehr.

Montag, 27. Juni 2016

Brexit und Wissenschaft

Jetzt ist es also passiert. Eine knappe Mehrheit der Briten hat sich für den brexit entschieden. Eine sehr weitreichende Entscheidung für die Zukunft aus sehr rückwärtsgewandten Motiven heraus. Eine Katastrophe für Großbritannien und für Europa.
Ziemlich eindeutig gegen den brexit und ziemlich deutlich entsetzt waren unter anderem Wissenschaftler auf der Insel (auch wenn es auch in dieser Community auch positive Stimmen gab). Aus ihrer Sicht profitiert Wissenschaft von internationalem Austausch und insbesondere vom europäischen Austausch in enormen Ausmaße. Der brexit trifft die Attraktivität des Wissenschaftssystems ebenso wie er die Chancen auf Austausch in gemeinsamen Projekten verringert.
Die Schweiz hat gerade erfahren, welche Probleme sich für das Wissenschaftssystem ergeben, wenn eine Bevölkerung in einem Referendum die Bande zu Europa lockert. Akzeptiert die Schweiz nicht die Freizügigkeit für das EU-Neumitglied Kroatien, so werden Schweizer Forscher in Zukunft nicht mehr am Forschungsrahmenprogramm teilnehmen können. Und war nicht gerade die Freizügigkeit eines der großen britischen Probleme?
Wenn auch die Überstürzung auf dem Kontinent allgemein sehr groß ist, so beginnen sich doch auch einige potentielle Krisengewinnler mehr oder minder heimlich die Hände zu reiben. Profitiert der Bankenplatz Frankfurt vom Abstieg des Bankenplatzes London? Wird Berlin zur Fintech-Metropole Europas? Wird die deutsche Gründerszene vielleicht ganz allgemein profitieren?
Vielleicht ist ja dieser ganze neumodische Technikkram überhaupt erst Schuld am brexit. Eine leicht verschwörungstheoretisch angehauchte Studie zumindest beschreibt, wie die Argumente für einen Ausstieg Großbritanniens in den sozialen Medien in den letzten Wochen dominierten, und das nicht wegen der menschlichen Kommentare, sondern wegen der bots. Bereits im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gab es ja den Vorwurf, dass soziale Medien wie Facebook die politische Diskussion und potentiell damit auch das Wahlverhalten massiv beeinflussen könnten.
Vielleicht ist das Ergebnis des brexit-Referendums aber auch eine Verschwörung der Alten gegen die Jungen. Wie soll da noch zukunftsgewandte Politik gemacht werden? Einen gewagten Vergleich sieht angesichts dieser Diskussion Tyler Cowen  in seinem regelmäßigen Block und verweist auf eine in den letzten Tagen veröffentlichte Studie zum Verhalten unsere nächsten Verwandten.

Update: hier ist ein live blog von Science Business zum Thema brexit, science and technology

Samstag, 18. Juni 2016

Mittelschicht, Mittelstand und andere Mythen

Neben Gemeinplätzen wie deutscher Gemütlichkeit oder dem deutschen Wald nimmt die deutsche Mittelschicht einen herausragenden Platz im Selbstverständnis dieser Nation ein. Gestern las ich in einem Feuilleton-Artikel der Süddeutschen Zeitung (hier, allerdings hinter der Bezahlschranke) eine erfrischende Dekonstruktion dieses Mythos.

Der Soziologe Stephan Lessenich skizzierte im Interview, wie gemütlich sich die Mittelschicht seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts im deutschen Sozialstaat eingenistet hat und diese Position durch Abschließungstendenzen gegenüber anderen sozialen Milieus verteidigt. Die Mittelschicht ist wirtschaftlich privilegiert, und sie nimmt für sich politisch in Anspruch, die Leitlinien der deutschen Politik wesentlich zu gestalten.

Ängste um die Auflösung der Mittelschicht hält Lessenich im Wesentlichen für eine Fantasie. Die Mittelschicht habe seit fast 70 Jahren die Erfahrung gemacht, dass es immer bergauf gehe, dass ihnen das Wirtschaftswachstum der Republik zugutekomme, sie ihren Wohlstand auch an ihre Kinder und Enkel vererben können und dass sie das gesellschaftliche und politische Leben dominieren.

Nun droht angesichts säkulare Stagnation ein Ende dieses Dauerwachstums, und der technologische Fortschritt schafft neue Unübersichtlichkeiten und schwer planbare Karrierepfade für die Kinder, die neuen Reichen der digitalen Revolution machen zudem den Mittelstand den Thron als Regent dieser Gesellschaft streitig.

Ein vergleichbarer Mythos wie die deutsche Mittelschicht ist meiner Meinung nach der deutsche Mittelstand. Stütze der Wirtschaft und Garant für Wachstum und Wohlstand, ist er sicher der meistgenannte Akteur des deutschen Wirtschaftsystems.

Im Vergleich zu KMU anderer Länder soll er besonders innovativ sein. Im Vergleich zu Großunternehmen soll er besonders flexibel und agil sein. Natürlich setzt er nicht auf Shareholder-Value, sondern denkt langfristig und strategisch. Und schließlich kümmert er sich fürsorglich um seine Mitarbeiter.

Das alles trifft aber letztlich bloß für einem kleinen Teil dieser heterogenen Gruppe der Unternehmen zu. Die sogenannten hidden champions zum Beispiel sind tatsächlich besonders innovativ und erfolgreich. Im Mittelstand insgesamt geht die Innovationsleistung seit vielen Jahren zurück, und es dominieren im deutschen Innovationssystem eigentlich die große Unternehmen. Ob der deutsche Mittelstand tatsächlich so flexibel und anpassungsfähig ist, daran lassen die besorgniserregenden Berichte um die Unfähigkeit, den Trend Digitalisierung schnell und effizient umzusetzen, doch ein wenig zweifeln.

Mit der Mittelschicht gemeinsam hat der Mittelstand die erfolgreiche Strategie der Abschließung gegenüber anderen Gruppen. Die aktuelle Diskussion um die Erbschaftsteuer macht dies noch einmal deutlich. Auch im Forschungsförderungssystem der Bundesrepublik hat es der Mittelstand geschafft, sich als einzig wahrer Fördermittelempfänger zu stilisieren. Zwar gehen auch Fördermittel an Großunternehmen, das schlechte Gewissen ist aber gar groß dabei.

Klar, eine starke Mittelschicht und ein starke Mittelstand klingt gut, aber ein wenig Skepsis gegenüber einer ausufernden Idealisierung dieser sozialen Konstruktionen ist schon angebracht.

Donnerstag, 9. Juni 2016

Schmetterlingseffek

Gestern hat mir meine Tochter ein Video über Wölfe im Yellowstone Nationalpark gezeigt. Es geht darum, wie die Wiederansiedlung von Wölfen das gesamte Ökosystem verändert hat. Hirsche haben ihr Verhalten verändert, Bäume sind nun gewachsen, wo sie bislang von diesem Hirschen klein gehalten wurden, und sogar Flüsse haben ihren Lauf verändert.

Ähnliche Effekte kann man manchmal auch im Bereich der Innovationspolitik beobachten. So zeigt dieser Artikel, dass das Auftauchen von Uber erhebliche Effekte auf die Gründungsintensität in einer Region haben kann. Insgesamt nimmt die Gründungsintensität ab, dies betrifft dabei insbesondere solche Unternehmen, die vermutlich eher zum Scheitern verurteilt gewesen wären.

Spannend ist auch folgender Zusammenhang, der nicht sofort ersichtlich ist. Im Moment gibt es in Deutschland ja eine intensive Diskussionen um die Übernahme des Roboterherstellers KUKA durch einen chinesischen Investor.  Ich hatte  darauf auch schon in einem letzten Blog  Bezug genommen. Warum die Chinesen gerade an KUKA so stark interessiert sind,  kann vielleicht  der folgende Bericht  verdeutlichen, indem von einer Roboter-Blase geschrieben wird, die in China seltsame Blüten getrieben hat. Da ist das Investment in deutsche High-Tech vielleicht ein sicherer Weg, um an die begehrte Hochtechnologie zu kommen.

Das ist ja schon fast der Sack Reis, der in China umfällt ... Oder doch der Schmetterlingsflügel ....