Samstag, 17. März 2018

Steven Pinker oder wie schön ist die Welt

Eine meiner Entdeckungen im vergangenen Jahr ist die Website Our World in Data, auf der in regelmäßigen Abständen neue Datensätze darüber veröffentlicht werden, wie weit wir tatsächlich eine Verbesserung in unterschiedlichsten Politikfeldern erleben. Es ist die Optimisten-Website par excellence. Rückgang der Kindersterblichkeit, weniger Verkehrstote, alles wird immer besser, so hat man den Eindruck.
In eine ähnliche Kerbe haut bald wieder Steven Pinker, ein amerikanischer Experimentalpsychologe und Kognitionswissenschaftler, der schon 2011 mit seinem Buch "Gewalt. Eine Geschichte der Menschheit" für großes Aufsehen gesorgt hatte. In diesem Buch trug Pinker eine Unzahl an Daten und Statistiken zusammen, um zu beweisen, dass unsere Welt immer weniger gewalttätig wird, dass die Zahl der Kriegstoten und derjenigen, die Gewaltverbrechen zum Opfer fallen, zumindest aus der Distanz betrachtet kontinuierlich zurückgeht.
Pinker ist damals vorgeworfen worden, es mit den Zahlen nicht ganz so genau zu nehmen. Herfried Münkler hat in einer Rezension damals hierauf hingewiesen, aber auch herausgearbeitet, dass es Pinker eigentlich nicht zentral und diese Daten geht, sondern auf die dahinter liegenden Prozesse, die er für den Rückgang der Gewalt verantwortlich macht. Es ist einerseits die befreiende Rolle des Staates und andererseits etwas, was Norbert Elias schon vor vielen Jahren als den Prozess der Zivilisation geschrieben hat.
Sein neues Buch, das in Deutschland den Titel "Aufklärung jetzt" tragen wird und erst im September erscheint, hat in den USA erneut für eine intensive Diskussionen gesorgt. Vorgeworfen wird Pinker unter anderem, einer fortschrittsgläubigen Argumentation zu folgen und die Rolle von Wissenschaft und Technik zu überhöhen, während normative Aspekte und Religion hinten runterfallen. Es sei naiv zu glauben, dass ich alle Probleme der Menschheit mit Wissenschaft und Technik lösen lassen.
Ich muss zugeben, noch habe ich Pinkers Buch nicht gelesen, aber die Rezessionen und die Diskussion, die damit ausgelöst werden, scheinen mir einige der Kernauseinandersetzungen der letzten Jahre um Wissenschaft und Technik zusammenzufassen.
Das Thema Technikgläubigkeit wird heute ja insbesondere mit dem Anspruch der großen Technologiekonzerne aus Silicon Valley verbunden, die mit ihren Innovationen die Welt beglücken und alle Probleme für immer lösen wollen. Das ist sicher ein wenig überzeichnet, aber möglicherweise ist es doch ganz gut, mal einen Schritt zurück zu treten und zu sehen, inwieweit Wissenschaft und Technik tatsächlich unser Leben besser gemacht haben. Und für viele Bereiche, von der Gesundheitsvorsorge bis zu den Arbeitsbedingungen der meisten Menschen, trifft dies ja auch zu. Sicher, Umweltprobleme haben sich in vielen Bereichen verschärft, und nachhaltig ist die aktuelle Entwicklung auch nicht. Wir wissen nicht, ob der Klimawandel, der durch viele Technologien von der Dampfmaschine bis zum Verbrennungsmotoren ausgelöst wurde, uns nicht in naher Zukunft in die Katastrophe führen wird.
Einen originellen Ansatz zur Diskussion von Sinnfragen, Religion und der Rolle von Technik hat Yuval Noah Harari 2015 vorgelegt. Wie die Zeit in einer Rezension schreibt, sieht Harari die Welt zunächst durchaus aus einer Perspektive des Kontrollgeewinns durch Wissenschaft und Technik, dir aber bald verloren gehen dürfte durch die Übernahme der Kontrolle durch mächtige Algorithmen und Systeme, die uns auf eine subtile Art und Weise manipulieren und beeinflussen werden, die wir uns heute noch gar nicht richtig auszumalen trauen. Das ist zwar manchmal  ein bisschen im Stile der Katastrophenszenarien, die von einer Machtübernahme durch Superintelligenz schwadronieren, gleichwohl ein interessanter Gedankengang um Kontrolle und Kontrollverlust durch Wissenschaft und Technik. Und eine Diskussion der Frage, inwieweit Sinnhaftigkeit so sehr notwendig ist, dass hier neue technologische Sinnstifter in die Rolle von Religion schlüpfen, um die aktuelle Leere zu füllen. Da ist sie dann wieder, die Diskussion um Sinn, um Religion und Vernunft, die auch Steven Pinker in seinem neuen Buch zu führen scheint.
Die Kritiker von Pinkers neuem Buch beschäftigen sich aber auch mit anderen Argumentationssträngen. So werfen sie ihm z.B. vor, das Thema Ungleichheit zu bagatellisieren, wenn er auf die Bekämpfung von Armut statt Ungleichheit hin argumentiert. Ungleichheit sei sehr wohl ein Problem, und außerdem hätten auch die Denker der Aufklärung, in deren Tradition sich Pinker sieht, den Finger in diese Wunde gelegt.
Andere wiederum werfen Pinker ein naives Verständnis der liberalen Weltordnung vor, die ein Ende der Geschichte suggeriere, das eher nicht zu erwarten sei.
Aber es gibt auch begeisterte Leser und Rezensionen, die Pinkers Versuch, die Wissenschaft vor den Zweiflern der Moderne zu retten, loben und preisen. Und vielleicht ist eine aufgeheizte, wissenschaftskritische Atmosphäre in den USA auch ein guter Grund, einmal dezidiert für rationales, wissenschaftliches Denken und Handeln zu plädieren.
Wer das Buch jetzt nicht auf Englisch lesen möchte und nicht bis September warten kann, dem sei diese Aufzeichnung eines öffentlichen Interviews von mehr als einer Stunde mit Pinker empfohlen:

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