Samstag, 19. Mai 2018

Akzelerationisten und Innovation

Vor ein paar Tagen las ich in der neuen Ausgabe von brand eins ein interessantes Interview mit dem Berliner Philosophen Armen Avanessian. Entgegen dem Zeittrend zu Entschleunigung, wie ihn der (ebenfalls) Philosoph Hartmut Rosa oder auch der Wachstumskritiker Niko Paech propagieren, sprach sich Avanessian dort für einen Beschleunigung der Moderne aus. Die Probleme unserer Zeit seien nur mit mehr Technologie, mit schnelleren Entwicklungsprozessen und einer deutlich dynamischen Anpassung auch der Politik zu bewältigen, wo vieles noch zu langsam gehe. Es könne nicht sein, Entschleunigung zu predigen angesichts der Herausforderungen, vor denen wir heute ständen. Es geht Avanessian darum, die positiven Aspekte von Technologie und Wissenschaft im Blick zu behalten und hier aufs Tempo zu drücken. Avanessian ist nicht allein, und die Bewegung hat auch einen schönen Namen, die Akzelerationisten. Mir war der Begriff komplett neu, deshalb habe ich ein wenig in gegoogelt und bin auf eine wirklich interessante Geschichte gestoßen.

Die Kollegen von brand eins sind nicht die ersten, die auf die Akzelerationisten gestoßen sind. In Deutschland hatte diese "Bewegung" den Höhepunkt der medialen Aufmerksamkeit schon in den Jahren 2013 folgende, nachdem das Buch #Akzeleration veröffentlicht worden war. Für die Frankfurter Allgemeine kam dort eine neue Linke zur Sprache, die den Kapitalismus durch Beschleunigung zerstören möchte. Im Deutschlandfunk wurde unter anderem die enge Verbindung des Akzelerationismus zu Science-Fiction hervorgehoben. Die Bewegung, ursprünglich in den 90er Jahren in Großbritannien entstanden, lies sich stark durch Bücher wie "Neuromancer" oder Filme wie Terminator und Matrix beeinflussen. Sie kann auch als besondere Ausprägung einer Popkultur verstanden werden, in der Technik, Kunst und Philosophie zusammenfließen. Die Schriften der Akzelerationisten wirken in ihrem assoziativen Duktus literarisch, Musik spielt in der Bewegung eine große Rolle. Außerdem hat die Zukunft des Menschen in einer technisierten Welt eine besondere Faszination für die Akzelerationisten, der Transhumanismus, also die Überwindung des biologischen Menschlichen durch eine Verschmelzung mit Technik, durch den Cyborg ist eine Fantasie, die auch im Akzelerationismus mitschwinkt. Es gab allerdings auch sehr kritische Stimmen, die dem Akzelerationismus ein geradezu totalitäres Verständnis von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nahe legten. Einerseits propagiert der Akzelerationismus ein Zukunftsbild jenseits von links und rechts, andererseits ist er schon lange in eben solche rechte und linke Fraktionen gespalten.

Den besten Überblick über die Entwicklung der Bewegung, die ursprünglich Texte französischer Philosophen der 70er Jahre aufgriff und dann mit den Frustrationen der 80er Jahre und den Utopien neuer Technologien ein Amalgam schuf, dass bis heute lebhafte Diskussion hervorruft, gibt ein langer Artikel im Guardian. Er beschreibt auch sehr anschaulich die geradezu sektenhafte Gruppendynamik des Kreises um Nick Land, die Euphorie und enge Zusammenarbeit,  die geradezu an die Factory von Andy Warhol einnert, aber auch die Spaltungen, das Abdriften zentraler Akteure in rechtsextreme Fraktionen, während andere sehr linke Gesellschaftsmodelle entwickelten.

In der aktuellen deutschen Diskussion sind eher die linken Vertreter des Akzelerationismus präsent, die Themen wie ein generelles Grundeinkommen oder ein Ende der Arbeit durch eine flächendeckende Automatisierung thematisieren. Im Karl-Marx-Gedenkjahr darf zudem nicht der Hinweis fehlen, dass die Diskussion um den Akzelerationismus auch immer wieder Bezug auf Karl Max genommen hat, insbesondere auch sein "Maschinenfragment". Hat Max tatsächlich eine Beschleunigung des technologischen Fortschritts herbeigesehnt, um die Früchte der Automatisierung zu ernten und gleichzeitig dem Kapitalismus den Todesstoß zu versetzen? Oder ist das eine verkürzte Lesart von Marx, um eigenen Thesen eine gewisse Würde und Autorität zu verleihen. Die digitale Revolution und Karl Marx wären allerdings ein Thema, das einen eigenen Blog-Einntrag verdienen würde. Fast alle Artikel der letzten Wochen und Monate, die sich mit Marx beschäftigen, verweisen an der ein oder anderen Stelle auf das genannte Maschinenfragment und die dort formulierte Vision einer technologischen Beschleunigung.

Bleibt noch klarzustellen: Dass aktuelle brand eins -Heft hatte eigentlich Entschleunigung als Titelthema, der Akzelerationismus war hier nur der kleine provokante Kontrapunkt.

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