Donnerstag, 10. Mai 2018

Foresight und Innovationspolitik

Vor ein paar Tagen veröffentlichte die Stiftung Wissenschaft und Politik ihre neue Foresight-Studie. Seit ein paar Jahren bringt die Stiftung, die einer der wichtigsten Think Tanks Deutschlands im Bereich internationale Politik ist, solche Studien heraus. Es geht darum, Szenarien alternativer Entwicklung internationaler Politik zu skizzieren, die zunächst unerwartet und unwahrscheinlich klingen, aber erhebliche Konsequenzen haben könnten. Also hohe Unwahrscheinlichkeit, aber hohe Auswirkungen. Ein bisschen das Konzept des schwarzen Schwans.

Foresight ist ein methodischer Ansatz, der im Bereich der Innovationspolitik seit vielen Jahren gern genutzt wird. Dabei geht es vor allen Dingen darum zu überlegen, welche Technologieentwicklungen möglich und wahrscheinlich wären, oder auch zu analysieren, welche gesellschaftlichen Trends Auswirkungen auf Innovationspolitik haben könnten, weil sie z.b. neue Bedarfslagen schaffen oder ein verändertes Nutzerverhalten bewirken.

Was ich bislang nicht kenne, sind Foresight-Ansätze dazu, wie sich die Politikebene selbst verändern könnte, welche Ereignisse dazu führen könnten, dass hier eingetretene Pfade verlassen werden müssen. Dies liegt vielleicht auch darin begründet, dass sich Innovationspolitik und ihre Rahmenbedingungen nur sehr gemächlich zu verändern scheinen. Vergleichende Innovationsindikator-Studien wie das European Innovation Scoreboard oder der Innovationsindikator damit immer wieder zu kämpfen, dass sich in kurzen Zeiträumen relativ wenig ändert im Vergleich zwischen unterschiedlichen national innovationspolitiken und den ihnen zugrundeliegenden Strukturen. Es kommt halt meistens auf relativ fest gefügte Strukturen an, die Branchenstruktur eines Landes, das Universitätssystem, die Unternehmenskultur und so weiter. Wie langweilig.

Aber natürlich sind auch externe Schocks denkbar, die solche eingetretene Pfade nachhaltig beeinflussen könnten. Das liegt schon in der Natur des Innovationskonzept, dass ja auf das Neue, das Disruptive setzt. Der technologische Durchbruch, der alles auf den Kopf stellt und etablierte Branche und Unternehmen hinwegfegen. So wie die Digitalisierung die analoge Fotografie vernichtet hat. Das ist z.B. die große Angst der deutschen Automobilhersteller, dass ein schneller technologischer Wandel, z.B. in der Elektromobilität, alte Geschäftsmodelle komplett umkrempeln und neuen Player ziemlich viele Marktanteile schenken könnte. Die Automobilbranche ist für Deutschland eine zentrale Größe in der Innovationspolitik. Der Stifterverband für die Wissenschaft, der jährlich die Forschungsausgaben der Privatwirtschaft untersucht, ist in seinen letzten Berichten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Konzentration auf die Automobilbranche in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter zugenommen hat. Wenn hier eine Branche zusammenbrechen sollte, weil sie durch den technologischen Wandel nicht mehr wirtschaftlich arbeiten kann, dann würde das massiv auf das gesamte Innovationssystem wirken, da riesige Mittel nicht mehr zur Verfügung stünden. Natürlich könnte der Versuch der Autobauer, hier mitzuhalten beim Technologieumbruch, auch dazu führen, dass noch mehr Geld in Forschung und Innovation gepumpt wird. Und nicht unwahrscheinlich ist,  dass sie damit Erfolg haben könnten und alles so bliebe wie bisher. Im Moment ist der Wechsel vom klassischen Verbrennungsmotor zum Elektromotor auch eher eine Schnecke als ein Rennpferd. Also ein eher unwahrscheinliches Szenario mit enormen Auswirkungen.

Geld kommt aber nicht nur von den Unternehmen, sondern auch vom Staat. Hier haben wir in den letzten 10 Jahren erlebt, wie die Politik echte Prioritäten gesetzt und die Ausgaben für Forschung und Innovation kontinuierlich und ziemlich erheblich erhöht hat. Das hat private F&E Investitionen weiter stimuliert, der Anteil der F&E Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist kontinuierlich gewachsen und Deutschland hat das selbst gesteckte Ziel von 3% hier praktisch erreicht. Die neue Bundesregierung hat sich darum das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 nun 3,5% anzustreben. Die F&E Ausgaben also weiter zu erhöhen. Aber wäre es auch denkbar, das hier schon früher das Ende der Fahnenstange erreicht ist, dass die Ausgaben nicht mehr so schnell wachsen, dass sie vielleicht sogar kaum noch wachsen oder gar schrumpfen? Der aktuelle Bundeshaushalt, die sich noch in der Beratung befindet und erst im Sommer verabschiedet wird, lässt schon erahnen, dass diese Ausgaben möglicherweise nun etwas langsamer wachsen. Verglichen mit den Vorjahren sind die Gelder, die für Forschung Innovation bereitgestellt werden sollen, nicht mehr ganz so üppig. Ja, es gibt vermutlich mehr Geld als im Vorjahr, aber andere Ministerien scheinen deutlich mehr rausgehandelt zu haben. Und das in Zeiten durchaus gut gefüllter öffentliche Kassen. Wie könnte die Situation erst aussehen, wenn die Mittel plötzlich knapp werden, weil z.b. eine Rezession droht, oder weil plötzlich in anderen Politikfeldern unerwartete Mehrausgaben anstehen. Da könnte der ein oder andere Finanzminister durchaus auf die Idee kommen, dass Forschung und Innovation in den vergangenen Jahren ja ganz gut bedient worden und das jetzt langsam mal Schluss ist. Das würde in einem System, das in den letzten Jahren an ein ständiges Wachstum gewöhnt wurde, ziemliche Schockwellen auslösen. Zumal in manchen Bereichen des Forschungs- und Innovationssystem schon quasi langfristig Mehrausgaben fest eingeplant wurden, so z.b. im Pakt für Forschung und Innovation, der die außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Institute finanziert. Das würde möglicherweise also zu noch heftigeren Rückgängen in anderen Teilbereichen führen müssen, um dies zu kompensieren.

Vielleicht ändert sich aber auch weniger die Höhe der Forschungs- und Innovationsausgaben, sondern die Art und Weise, wie dieser ausgegeben werden. Die Bundesregierung möchte ja in dieser Legislaturperiode endlich eine steuerliche Forschungsförderung einführen. Fast alle anderen Ländern haben ein solches Förderinstrument, nur Deutschland nicht. Die aktuell diskutierten Modelle sehen eine steuerliche Förderung allerdings nur als (kleinere) Ergänzung des bisherigen Fördersystems. Die direkte Förderung im Rahmen von Forschungsprojekten soll im Grundsatz nicht angetastet werden. Allerdings stehen für dieses Politikfeld insgesamt dann doch nur beschränkte Mittel zur Verfügung, was den einen gegeben wird, wird mittelfristig vielleicht den anderen genommen. Und der Blick über die nationalen Grenzen (z.B. auf die Niederlande) zeigt, dass in anderen Ländern die steuerliche Förderung sehr schnell zu einem erheblichen, ja gerade einem dominanten Instrument der Forschungs- und Innovationsförderung werden kann. Hier gebe es ganz klar Gewinner und Verlierer, das System würde ziemlich umgekrempelt werden.

Auch die internationale Landschaft, in der wir unsere Innovationspolitik betreiben, könnte sich unerwartet schnell ändern. Das zumindest legen auf den ersten Blick die Ereignisse in den USA seit dem Amtsantritt von Donald Trump nahe. Wissenschaft wird plötzlich zum Buhmann, Forschungsausgaben sollen massiv gekürzt werden, die Einwanderung von hochqualifizierten Fachkräften wird erschwert, der internationale Austausch behindert. Könnte dies zum Absturz des amerikanischen Wissenschafts- und Forschungsystems führen, würde das globale Powerhouse der Innovation in sich zusammenbrechen, und damit auch der beständige Strom an neuen Ideen, an exzellenten Forschungsergebnissen und Nobelpreisträgern? Würde das Deutschlands Wettbewerbsposition eher stärken oder schwächen? Möglicherweise stellt sich die Frage so bald nicht, denn der Blick auf die USA seit Trump zeigt auch, wie widerstandsfähig das Wissenschaftssystem ist. Der aktuelle Haushalt der amerikanischen Regierung sieht dann doch nicht die einschneidenden Kürzungen bei Forschungsausgaben vor wie zunächst befürchtet.

Und was sagt uns das alles nun? Sind das Indikatoren für Resilienz, für Widerstandsfähigkeit eines gut funktionierenden Systems, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland? Oder sind dies Pfadbhängigkeiten, die aufgrund struktureller Veränderungen nur schwer verändert werden können und die dann umso anfälliger für unerwartete externe Schock sind. Müssen wir uns Sorgen machen, oder können wir uns entspannt zurücklehnen? Eine vertiefte Foresight-Analyse im Sinne der obigen Skizze könnte durchaus interessant sein. Was wäre, wenn ....?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen