Wer einmal einen Fiebertraum hatte, weiß, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Traum manchmal schwer fällt. Im normalen Wachzustand sollte dies dann aber doch klar und eindeutig sein, außer ... Außer die Illusion ist so perfekt, dass man darauf reinfallen muss. Das ist der Kern der Simulations-Hypothese, die seit geraumer Zeit insbesondere in den USA ihr Unwesen treibt. Gerade erst habe ich wieder einen Artikel gelesen, der behauptet, zwei Multimilliardäre aus dem Silicon Valley würden jetzt Wissenschaftler bezahl, die Simulation-Hypothese zu beweisen. Zitiert wird dabei ein Artikel im New Yorker. Es ist nur ein sehr kleiner Abschnitt in einem sehr langen Text:
Many people in Silicon Valley have become obsessed with the simulation hypothesis, the argument that what we experience as reality is in fact fabricated in a computer; two tech billionaires have gone so far as to secretly engage scientists to work on breaking us out of the simulation.
Ich hielt die ganze Diskussion bis vor kurzem für einen ziemlich spinnerte Idee einzelner Verrückter. Dann habe ich nachgegoogelt und gemerkt, dass dies eine seit langem mit überraschender Ernsthaftigkeit geführte Debatte ist (was natürlich weiterhin nicht in Frage stellt, daß es eine ziemlich spinnerte Idee ist). Hier ist eine Website, die alle möglichen Quellen und Artikel zum Thema zusammengestellt hatten.
Ich habe mich dann als nächstes gefragt, was eigentlich gerade heute zum aufpoppen solche Fantasien geführt hat. Natürlich ist es möglich, dass der absurde Wahlkampf um das Präsidentenamt in den USA die Amerikaner zu der Einsicht gebracht hat, dass dies nicht die Wirklichkeit sein kann. Na ja, wirklich plausibel ist das natürlich nicht.
Vielleicht sind es ja auch die ersten Erfahrungen in der Virtual Reality, die mit den neuen 3D Brillen von Google, Samsung und Oculus Rift möglich sind. Ich habe zwar nur mit der Billigvariante von Google herumexperimentiert, fand aber die Erfahrungen wirklich beeindruckend. Eine Achterbahnfahrt mit Google Cardboard, da bin ich ganz froh, dass das nur eine Simulation ist und ich die Brille wieder absetzen kann. Man kann aber auch in andere Menschen schlüpfen und spannende Erfahrungen machen,
zum Beispiel die Welt aus der Perspektive eines Autisten erfahren.
Vielleicht sind die Vertreter der Simulationshypothese aber auch nur, nun ja, ein wenig verrückt? In der klinischen Psychologie wird ja der krankhafte Realitätsverlust als Psychose bezeichnet. Andererseits ist die philosophische Auseinandersetzung mit der Realität sowohl in Europa wie auch im fernen Osten seit der Antike verbreitet. In China zum Beispiel gibt es hier für die Metapher des Schmetterlingstraums, über den ein chinesischer Philosoph im dritten Jahrhundert vor Christus berichtet. Er träumt, er sei ein Schmetterling, erwacht daraus und ist wieder er selbst. Oder ist er nur der Schmetterling, der davon träumt ein Mensch zu sein?
Das Zweifeln an der Wirklichkeit der Realitätswahrnehmung hat also eine lange Tradition und kann nicht gleich als Spinnerei abgetan werden. Und auch der Auftrag an die Wissenschaftler reiht sich ein in eine solche Tradition. Was hier die Suche nach den Schöpfern der Matrix ist, war in der christlichen Tradition die Frage nach dem Gottesbeweis, die manchmal ganz logisch-mathematisch gelöst wurde.
Die Frage nach Wirklichkeit oder Simulation durchzieht die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Wenn Maschinen intelligent werden, kann ich dann mit ihnen einen Dialog führen wie mit einem normalen Menschen? Entscheidet meine Illusion über die Menschennatur meines Gegenüber, ob dieser Gegenüber intelligent ist? Ist das nicht der tiefere Sinn des Turing-Tests?
Vielleicht ist aber die eigentliche Simulation diejenige, die wir in unserer Fantasie vornehmen oder in Filmen und Büchern Wirklichkeit werden lassen. Und diese Fantasien nehmen wir dann auch mit in die Wirklichkeit, sie sind unsere 3D Brillen, die dem Blick auf die reale Welt um schreiben.
Wie Science Fiction -Fantasien instrumentalisiert werden, um neue Wirklichkeiten zu schaffen, lässt sich meiner Meinung nach ganz schön am Beispiel des Cybathlon zeigen, der gerade in Zürich stattgefunden hat. Es ist eine Art Leistungsschau der Prothetik, die als Wettkampf, als Challenge inszeniert wurde und mit den Begriffen des Cyborg spielt. Dabei sind die Aufgaben, die hier in Wettkämpfen zu meisten sind, sehr nah an den Alltagsherausforderungen von Menschen mit Einschränkungen. Es sind keine europäischen Paralympics, sondern ein publikumswirksame Testlauf alltagstauglicher Assistenzsysteme. Aber die Inszenierung hat funktioniert, die Medienresonanz war ziemlich groß. Und wenn Prothetik hip Stadt tabuisiert wird, ist das ein schöner Erfolg. Die schönsten Beiträge zum Cybathlon finden sich hier, hier, hier, hier und hier.