Gestern habe ich mir als Podcast den Vortrag eines Archäologen zum Thema Innovationen in der Frühgeschichte angehört. Ich beschäftige mich zwar beruflich schon wirklich lange mit Innovationen, und Geschichte, auch die Ur- und Frühgeschichte, fand ich schon immer spannend, aber diesem Zusammenhang hatte ich bisher noch nie gesehen. Dabei ist es eigentlich natürlich ziemlich einleuchtend. Archäologen machen sich Gedanken über frühe Kulturen. Sie versuchen also, menschliche Gesellschaften anhand ihrer kulturellen Eigenarten zu beschreiben und vor allen Dingen die Interaktion zwischen diesen Kulturen zu analysieren. Veränderungen in den Kulturen, die sich vor allen Dingen an Innovationen festmachen, sind dabei ein wichtiges Merkmal. Von daher müssen sich Archäologen zwangsläufig mit der Frage beschäftigen, was Innovationen sind, warum Gesellschaften Neues hervorbringen und warum sich dies durchsetzt, wie sich Innovationen verbreiten, und vor allen Dingen, wie diese Verbreitung zu interpretieren ist. Mindestens drei Fragen sind dabei zu beantworten, die sich auch die moderne Innovationsforschung stellt.
Warum wird überhaupt innoviert? Vermutlich sind es schon äußere Veränderungen, ist das der Stress, der Menschen dazu bringt, sich neue Lösungen zu überlegen. Not macht erfinderisch, wie der Autor in meinem Vortrag meint. Ich finde, das kann man schön sehen an der aktuellen Flüchtlingssituation, die ja auch Stress für unsere Gesellschaft ist, und in der unheimlich viel innovatives Potenzial freigesetzt wird.
Dann ist ja die Frage, ob Innovationen immer nützlich sind. Ob sie also einen wirtschaftlichen Vorteil bringen. Und da heutzutage vor allen Dingen innovationsökonomen das Geschäft der Innovationsforschung betreiben, fällt die Analyse häufig zu Gunsten des ökonomischen Nutzens aus. Aber die Geschichte, und zwar die lange Geschichte angefangen in der Jungsteinzeit zeigt wohl, dass die Nützlichkeit nicht immer der ausschlaggebende Grund ist, neues anzunehmen. Häufig sind dassoziale Prozesse, die mit Prestige zu tun haben, mit kultischen Fragen, oder einfach auch mit Geschmack. Das schönste Beispiel des Vortrags fand ich den Übergang von der Jäger- und Sammler-Gesellschaft zur Sesshaftigkeit mit Ackerbau und Viehzucht. Das war für den Einzelnen nicht wirklich ein positiver Wandel, da nun lange harte Arbeit den Tag strukturierte, während die Jäger und Sammler viel mehr freie Zeit gehabt hatten. Gesamtgesellschaftlich war das Ganze aber scheinbar schon ein Erfolgsmodell, sonst hätte es sich nicht durchgesetzt.
Und die dritte Frage ist vor allen Dingen für die Geschichtsforschung eine zentrale. Haben sich Innovationen ausgebreitet, weil sie von Menschen mit genommen wurden, oder sind nur Ideen gewandert. Haben wir es also mit einem Phänomen des Transfers zu tun oder der Migration. Das ist dann zentral, wenn man die Frage beantworten möchte, ob zum Beispiel der Ackerbau durch Menschen mitgebracht wurde die dann in Mitteleuropa sesshaft wurden, oder ob einfach die Technik des Ackerbaus Stück für Stück aus dem Balkan und Donauraum bis nach Mitteleuropa weitergegeben wurde. Ein anderes Beispiel sind die vielen Kulturen, die sich nur an unterschiedlichen Keramik -Stilen identifizieren lassen, Bandkeramik und so weiter. Auch hier kann man fragen, ob dahinter tatsächlich auch einheitliche Gruppen standen, die sich auch biologisch als miteinander verwandt festmachen lassen, oder ob ihr einfach eine Mode weitergegeben wurde. Sollten in der Zukunft Archäologen unsere Zivilisation ausgaben, würden sie vermutlich nicht davon ausgehen, das nur deshalb, weil Menschen fast auf der ganzen Welt iPhones benutzt haben, diese auch miteinander verwandt waren.
Die moderne Innovationsforschung setzt ihren Schwerpunkt also auf den Transfer von Wissen und Innovationen. Es sind die Produkte, die verkauft werden, sind die Ideen, die weitergegeben werden, es ist der spillover vom Innovator zu den vielen anderen Akteuren des Innovationssystems. Einzelne Menschen, die ihre Ideen mitnehmen, spielen keine große Rolle. Das hat sicher auch forschungspraktische Gründe. Nicht zuletzt der Datenschutz, aber einfach auch die Kosten zur Umsetzung einer solchen Methodik machen es praktisch unmöglich, Einzelpersonen in den Blick zu nehmen, wenn man Innovationsprozesse über längere Zeiträume verfolgen möchte.
Dabei wäre es schon interessant zu beobachten, wie sich Neues über den individuellen Werdegang der Beteiligten ausbreitet. Wie sich also zum Beispiel aus Forschungsprojekten durch den beruflichen Werdegang der Beteiligten, ihre Veränderungen des Arbeitsplatzes, ihren direkten Austausch mit Kollegen und Freunden Neues Stück für Stück verbreitet. Migration statt Wissenstransfer als wichtiges Element der Ausbreitung. Stattdessen schauen wir uns in der Regel an, wie sich die Kooperationsbeziehungen von Organisationen, von Forschungseinrichtungen und Unternehmen im Laufe der Zeit verändern und welchen Einfluss darauf die Beteiligung an Forschungsprojekten hat. Alles richtig, aber möglicherweise nur die halbe Geschichte.