Weihnachten steht vor der Tür, und Zeitungen und Zeitschriften füllen sich mit nachdenklichen und besinnlichen Artikeln. Das ist einerseits ein wenig nervig, denn nicht selten werden die interessanten Inhalte damit in den Weihnachtsausgaben an den Rand gedrängt. Andererseits, die Rolle von Werten und Normen ist manchmal schon ganz aufschlussreich, das zeigt sich auch für das Thema Innovationen.
Gerade erst habe ich einen sehr nachdenklichen und spannenden Artikeln über die Ängste des Silicon Valley vor dem Jüngsten Gericht, oder genauer gesagt vor der Übernahme der Macht durch künstliche Intelligenz und schlaue Maschinen gelesen. Der Autor Ted Chiang, der die Buchvorlage für den äußerst erfolgreichen Film "Arrival" geschrieben hatte, vermutet, dass hinter diesen irrationalen Ängsten ein Blick auf die Welt steht, die stark von den eigenen Erfahrungen und Gewissheiten der Startup-Technologieszene im Silicon Valley geprägt ist. Die Welt beherrschen und sämtliche Konkurenten aus dem Feld räumen, alles auf ein Thema setzen, ohne Rücksicht auf Verluste, keine Kontrolle durch Staat und Gesellschaft, das sind nicht wirklich die Zutaten für die Technologie -Apokalypse, sondern eher die eigenen Werte und Normen des Silicon Valley. Ein klarer Fall von Projektion. Vielleicht, so spekuliert Chiang weiter, ist das auch alles ein großes Ablenkungsmanöver, um das Böse zu externalisieren und die eigenen niederen Instinkte damit etwas aus dem Blickfeld zu nehmen.
Ein weiteres Beispiel für die enge Verquickung von Technologiediskursen und Wertedebatten ist die Diskussion rings um das bedingungslose Grundeinkommen. Hier fällt nicht nur mir auf, dass es insbesondere die Vertreter großer Technologiekonzerne und Risikokapitalgeber sind, die einem bedingungslosen Grundeinkommen sehr positiv gegenüberstehen. Aber sind es auch nicht sie gerade, die durch eine weitere Automatisierung erst den Arbeitsplatzabbau bringen werden, der dann durch ein bedingungsloses Grundeinkommen wieder aufgefangen werden muss? Das Thema ist eigentlich ganz spannend, weil die zweite Gruppe der deutlichen Befürworter eher aus der linken Ecke kommt und, so interpretiere ich das, quasi einem marxistischen Grundkonzept das Wort reden. Wer nicht so viel arbeiten muss, weil er eine Grundsicherung bekommt, kann sich der Selbstverwirklichung und den Dienst an der Gemeinschaft widmen. Einen schönen Artikel zum Grundeinkommen habe ich letztens hier gelesen, es ist eher eine Reportage als ein reflektierter Fachartikeln.
Ein weiteres wertbesetztes Thema ist nudging. Was Firmen schon lange machen, um Kundenentscheidungen zu beeinflussen, wird jetzt von Staat und weiteren Akteuren genutzt. Ist das richtig, wer entscheidet über die Zielsetzungen, darf der Staat uns manipulieren? Das Wissenschaftszentrum Berlin - WZB hat gerade einen kleinen Sammelband zum Thema herausgebracht, in dem ich insbesondere den Überblicksartikel über die Verbreitung entsprechende Ansätze weltweit spannend finde, aber auch die Frage, inwieweit künstliche Intelligenz und Big Data sowie nudging zusammen gesehen werden müssen. Auffällig ist, dass das Thema nudging gerade in Deutschland sehr kritisch diskutiert wird, vielleicht ist hier eine gewisse historisch gewachsene Skepsis gegenüber einem Staat verankert, der uns Bürger manipulieren möchte. In anderen Ländern ist dies weniger ausgeprägt, dort ist eine sanfte Beeinflussung im Sinne des Gemeinwohls breit akzeptiert.
Alle drei Themen, die Angst vor der künstlichen Intelligenz, die Diskussion um das Grundeinkommen und der kritische Diskurs zu nudging machen deutlich, wie weit doch Werte und Normen innovationspolitisch relevante Themen mitbestimmen. Für die Politik ist das ein Problem, denn Werte und Normen sind nicht kurzfristig zu beeinflussen, sie sind tief verankert in einer Gesellschaft, aber auch zurückzuführen auf reale Wirtschaftsstrukturen und Machtverhältnisse sowie auf Sozialisationsprozesse ganzer Generationen. Die Gründungsschwäche in Deutschland z.b. ist nicht allein ein Resultat fehlende Anreize oder Unterstützungsstrukturen. Nein, diese sind eigentlich sehr breit ausgebaut. Es ist viel mehr eine Volkswirtschaft, die attraktive Angestellten-Arbeitsplätze bietet und eine Gesellschaft, die den gewissen Biss von Entrepreneuren und Unternehmern nicht gerade positiv konnotiert. Eigentlich funktioniert dieses typisch deutsche Innovationssystem ja auch ganz gut, aber das große Vorbild USA ist doch sehr wirkmächtig, wir hätten schon ganz gerne auch ein deutsches Silicon Valley.
Dieser Anspruch zwischen Wunsch und Realität ist nicht zuletzt Ausdruck einer globalisierten Welt, die zu Überlappung unterschiedlicher Wertesysteme führt.
Im Moment haben wir noch amerikanisch geprägte Debatten in Deutschland. Aber das könnte sich schnell ändern.
Führen wir vielleicht bald auch chinesische Debatten in Deutschland? Bislang sind es nur Produkte, die in China gefertigt in deutschen Geschäften landen. Große Konzerne wie Alibaba oder Baidu sind hier noch vorkommt irrelevant. Aber erste Anbieter von Dienstleistungen drängen auf den deutschen Markt, die Leihfahrräder in deutschen Innenstädten sind dafür ein guter Indikator. Und damit könnten auch starke asiatisch geprägte Werte Debatten hinüber ins alte Europa schwappen. Und vermutlich ziemlich heftige Diskussionen auslösen.