Das Jahr 2019 neigt sich rapide seinem Ende zu, und damit auch das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Bevor wir aber mit Schwung in die neuen Zwanzigerjahre eintauchen, lohnt sich vielleicht ein kurzer innovationspolitischer Blick zurück auf die letzten zwölf Monate bzw. zehn Jahre.
Innovationspolitisch scheinen die letzten Monate auf den ersten Blick eher ein wenig langweilig. Viel Neues ist nicht passiert, die spannendsten neuen Instrumente - die steuerliche Forschungsförderung und der Start der neuen Agentur für Sprunginnovationen - stehen noch aus. Ob beide die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können, ist für mich offen. Als Experimente einer neuen Innovationsförderung sind sie auf jeden Fall aber sehr interessant und werden auch durch entsprechende Evaluationen begleitet werden.
Während die Agentur für Sprunginnovationen mit einem Fördervolumen von 1 Milliarde Euro in 10 Jahren nicht wirklich riesig ausfällt und viele Umsetzungsdetails noch offen sind, nimmt sich die steuerliche Forschungsförderung oder Forschungszulage doch etwas substantiellen aus. Die Bundesregierung rechnet mit Mindereinnahmen von ca. 1,4 Milliarden Euro pro Jahr, das sind immerhin etwa 8 Prozent der bisherigen direkten öffentlichen Forschungsförderung. Da aber sehr viele Unternehmen anspruchsberechtigt sind, kommt für jedes einzelne antragstellende Unternehmen dann aber doch nicht so viel bei rum. Zusammengenommen könnte der Effekt aber doch spürbar sein und zumindest die Chancen erhöhen, das tatsächlich sehr ehrgeizige 3,5 Prozent Ziel der Bundesregierung zu erreichen.
Dieses Ziel hat sich die Regierung nach einem beeindruckenden Jahrzehnt kontinuierlich steigender Forschungsausgaben selbst gesteckt.
Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung lagen noch 2009 bei knapp 12 Milliarden Euro, 2018 bereits bei etwa 17 Milliarden Euro. In der Folge lag die FuE-Quote 2009 bei etwa 2,8 Prozent, 2018 (eine Schätzung für 2019 wird es erst Ende des nächsten Jahres geben) liegt sie bei 3,1 Prozent. Die letzten Jahre zeigen aber auch, dass insbesondere der Wirtschaftsanteil gestiegen ist, während der Staatsanteil zwar absolut, aber nicht mehr relativ zum BIP gewachsen ist. Und der aktuelle Bundeshaushalt bestätigt den Trend. Die Jahre des schnellen Wachstums der staatlichen Forschungsausgaben könnten vorbei sein. Für das 3,5 Prozent Ziel heißt das, es könnte eng werden, auch mit einer steuerlichen Forschungsförderung.
Natürlich ist die FuE-Quote nur ein Indikator unter vielen, der zudem auch nur beschränkte Aussagekraft hat. Schaut man etwas differenzierter, so sieht man zum Beispiel, dass auch die ständig wachsenden Forschungsausgaben der Unternehmen nicht bedeuten, dass alles in Butter ist. Innovationsausgaben und innovationsintensität deutscher Unternehmen nehmen zwar seit zehn Jahren kontinuierlich zu, allerdings praktisch nur bei den Großunternehmen. Die Innovatorenquote hingegen ist seit 10 Jahren leicht rückläufig. Und die Zahlen zeigen auch, dass sich die innovationsaktivitäten sehr ungleich über die verschiedenen Branchen verteilen. Insbesondere der Automobilsektor hat in den letzten zehn Jahren eine hohe Dominanz gewonnen.
Ob das nun bedeutet, dass die Autobranche fit ist für die Zukunft, ist damit noch nicht beantwortet. In Hinblick auf das Megathema der letzten 10 Jahre, die Elektromobilität, gibt es zumindest viele Kritiker, die dies bezweifeln. Vor zehn Jahren wurde das Ziel von einer Million Elektrofahrzeuge bis 2020 aufgestellt. Hiervon sind wir weit entfernt, auch wenn die Zulassungszahlen in den letzten Jahren deutlich angezogen haben. 2019 war auch das Jahr der Krrisenmeldungen der Automobilindustrie. Große Unternehmen kündigten erhebliche Arbeitsplatzeinsparungen an - auch um entsprechende Ressourcen für den Umbau in Richtung Elektromobilität zu haben. Und 2020, wenn die neuen Vorgaben der EU in Kraft treten, wird für die Autobauer nicht einfacher - dann muss der Hochlauf der Elektromobilität einfach gelingen, sonst drohen drastische Strafzahlungen.
Das Jahr 2019 stand ja insgesamt unter dem Eindruck einer sich verschärfenden Klimakrise und entsprechende gesellschaftlicher Mobilisierung. Gerade der verkehrssektor zeigte sich dabei als ein besonderer Problemfall. Das belegt auch der Blick zurück auf die letzten 10 Jahre. Der Anteil der umweltfreundlichen Mobilität (Fußgänger, Radfahrer ÖPNV und Bahn) an der Gesamtmobilität ist laut UBA in den vergangenen Jahren leicht gesunken BV (allerdings reichen die Zahlen des UBA nur bis 2016). Allerdingscheint der Radverkehr in Deutschland überproportional zugenommen zu haben, wie eine Sonderstudie des BMVI zeigt.
Meine persönliche Erfahrung in Berlin kann das nur bestätigen, leider auch, dass der Ausbau der Infrastruktur hier überhaupt nicht mithalten kann. Bei der Bahn sind die Fahrgastzahlen in den letzten 10 Jahren um 20 Prozent gestiegen. Nicht mitgehalten hat allerdings das Angebot, daher ist auch die Auslastung pro Zug entsprechend höher. Bis auf ein paar Neubaustrecken hat man den Eindruck, dass sich bei der Bahn in den letzten 10 Jahren wenig getan hat. Selbst ein funktionierendes WLAN wurde erst 2017 Flächen deckend in den ICE-Zügen eingeführt. Vielleicht haben wir Glück, und mit dem Klimapaket der Bundesregierung ändert sich tatsächlich in den nächsten Jahren noch etwas bei der Bahn. Zumindest die Ankündigungen lassen ein bisschen hoffen. ab Januar wird die Mehrwertsteuer gesenkt, perspektivisch plant die Bahn ihren Deutschland-Takt, und für die Infrastruktur sind auch einige Milliarden an Investitionen vorgesehen.
Ein wenig Beine gemacht hat der Bahn in den letzten 10 Jahren der neu entstandene Fernbusmarkt. Dieser wurde erst 2013 durch eine Gesetzesänderung überhaupt geschaffen. Nach einer euphorischen Phase, in der viele Anbieter auf dem Markt erschienen, hat sich dieser deutlich konsolidiert, es ist ein Monopolist übrig geblieben, der allerdings auch international Erfolg hat. 2017 war dann das Jahr, in dem die asiatischen Leihräder deutsche Großstädte fluten. Mittlerweile hat sich die Aufregung ein wenig gelegt, nicht zuletzt auch deshalb, weil jetzt Elektroroller den Platz der Leihräder eingenommen haben und deutsche bürgersteige angeblich unbegehbar machen.
Fast schon altmodisch mutet da ein weiteres Mobilitätsthema der letzten 10 Jahre an, dass Carsharing. Auch Carsharing war mit dem Anspruch gestartet, die Mobilität in Deutschland grundsätzlich umzukrempeln. Tatsächlich haben sich eine Reihe von Anbietern in den deutschen Großstädten etabliert und verzeichnen steigende Nutzerzahlen. Heute gibt es knapp 2,5 Millionen registrierte Nutzer, Carsharing ist aber weiterhin nur in eben diesen Metropolen nutzbar und damit nur für 16 Prozent der Deutschenutschen überhaupt zugänglich. Die Zahl der zugelassenen Privatautos ist allerdings deutlich stärker gestiegen.
Ein weiteres Megathema der letzten 10 Jahre im Bereich der Mobilität war für eine gewisse Zeit das autonome Fahren. Nachdem die deutschen Straßen immer noch nicht von Roboterautos bevölkert werden, und nachdem sich gezeigt hat, dass auch ein autonomes Auto Unfälle bauen kann, ist die Euphorie einer gewissen Nüchternheit gewichen - die Aufmerksamkeit in den Medien geht deutlich zurück.
Mobilität ist natürlich nicht die einzige Dimension, die klimapolitisch heiß diskutiert wurde und wird. 2019 war neben Fridays for Future auch das Jahr des Kohlekompromisses, der die Energiewende fortführen soll. Innovationspolitik interessant fand ich in diesem Zusammenhang mindestens drei Aspekte:
Zum einen die Diskussion darüber, ob eine Verhaltensänderung notwendig sei, um den Klimawandel zu bremsen, oder ob es allein ausreiche, auf die Segnungen zukünftiger Innovationen zu hoffen und dann jeder weiter konsumieren können wie bislang. Diese techo-euphorische Haltung scheint in manchen Parteien tatsächlich noch mehrheitsfähig zu sein.
Ein zweiter Diskussionsstrang zielte darauf, den strukturellen Verwerfungen des kohleausstiegs auch durch innovationspolitischen Maßnahmen zu begegnen. Dahinter steht die Hoffnung, dass Forschungseinrichtungen und innovative Firmen Arbeitsplätze schaffen und strukturelle Wirkung entfalten. Das ist grundsätzlich sicher richtigen und mag in manchen Fällen auch helfen, andererseits zeigen aktuelle Studien, dass Innovationsprozesse, insbesondere wenn sie an Digitalisierung geknüpft sind, eher zu einer Konzentration in wenigen Metropolen neigen.
Ein dritter Diskussionsstrang beschäftigte sich mit den erneuerbaren Energien, die zwar Stück für Stück einen immer größeren Anteil am deutschen Energiemix haben, gleichwohl aber nicht unbedingt die Zielmarke erreichen werden, die sich die Bundesregierung gesetzt hat. neben der Frage, welchen einstiegspreis ein tatsächlich wirksamer Emissionshandel haben müsste, beschäftigte uns zuletzt vor allen Dingen die Frage, ob die Windenergie das Schicksal der Solarbranche erleiden wird.
Während diese 2009 kurz vor ihrem Allzeithoch an Arbeitsplätzen im Jahr 2010 mit 133.000 Beschäftigten stand, ist sie in den vergangenen zehn Jahren in sich zusammengebrochen. Heute arbeiten nur noch etwa 33.000 Beschäftigte dieser Branche.
2019 wurde auch immer stärker diskutiert, ob die Digitalisierung selbst zu einem Klimaproblem werden könnte, da der stromverbrauch immer stärker auch von digitalen Anwendungen geprägt ist. Ich war ziemlich überrascht, dass diese Digitalisierung eigentlich noch ziemlich jungen Datums ist, als vor zwei Jahren das iPhone seinen 10. Geburtstag feierte. 2009 war das iPhone erst 2 Jahre alt, eine Firma namens Nokia hatte da noch den größten Marktanteil. Seitdem hat sich doch ganz schön viel verändert.
- Der unaufhaltsame Aufstieg des Online-Handels, allerdings bislang noch ohne automatisierte Zustellung per kleinem Roboterwagen oder Drone, sondern per Fahrradkurier.
- Streaming allüberall, mit den entsprechenden Problemen beim ICE WLAN und den entsprechenden Energie und Umweltfolgen.
- Die Messung von allem und jedem, am besten im Buch von Andreas Reckwitz zur Gesellschaft der Singularität beschrieben
- Neue Dynamiken der öffentlichen Kommunikation, insbesondere auch getrieben durch soziale Medien und mit zum Teil absonderlichen Diskussionen, siehe nur die aktuelle Debatte um Motorrad fahrende Omas
Als Ausblick für 2020 wie immer zu empfehlen die Prognose von NESTA, die zwar wie alle Prognosen in ihrer Vorausschau für morgen eher daneben liegt, aber die spannendsten Trends von heute aufgreift. MeinFavorit: der persönliche Digital Twin
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