Donnerstag, 29. Mai 2014

Europawahl

Europa hat gewählt, und die Debatten um das Ergebnis sind heftig wie lange nicht. Haben die extremen Parteien zugelegt, drohen die Europaskeptiker und Europagegner das Projekt Europa absehbar zum Scheitern zu bringen? Müssen wir den Skeptikern entgegenkommen und doch wieder mehr Kompetenzen in die Mitgliedstaaten verlagern? Ist das vielleicht doch alles ein wenig zu kompliziert und technokratisch in Brüssel? Oder haben wir endlich einen entscheidenden Schritt Richtung Demokratisierung Europas unternommen, wenn sich das Europaparlament mit einem seiner Kommissionspräsidentenvorschläge gegen den Rat durchsetzt?

Harold James sieht das Wahlverhalten Frankreichs und Großbritannien in seinem Blogbeitrag als rückwärtsgewandt, als wären beide Länder noch die großen Imperien des 19. Jahrhunderts und hätten die Zeichen der Zeit, einer globalisierten und vernetzten Welt, nicht erkannt.

Die indische Korrespondentin Pallavi Aiyar beschreibt das krisenhafte Europa in einem Artikel als fragiles Projekt eines politischen Gemeinwesens über den Nationalstaat hinaus, dass durch rückwärtsgewandte Europagegner gefährdet ist. Indien folgt ihrer Meinung nach einem ähnlichen Staatsverständnis und könnte als eine Art Proto-Europa beschrieben werden. Pakistan wäre dann das Gegenmodell des alten Nationalstaats. Gerade wurde ja auch in Indien gewählt, allerdings war das eine klare Personenwahl, die mit den europäischen Parlamentswahlen nicht zu vergleichen ist. Entsprechend einfacher war auch die Wahlberichterstattung, auch wenn auch hier wohl schöne Beispiele eines neuen Datenjournalismus zu beobachten waren.   

In Europa scheint das Ergebnis auch Tage nach der Wahl noch nicht klar oder zumindest noch nicht richtig verständlich zu sein. Irritiert schauen die Kommentatoren auf den Aushandlungsprozess zwischen den Parteien des EP und befürchten voller Schrecken, dass nun auch der Rat in die Verhandlungen mit einsteigt und wochenlanges Tauziehen und am Ende komplexe Paketlösungen drohen. War den Wählern mit der Idee der Spitzenkandidaten nicht versprochen worden, alles werde klarer und verständlicher, ganz wie daheim im kuscheligen Nationalstaat?

Ich fürchte, dieses Missverständnis steht stellvertretend für ein grundsätzliches Missverständnis gegenüber der Natur der EU. Die EU muss nicht einfacher (aber verständlicher!) werden, sie ist in  ihrem technokratischen Politikverständnis, in ihren komplexen Aushandlungsmechanismen, aber auch in ihren neuen Beteiligungsformaten ein Blick in die Zukunft des Regierens. Einfacher wird es nicht mehr in einer komplexen Welt. Politik wird nicht mehr von gewählten Mandatsträgern entschieden und dann von einer effizienten staatlichen Verwaltung einfach umgesetzt. Politische Institutionen sind eher Moderatoren in einem Aushandlungsprozess vieler unterschiedlicher Akteure. Die EU ist das Labor für neues Regieren, und sie hat schon einiges an effektiven Techniken hervorgebracht, um der stetig steigenden Komplexität eines beständig (an Mitgliedstaaten, an Kompetenzen) wachsenden politischen Etwas, das zudem noch am laufenden Band seine Verträge und damit seine Geschäftsgrundlage ändert. Evaluationen als systematische Mittel der Reflexion und Instrumente einer evidenzbasierten Politik z.B. wurden erst auf EU Ebene flächendeckend eingeführt, bevor sie sich auch auf nationaler Ebene langsam durchsetzten (übrigens z.T. mit sanftem Druck aus Brüssel). Das Europäische Semester (und andere Formate der indikatorbasierten Koordinierung) ist ein weiterer Versuch, Steuerung trotz Komplexität und Multiakteurskonstellationen zu ermöglichen.

Wir brauchen eher neue Techniken (und vielleicht auch Technologien), um dieses neue Regieren effizient und für die Bürger verständlich zu machen. Das große Thema ist für mich nicht so sehr eine Reduzierung der Brüsseler Komplexität, sondern eher neue Modelle der Partizipation und vielleicht auch der Visualisierung und damit Erklärung komplexer Sachverhalte.

Zurück ins 19. Jahrhundert des Nationalstaats geht es nicht mehr.

Einer der schönsten Artikel der letzten Tage zu veränderten Natur des Politischen ist mit dem Titel "Politics or technology – which will save the world?" überschrieben. Klar wird, dass beide nicht ohne einander auskommen. Die massiven Auswirkungen der digitalen Revolution sind im Politikbetrieb noch nicht wirklich angekommen. Aber ohne das Politische werden wir die Probleme der Welt auch nicht lösen können.  

P.S.: Ups, kaum war der Artikel online, sah ich noch diesen schönen Beitrag über die neue Übersetzungsfunktion von Skype. Na, dass wäre doch mal Technik, um Europa ein klein wenig verständlicher zu machen. Zumindest sprachlich. Falls es funktioniert.

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