Sommerzeit ist Urlaubszeit. Und im Urlaub stolpert man manchmal über Dinge, die einem sonst nie begegnen würden oder schlicht normalerweise nicht interessieren. An einem französischen Kiosk habe ich gestern die Zeitschrift Usbek & Rica gekauft. Sie beschäftigt sich mit der Zukunft, und zwar politisch, gesellschaftlich und technologisch. Gleich das Editorial diskutiert die französische Innenpolitik, die Zukunft (und die Zukunftshoffnungen) der Regierung Macron. Ein anderer Artikel beschreibt ein Szenario, in dem Marc Zuckerberg zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden ist. Das Schwerpunktthema dreht sich darum, ob wir eine Ökodiktatur brauchen, außerdem geht es um Übungen der NASA für einen Marsflug, die Folgen der Abschaffung der Börsen, die technische Optimierung des Schlafs und vieles mehr.
Einer der ersten Artikel, die ich gelesen habe, skizzierte eine Zukunft, in der junge Menschen ihr kümmerliches Auskommen mit Nebeneinkünften aus Computerspielen finanzieren. Das ganze basiert auf einem Aufsatz von Edward Castronova, einem amerikanischen Wissenschaftler, der sich mit wirtschaftlichen Aspekten der Computerspiel-industrie beschäftigt. Das Magazin Slate brachte hierzu bereits im Februar einen Artikel mit dem Titel "Face it, meatsack, pro gamers will be the only job" heraus. Castronova legt mehrere Trends übereinander. Arbeitsplätze werden insbesondere für geringer Qualifizierte in Zeiten zunehmenderAutomatisierung weniger, gleichzeitig hat sich die Games-industrie mit f2p (free to play) deutlich verändert. Für die meisten Spieler sind Videospiele praktisch kostenlos, aber eine kleine Minderheit, die so genannten Wale, gibt regelmäßig enorme Summen aus, die unterm Strich das Ganze finanzieren. Für diese Wale muss das Spiel hinreichend interessant und mit vielen Mitspielern besetzt sein, um weiterhin das ganze am Laufen zu halten. Und das wiederum könnte in Zukunft die Rolle vieler junger Männer mit schlechter Bildung und schlechten Jobaussichten sein.
Vielleicht ist diese Zukunft für den ein oder anderen Betroffenen auch gar nicht so schreckend? Die Zeitschrift Slate veröffentlicht jüngst einen weiteren Artikel, in dem eine Studie zum zunehmenden Videospiel junger US-amerikanischer Männer berichtet wurde. Diese arbeiten immer weniger, weil sie mehr Zeit vor dem Computer mit ihren Spielen verbringen wollen. Eine Welt, die sie verstehen und beherrschen und in der sie regelmäßig Erfolgserlebnisse haben. Die perfekte Flucht vor einer überkomplexen Welt, in der die eigene Zukunft nicht planbar und scheinbar auch nicht positiv zu gestalten ist.
Die Flucht der "einfachen Bürger" ins Spiel, panem et circenses? Oder das (Video-) Spiel als die bessere Religion, als vorweggenommenes Paradies, oder als Opium fürs Volk? Oder doch nur abwegige Gedankenspielereien einer Generation, die mit Computerspielen wenig anfangen kann und darum abwegigen Fantasien verfällt? Vielleicht auch die Angst, bei einer zunehmend perfekten Simulation der realen Welt im Spiel diese Bodenhaftung zu verlieren und auch das reale Erwerbsleben hierhin auslagern zu müssen/ können.
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