Freitag, 6. Januar 2017

Technik, die gesund und krank macht

Zwischen Weihnachten und Neujahr bringt mein Lieblingssender, der Deutschlandfunk, immer besonders viele nette Wissenschaftssendungen. Dieses Mal war ein Kleinod über virtuelle Realität und das, was sie mit unseren Köpfen machen, im Angebot. Wer die Erfahrung noch nie gemacht hat, der wird es nicht verstehen. Aber tatsächlich ist eine 3D Brille wie Google Cardboard, die virtuelle Welten praktisch zum Nulltarif aus dem Smartphone ins Hirn zaubert, eine ziemlich atemberaubende Erfahrung. Und das ist nur die low cost Variante. Mit High-Tech Geräten und dem, was uns in ziemlich naher Zukunft noch erwartet, werden wir wirklich das Gefühl haben, in anderen Realitäten zu leben.


Möglicher Weise beeinflusst dieses "echte" Erleben aber ziemlich fundamental unser Bild von uns selbst, verändert unser Erleben von Realität und unserem Platz darin. Denn die neue virtual reality kommt möglicherweise dem ziemlich nahe, was unser Hirn bereits seit Jahrtausenden als virtuelle Realität in unserem Geist erzeugt. denn natürlich erleben wir die Welt immer sehr vermittelt über unsere Sinnesorgane, und zwischen Auge, Ohr und Gehirn wird so manches angepasst, verändert und hinzugefügt, was eigentlich nicht da ist. Sonst ließen sich einfache Phänomene wie der unsichtbare "blinde Fleck" kaum erklären. Eine geschickte Sinnestäuschung lässt uns sogar glauben, dass ein Gummi-Arm wie festgewachsen zu unserem Körper gehört.


Der Philosoph Thomas Metzinger, der mir schon vor einigen Jahren mit anderen Ausführungen zur manipulativen Bewusstseinsveränderung und interessanten Selbsterfahrungen auffiel, hat sich jetzt mit den Folgen der virtual reality auf unsere "phänomenale Selbstwahrnehmung" bzw. unser Bewusstsein beschäftigt und mit Kollegen ein Manifest veröffentlicht. Dies wurde bereits in mehreren interessanten und lesenswerten Artikel hier und hier verarbeitet. Ein Artikel in der deutschen Ausgabe von Wired zitiert ebenfalls insb. Metzinger, der unter anderem davor  warnt, dass die Langzeitfolgen von virtual reality noch nicht bekannt sind und das vr nicht nur zur Trauma-Behandlung, sondern auch zur Traumatisierung bzw. gezielten Persönlichkeitsbeeinflussung und "Reprogrammierung" genutzt werden könnte. Vielleicht macht uns die virtual reality also krank?


Um das neue Jahr optimistisch zu beginnen, will ich aber nicht zu lange über solche düsteren Perspektiven schreiben, sondern lieber auch den Lichtstreif am Horizont besingen. Zum Beispiel, wie man mit virtual reality Höhenangst und andere Phobien behandeln kann. Manchmal muss die virtuelle Realität auch keine optische Sinnestäuschung sein, sondern kann auch in einer sozialen Konstruktion bestehen, wenn beispielweise ein Algorithmus einen menschlichen Gesprächspartner simuliert. Im New Yorker wurde kürzlich eine Geschichte über ein Startup veröffentlicht, das Therapieprogramme für traumatisierte syrische Flüchtlinge entwickelt, um diesen eine preiswerte und einfache Möglichkeit der Unterstützung bei der Verarbeitung ihrer Traumata zu bieten. Schon am Beginn der Beschäftigung mit Dialogsoftware stand das Erstaunen, wie leicht Menschen sich auf die Situation einlassen und den künstlichen Gesprächspartner als echte Person begreifen. Es ist wohl kein Zufall, dass das berühmte "Täuschungs-"Programm Eliza von Joseph Weizenbaum einen Psychotherapeuten simulierte. Möglicherweise kann sein Nachfahre ihn jetzt nicht ersetzen, aber zumindest ehrlich unterstützen.


Es gibt aber auch etwas skurrilere bis bizarre Trauma-Behandlungen per Chatbot. Die Programmiererin Eugenia hat aus Konversationen einen Chatbot programmiert, der ihren toten Freund simuliert. Auch hier steht wohl die Motivation dahinter, das traumatische Erlebnis des Todes einer geliebten Person zu verarbeiten. Wenn jetzt für die Sprachausgabe noch das neue Adobe-Programm genutzt wird, das täuschend echt beliebige Sprachen aus Text generieren kann und dabei bestimmte Sprecher imitiert, ist die Illusion schon fast perfekt...