Samstag, 19. Januar 2019

Chinesische Reallabore und deutsche Experimentierräume

Chinas wachsende Rolle in allen möglichen Politikfeldern macht das Land zu einem fabelhaften Themen-Joker, der fast immer gezogen werden kann. So auch beim Thema Reallabore, dass in Deutschland zunehmend Fahrt aufnimmt.

Hierzu bin ich vor ein paar Tagen über eine Veröffentlichungen der deutsch-chinesischen Plattform Innovation gestolpert. Diese Plattform wurde vor einigen Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingerichtet, um den deutsch-chinesischen Austausch zum Thema innovationen zu stärken und für die deutsche Seite einen breiteren Einblick in die Entwicklungsprozesse des chinesischen Innovationssystems zu ermöglichen.

Die Plattform veröffentlicht in sogenannten Policy Briefs Artikel über das chinesische innovationssystem und seine Relevanz für Deutschland. Prof. Markus Taube schreibt in der letzten Ausgabe über experimentelle Freiräume in neuen Technologiefeldern, die der chinesische Staat den Unternehmen immer wieder einräumt, um ihnen eine schnellere Entwicklung als der internationalen Konkurrenz zu ermöglichen. Das ganze funktioniert nach Ansicht von Prof. Taube nur deshalb, weil es einen breiten Grundkonsens der Machtelite in Politik und Wirtschaft gibt, der den temporären Kontrollverlust absichert.

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist ein wichtiges Charakteristikum dieses Systems auch, dass die Freiräume nicht gleichermaßen und rechtlich abgesichert allen Akteuren gewährt werden, sondern durch einen jederzeit widerrufbaren Willkürakt des Staates entstehen. Sie unterstreichen die absolute Macht der kommunistischen Parteiherrschaft. Manchmal wird einfach gezielt nicht reguliert, manchmal werden Gesetzesverletzungen stillschweigend toleriert und nachträglich legitimiert. Taube nennt das eine erfolgreiche Guerilla-Strategie des chinesischen Staates.

Solcherlei temporäre, quasi rechtsfreie Räume sind in den westlichen Demokratien unvorstellbar. Hier werden vergleichbare Freiräume nur in sehr eng definierten und streng kontrollieren Rahmen gewährt, z.B. als sogenannte "regulative sandboxes", sozusagen Spielplätze für neue Technologien, zum Thema Fintech in Großbritannien. Hier wurden Startups Möglichkeiten gegeben, über bestehende Regulierungen hinaus neue Dienstleistungen zu entwickeln, allerdings immer sehr eng begleitet von einem Vertreter einer Aufsichtsbehörde, und immer mit dem Ziel, in absehbarer Zeit wieder regelkonform zu arbeiten. Auch Österreich wagt sich 2019 an regulative Sandboxes für FinTechs.

Die deutsche Bundesregierung sucht noch den richtigen Weg für Reallabor und Experimentierräume. Im Moment lässt das Bundeswirtschaftsministerium einen Leitfaden erarbeiten, wie solche Reallabore in Zukunft schneller eingerichtet werden könnten. Ein gerade erschienener Artikel des BMWi skizziert den aktuellen Stand: das BMWi hat eine interministerielle Abeitsgruppe initiiert, um die Strategien der verschiedenen Ministerien zusammenzuführen, geplant ist auch ein Netzwerk zum Thema sowie Wettbewerbe, um zukünftige Reallabore zu unterstützen. Das Ministerium verweist aber auch mit Nachdruck darauf, dass es nicht darum gehen kann, Rechtsschutz abzubauen oder Unsicherheit zu vergrößern. Gerade das kontrollierte Vorgehen, z.B. durch zeitlich begrenzte Öffnungsklauseln, ermögliche es, Veränderungsbedarf auf Regulierungsebene für Innovationen zu testen, ohne dafür z.B. die Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden.

Die Strategien Chinas und der westlichen Industriestaaten unterscheiden sich hier also fundamental. Manchmal allerdings liebäugelt doch der ein oder andere Politiker damit, mal nicht alles so streng zu sehen und zugunsten von Digitalisierung und Innovation über einige aus seiner Sicht nebensächliche Regelungen hinwegzugehen. Mehr Shenzhen kann man auch so interpretieren.

Ob allerdings die Vorgaben zu Energieeffizienz die Einrichtung von Co-working spaces verhindern, wie dort angeführt, scheint mir eher eine gewagte These. Digital first, Bedenken second, das kann man auch als naive Vereinfachung der wichtigen Rolle von Regulierung verstehen.

Sonntag, 13. Januar 2019

Mondsüchtig: China 2025

Vor 50 Jahren, am 20 Juli 1969, gelang den Amerikanern die erste bemannte Mondlandung. Der deutsch-französische Sender Arte hat aus diesem Anlass am 6. Januar den "Winter of Moon" ausgerufen und zeigt bis zum 20. Januar viele Filme und Dokumentationen. Noch etwas früher schaffte es China, einen Paukenschlag im Mondland Jahr zu setzen und eine Sonde auf der Rückseite des Mondes zu landen, die mittlerweile auch Videos zur Erde funkt. Die Kommentatoren waren sich international einig, dass dies eine technische Leistung besonderer Art darstellt. Zwar sind in den letzten 50 Jahren schon so einige Landefähre auf dem Mond aufgesetzt, und gerade in diesem Jahr versuchen verschiedene Länder, das Jubiläumsjahr für eigene erste Berührungen mit dem Mond zu nutzen, so z.b. Israel und Indien. Die Rückseite stellt aber doch einige technische Herausforderung dar, die nur mit einem sehr zielstrebigen Vorgehen zu meistern waren.

Trotzdem, die internationale Aufmerksamkeit war schon ungewöhnlich. dies liegt auch daran, dass China im Moment sehr argwöhnisch betrachtet wird, vor allem im Hinblick auf seine technologischen Ambitionen. Gerade die Diskussionen um Huawei zeigten, dass chinesische Technologiekonzern mittlerweile als Bedrohung wahrgenommen werden. Manche Autoren fragten sich in diesem Zusammenhang, ob eine autoritäre, top down organisierte Entscheidungsfindung manchmal nicht vielleicht schneller und effektiver sei als das europäische Modell komplexer Aushandlungsprozesse. Letztlich ist das aber ein autoritär verklärtes Weltbild. Und sehr zweifelhaft, ob das auch in der chinesischen Wirklichkeit funktioniert.

Der Economist nahm die chinesische Mondlandung zum Anlass, in einem breiten Artikel den Aufstieg Chinas als wissenschaftsmarkt zu beschreiben: "Red moon rising. Will China dominate science?" Ein wesentlicher Tenor des Artikels war, dass die Chinesen zwar Stück für Stück weltklasse werden, in manchen Feldern sogar ihre Disziplinen dominieren, aber echte wissenschaftliche Durchbrüche und Anerkennungen z.b. in Form eines Nobelpreises bislang nur selten aus China kamen.

Im Editorial der gleichen Ausgabe des Economist wiederum wird an die größere Frage gestellt, ob eine Einparteiendiktatur auf Dauer genug Freiräume für kreative, unabhängig und querdenkende Wissenschaftler setzen kann, und vor allem, ob diese Wissenschaftler nicht der Keim von Protest und Widerstand gegen die Diktatur sein könnten. Auch der Guardian fragt sich, ob ein autoritärer Staat genug freiräume für kreative innovationsprozesse lassen kann. Die Autoren ziehen eine Parallele zu den aktuellen Handelsgesprächen zwischen China und den USA, in denen China im Moment wieder auf die USA zugeht. Nach Ansicht der Kommentatoren auch deshalb, weil die wirtschaftliche Situation in China nicht so blendend und China auf den Westen angewiesen sei.

Andere Autoren verweisen darauf, dass auch in der Raumfahrt das chinesische, staatszentrierte Modell an Grenzen kommen könnte. Auch wenn die NASA im Moment nicht durch spektakuläre Erfolge glänzt, so zeige die private Raumfahrt in den USA die Vitalität und Kreativität des pluralistischen Staatsmodells.

Im Dezember 2018 gab es dann erste Meldungen, dass China seine Technologiestrategie China 2025 überarbeite und ausländischen Firmen einen besseren Zugang einräume. Der Schritt sei einerseits durch die negativen ausländischen Reaktionen, aber auch durch innerchinesische Kritik an der Strategie ausgelöst. Mancher Autor glaubt sogar, dass die Strategie China 2025 überhaupt nicht vernünftig funktioniert hat.

Beim Mond hat es allerdings ganz gut geklappt. Da sage ich Mal, lieber Westen: I see the bad moon rising!