Samstag, 30. April 2016

Auf die Perspektive kommt es an

Heute Nacht ist nicht nur Walpurgisnacht, nein, in Berlin beginnt ein neues Zeitalter.  Ab 1. Mai ist es in Berlin verboten,  kommerziell Ferienwohnungen über Airbnb anzubieten, oder zumindest ist es deutlich eingeschränkt.  Grund dafür ist die Sorge des Berliner Senats, dass zunehmend Wohnraum aus dem Markt für normale Mieter genommen wird und nur noch Touristen zur Verfügung steht.
Die Zeit stellt besonders die Strategie des Senats heraus, die Nachbarn zur Unterstützung bei der Umsetzung einzuladen. Der Artikel geht soweit, das potenzielle Denunziantentum mit der DDR zu vergleichen, bleibt aber insgesamt eher verständig. Die Welt brachte bereits vor einem Jahr einen Beitrag zu Paris, nachdem nach der Gentryfizierung nun die Touristifizierung droht. Aktuell hat die Zeit in ihrer Printausgabe einen Artikel zu London, in dem die amerikanische Soziologin Saskia Sassen durch die Stadt wandelt und die Zerstörung  (hier allerdings durch die globalen Investitionen der durch die Finanzkrise auf der Suche nach neuen Investitionen befindlichen Reichen weltweit ) einer bunten und vielfältigen Stadt klagt. Man kann das natürlich auch etwas neutraler sehen. Gerade hat sich auch das ZEW in einem Working Paper dem Thema Sharing Economy angenommen. Dies wird nach allen Regeln der ökonomischen Kunst auseinander genommen. Unterm Strich finden die Autoren, dass mit ein wenig Regulierung der Mehrwert der neuen Techniken durchaus gehoben werden könnte. Insgesamt aber scheint der Zeitgeist der Sharing Economy im Moment allerdings eher ins Gesicht zu blasen, wie zum Beispiel diese Kritik zu einem neuen Buch über die Sharing Economy zeigt .

Eine andere Alltagserfahrung der digitalen Revolution betrifft sozusagen den digitalen Wiedergänger des alten Mixtape. Ich habe vor kurzem zwei ganz unterschiedliche Beiträge dazu gelesen. Der eine kommt aus der Süddeutschen Zeitung, die seit ein paar Monaten eine schöne Serie zum Thema Digitales hat. Hier äußert sich der Autor ziemlich fasziniert von seinem wöchentlichen Mix-Vorschlag, die in ihm Spotify macht. Der Lernalgorithmus der Maschine scheint nach seiner Sicht tatsächlich dazu zu führen, dass Spotify ihn besser kennt, als er selbst. Die Vorschläge an neuen Musikstücken treffen erschreckend oft ins Schwarze. Dieser Autor des Blogs fivethirtyeight ist da allerdings anderer Ansicht. Er versteht Musik hören als kreativen Akt und will sich das nicht durch einen Algorithmus vorkauen lassen. Ist mir ein wenig zu affektiert, aber es kommt halt auf die Perspektive an ...

Samstag, 23. April 2016

Utopie? Dystopie? Anarchie!

Die Zukunft ist ein gar schrecklich Ding. Grausame Kriege, eine verpestete Umwelt, intelligente und tödliche Roboter, allwissende Techno-Diktaturen und so weiter und so fort. Und der Weltraum, fremde Planeten? Lebensfeindlich und einsam. Wer Science Fiction Bücher liest oder Filme anschauen, hat wirklich keine Lust mehr auf Zukunft. Da ist es doch kein Wunder, dass neue Technologien und Innovationen vor allen Dingen Sorgen hervorrufen vor ihren Gefahren und unerwünschten Auswirkungen.

Dabei geht es doch anders. Man kann da doch wirklich etwas lockerer drangehen. Mein Erweckungserlebnis als Kind war das Hörspiel zu "Per Anhalter durchs All", das 1982 auch als deutsche Version produziert wurde. Da war doch schon alles drin: depressive Roboter, sprechende Fahrstühle wie im Internet der Dinge oder Übersetzungscomputer. Und diese Zukunft war definitiv sehr sehr lustig.

Aber der satirische Science-Fiction scheint zurück zu sein. Horst Evers zum Beispiel schreibt in seinem neuen Buch "alles außer irdisch", wie nette, aber leicht durchgedreht Außerirdische die Erde vor anderen Außerirdischen retten wollen. Ein Großteil der Handlung spielt auf dem nun doch eröffneten Großflughafen Berlin-Brandenburg. Das ist natürlich für sich genommen schon ein Hammer. Doch darüber hinaus erfährt man doch nur wenig in Horst Evers Buch.

Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Anfang der Woche war ich auf der Lesung eines ganz besonderen Autors. Marc Uwe Kling, der Vater des anarchistischen Kängurus. Er hat das einen neuen Buch vorgelesen, an dem er gerade arbeitet: Qualityland.

Hier ist wirklich alles drin. Ein Online-Versandhändler, der alles über Dich weiß, deine Wünsche kennt, selbst diejenigen, die du nicht kennst. Und Dir per Drohne alles sofort nach Hause liefert. Leider kann die Drohne sprechen, ist etwas selbstverliebt und möchte dauernd bewertet werden.

Oder die Partnervermittlung, die Dir einen perfekten Partner ermittelt und dich direkt mit ihm verkuppelt. Inklusive Rückgaberecht. Der Algorithmus, der alles steuert, die ganze Gesellschaft. Und intelligente Roboter, die selbst zum Verschrotten gehen, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren. Dort aber gerettet werden von den letzten Aufrechten Menschen, die noch über die Erde wandeln. Und dann in einem Zoo der Roboter Freaks weiterleben. Dort erlebt sogar das Känguru eine Reinkarnation in einem rosafarbenen Touchpad.

Es lebe die Zukunft!

Marc-Uwe Kling hat diese grandiose Geschichte noch nicht veröffentlicht, im Netz finden sich keine Aufzeichnungen seiner Lesungen, da muss man schon selber hingehen. Aber Achtung, ist ziemlich schnell ausverkauft!

Donnerstag, 14. April 2016

Makerspaces in China

Gestern und heute war ich auf dem vierten deutsch-chinesischen Innovationsforum in Berlin. Das Innovationsforum wird von der deutsch-chinesischen Innovationsplattform organisiert, einer Kooperation zwischen dem deutschen Forschungsministerium BMBF und seinem chinesischen counterpart MOST. Ziel der Kooperation ist es, das jeweils andere Innovationssystem besser zu verstehen und damit eine breitere Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Forschern und Innovatoren bei der Länder zu legen.

Eine der Sessions heute wird mit der sich dem Thema Finanzierung von Innovationen, mit Schwerpunkt auf kleine und mittlere Unternehmen sowie auf Startups. Aufhorchen ließ mich ein chinesischer Vortrag, indem dauernd von makerspaces die Rede war, und zwar in einem Zusammenhang mit Startup-förderung. Ich war ein bisschen verwirrt, in Deutschland versteht man eigentlich etwas anderes darunter. Ich wollte mir weitere Informationen zusammen googeln, aber leider war der Handyempfang grauenhaft schlecht.

Zu Hause habe ich mich dann schlauer gemacht und erstaunlich viele aktuelle Beiträge gefunden. Interessant war zum Beispiel ein ziemliche aktueller Artikel von NESTA zum Thema maker space in China, in dem auch auf eine Studie zum Thema verwiesen wird. Interessant finde ich dabei die Beobachtung, dass solche maker spaces wohl auch von etablierten Firmen als eine Art open innovation labs genutzt werden, während maker spaces in Europa und den USA eher als Gegenbewegung zu industriell gefertigten Produkten gelten. Bis zu einem gewissen Grad sind maker spaces in China wohl auch das, was man hierzulande als co-working spaces oder Incubatoren versteht.

Das Thema makerspaces war letztes Jahr wohl ziemlich hipp in China, nachdem die Parteispitze einen einen solchen makerspace besucht habe. Das führte zu einer regelrechten Blase, allüberall entstanden entsprechende makerspaces, die aber vielfach leer blieben.

Andere Artikel übrigens verknüpfen das Thema makerspaces mit dem Trend Konzept der Smart City und suchen weltweit beispiele hierfür, auch wenn diese zugegebenermaßen sehr unterschiedliche Ausrichtung haben.

Samstag, 9. April 2016

Ungleichheit

Seit ein paar Wochen nimmt in deutschsprachige Medien eine Debatte zum Thema Ungleichheit Fahrt auf. Ausgangspunkt ist das neue Buch von Marcel Fratzscher, dem Chef des DIW, mit dem Titel Verteilungskampf. Ich habe das Buch über Ostern gelesen. Wenn man sich bereits ein bisschen in die Debatte eingelesen hat, bringt das Buch wenig Neues. Es ist populärwissenschaftlich und verständlich geschrieben, es spricht die wesentlichen Argumente an, an einigen Stellen fehlt mir die Tiefe, da hätte ich schon gern mehr gewusst. Die Grundthese eines ungleichen und damit auch ungerecht in Deutschland scheint mir aber plausibel. Fratzscher hat sein Buch in mehreren Interviews promoted, zuletzt heute früh im Tagesspiegel. So war auch ich vor ein paar Wochen über das Buch gestolpert und hatte es mir zugelegt.

Die Kritiker von Fratzscher reiben sich insbesondere an zwei Argumenten. Zum einen wird das Argument angezweifelt, dass sich mehr Gleichheit in einer Volkswirtschaft auch wirtschaftlich lohnt und mehr Wachstum bringt. Hier bezog sich Fratzscher auf eine Studie der OECD, die aber von mehreren Quellen auch angezweifelt wird. Wie z.B. die NZZ schreibt, gibt  es mehrere Studien, die nicht glauben dass mehr Gleichheit kostenlos ist.

Ob die Rechnung in der OECD richtig oder falsch sind, kann ich nicht bewerten. Mir scheint aber die Gegenthese höchste unplausibel, dass nämlich Ungleichheit immer als Antriebe wirkt für Leistung und Wachstum. Es geht ja in der Diskussion gerade um sehr ausgeprägte Ungleichheit, um immer reicher werdende Reiche. Und ab einem gewissen absoluten Wert ist solche Reichtum nur noch obszön, nicht mehr motivierend.

Außerdem wird Fratzscher entgegengehalten, das Deutschland aufgrund der Globalisierung unter einem stärkeren Lohndruck steht, der dann durch staatliche Umverteilung ausgeglichen werden muss. So wurde zum Beispiel jüngst in einem Artikel der Zeit noch einmal diskutiert.

Der Wirtschaftsblog der Süddeutschen Zeitung schlägt sich auf Fratzschers Seite und verknüpft seine Thesen mit den aktuellen Entwicklungen rund um die Offshore-Konten.

Was mir bei Fratzschers Buch ein wenig fehlt, ist die Sicht auf die Wirkung von Innovationen und  neuen Technologien. Zum einen wird das ja zur Zeit in Deutschland recht heftig diskutiert mit Blick auf Automatisierung und Roboter, also die Zukunft der Arbeit. Zum anderen sind die Veränderungen vermutlich deutlich breiter und tiefer. Brynjolfsson und McAfee haben das in ihrem Buch zum Rage Against the Machine schöne herausgearbeitet.

Ich hatte genau dazu über Ostern noch ein zweites Buch gelesen: average is over von Tyler Cowen. Dieser garniert seine Argumentation für mein Verständnis zwar etwas zu stark mit Beispielen aus der Schachwelt. Gleichzeitig zeigt er aber sehr anschaulich, wie Ungleichheit auf einer ganz anderen Ebene immer weiter zunehmen wird. Zwischen den top innovativen Firmen und dem Rest (siehe zum Beispiel diese aktuelle Studie der OECD, zwischen den wenigen städtischen Innovationszentren und dem platten Land (siehe zum Beispiel die immer stärkere Konzentration von Gründern in Zentren wie Berlin), oder auch zwischen globalen Elite-Unis und dem Rest der weltweiten Universitätslandschaft.

Und ob die Innovationsstärke zwischen den europäischen Mitgliedstaaten und ihren Regionen mittelfristig eher auseinanderdriftet oder konvergiert, scheint mir noch offen zu sein. Zumindest meldet der aktuelle Bericht der Kommission hierzu im Moment wieder einen leichten Konvergenz-Trend auf Mitgliedstaatsebene, während die Regionen zum Teil zumindest auseinanderdriften.

Average is over, Ungleichheit muss man aber trotzdem nicht hinnehmen!

Achtung Fakten

Ostern war ich unterwegs zu einem Familienfest, und für die Zugfahrt hatte ich mir die neue April-Ausgabe des Magazins brand eins gekauft, diesmal mit dem Titel: Achtung Fakten, Schwerpunkt richtig bewerten. Ich muss sagen, ich war richtig begeistert. Ein echtes Heft für Evaluatoren. Nicht jeder Artikel hat mich überzeugt, aber insgesamt haben die Macher eine schöne Bandbreite an interessanten Themen abgedeckt.

Spannend fand ich zum Beispiel die beiden Artikel, die sich mit der Bewertung eigentlich unbewehrtbarer Bereiche wie Natur und gesellschaftlicher Mehrwerte beschäftigen. Wie können soziale Organisationen evaluiert werden? Welche absurden Zahlenspiele und Übersetzungen in Euro und Cent werden notwendig, wenn ich wirklich alle Effekte der Arbeit einer solchen Organisation monetarisieren soll?

Etwas platt fand ich den Artikel zu Evaluationen und Bewertungen im Wissenschaftssystem. Klar gibt es hier Auswüchse und dysfunktionale Effekte, mir fehlt aber schon die positive Perspektive.

Interessant auch, wie soziale Medien Bewertungen in alle möglichen neuen Lebensbereiche hinein getragen haben. Wie zum Beispiel haben TripAdvisor und Co den  Tourismus verändert? Warum werden wenn wir als Kunden neuerdings auch dauernd bewertet, wenn wir ein über Taxi nehmen, wenn wir bei Airbnb eine Wohnung buchen oder wenn wir bei ebay etwa kaufen?

Den Prolog fand ich, wie häufig, leider etwas enttäuschen. Wolf Lotter verliert sich am Ende seines Essays vor allen Dingen beim Thema Nudging. Am Ende bleibt der Vorwurf, das sind doch alles nur Psychotricks. Pardon, ich verstehe Nudging anders.

Das Thema Evaluation taucht in den Medien in der Regel nicht auf. Die DeGEval, die Gesellschaft für Evaluation, versucht seit Jahren , mit ihrem Medienpreis gute journalistische Arbeit zum Thema Evaluation zu prämieren und scheitert häufig an der Aufgabe, weil zu wenig Anwärter auf den Medienpreis zu finden sind. Ich glaube, im letzten Jahr wurde der Preis gar nicht mehr verliehen.

Wenn dann endlich mal was zu finden ist, ein prallgefülltes Heft voller spannender Artikel, mache ich gerne Schleichwerbung.

Dienstag, 5. April 2016

Innovationsindikator 2015

Rankings sind eine tolle Sache. Das hat so was sportliches. Wie Pferdewetten. Länder steigen auf, Länder steigen ab, es werden Punkte vergeben, und für alles kann man einen Grund finden. Anfang Dezember wurde der neue Innovationsindikator veröffentlicht. Der BDI bringt ihn seit Jahren heraus, erst in Kooperation mit der Telekom-Stiftung jetzt in Zusammenarbeit mit acatec,  der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.
Ich muss zugeben, ich hatte den Innovationsindikator im Dezember erst nicht auf dem Schirm. Und als ich ihn dann entdeckt hatte, dachte ich mir, was soll's, steht eh nichts Neues drin. Deutschland halt auf einem der vorderen Plätze, in einigen Dimension hoch, in einigen runter, aber unterm Strich hat sich nichts geändert.
Aber dann hat sich die Lektüre doch gelohnt. Zunächst war es schon einmal interessant, die empirischen Ergebnisse und die politischen Forderungen zu vergleichen. Der Innovationsindikator ist ja eine Auftragsarbeit. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW und das Fraunhofer Institut für Innovationsforschung ISI machen die Empirie, Auftraggeber sind der BDI und jetzt eben neu acatec. Diese Arbeitsteilung merkt man den Bericht durchaus an. Die politischen Botschaften und Handlungsempfehlungen schienen mir schon ein wenig entkoppelt von den eigentlichen wissenschaftlichen Analysen, die nicht immer zwingend diese Schlussfolgerung nahe legten. Man könnte auch sagen, hier haben sich Verbände und andere Akteure ein Gutachten gesucht, dass sie dann in ihrem Sinne ausgelegt haben.
Interessant fand ich auch, wie stark der Innovationsindikator doch dem Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation, EFI, ähnelt, die jetzt bald im Februar Jahresgutachten vorstellen werden. Der Innovationsindikator wird jetzt seit Jahren regelmäßig veröffentlicht, immer mit derselben Methode, immer von denselben Innovationsforschungseinrichtungen. Gleiches gilt für die Studien, die dem EFI-Gutachten zugrunde liegen. Ergänzt wird diese Basisanalyse durch thematische Schwerpunkte, EFI kann hierfür jährlich Hintergrundstudien an Forschungseinrichtungen vergeben, im Fall des Innovationsindikator greifen die Macher auf Studien zurück, die in anderen Kontexten schon durchgeführt haben oder gerade durchführen. Der aktuelle Schwerpunkt lag auf kleinen und mittleren Unternehmen, dazu gab es eine Studie des ZEW und hatte auch Fraunhofer ISI bereits Vorarbeiten geleistet.
Als "Evaluationsexperte" habe mich natürlich auch gefreut, dass die Studie die Wichtigkeit regelmäßiger Wirkungsanalysen hervorhebt. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob ich die Aussage, dass eine hohe Effektivität und Effizienz der Forschungsförderung durch Evaluationen immer sichergestellt wird, uneingeschränkt teilen kann...
Ein letzter Punkt: beim Schwerpunktthema kleine und mittlere Unternehmen geht es auch um die hidden champions Deutschland, die sehr gelobt werden. Allerdings, ganz rechts können sie es den Autoren auch nicht machen. Das hohe Alter der Hidden Champions in Deutschland, im Mittel über 80 Jahre, ist laut der Studie Kennzeichen für die untergeordnete Rolle von Unternehmenswachstum. Das könnte man auch anders sehen, das könnte man auch als Erfolgsindikator nehmen für erfolgreiches Überleben. Aber die Autoren wollen auf einen anderen Punkt hinaus. Sie wollen deutlich machen, dass die Startup-Szene in Deutschland nicht dynamisch genug ist. Aber muss man dann wirklich die hidden champions dem gegenüber setzen, Als falsche Strategie kennzeichnen? Ich finde das eher Ausdruck einer sehr erfolgreichen Strategie, und im internationalen Wettbewerb ein Beleg für die Theorie der varietis of capitalism. Da überlebt halt jeder anders. Und an anderer Stelle wird das ja gerade ausführlich geschildert, wie unterschiedlich die Erfolgsstrategien von KMU sind. Aber den Teil hat dann ein anderes Institut geschrieben, und die Querverbindungen sind scheinbar den Autoren nicht wirklich deutlich gewesen.

US-Wahlkampf und Innovationspolitik

Im Moment beherrscht ja der US-Vorwahlkampf die Medienberichterstattung auch in Deutschland. Ein scheinbar untypischer Vorwahlkampf, in dem zur Zeit noch die extremen Positionen von rechts und links bei Republikanern und Demokraten dominieren. Wir in Deutschland können dieses Theater aus gebührlicher Distanz leicht amüsiert verfolgen, aber es ist zugleich ein Zeichen für die Verunsicherung der Mittelschicht nicht nur in den USA. Dazu passen zwei aktuelle Studien zum Thema Innovation und Industriepolitik, die gerade publiziert wurden.
Wie der Economist mit Verweis auf eine aktuelle Studie aus Zürich zeigt, führt die Globalisierung tatsächlich kurz und mittelfristig zu Verlierer auch in eigentlich starken Volkswirtschaften- wer hätte das gedacht. Und das sind vor allem die Wähler von Sanders und Trump.
Vermutlich wird die Hoffnung auf eine Trendwende, also eine Rückverlagerung der industriellen Produktion in die traditionellen westlichen Industrienationen, das sogenannte reshoring, nicht die erhofften Effekte bringen. Zumindest legt dies ein aktuelle Arbeitspapier der OECD nahe.
Ein interessantes Detail des US-Wahlkampfes ist außerdem, von wem die jeweiligen Kandidaten unterstützt werden. So berichtet dieser Artikel davon, dass Hillary Clinton im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Obama nicht mehr von den Internetkonzernen aus Kalifornien unterstützt, wird zumindest nicht in dem Maße, wie dies bisher der Fall war. Interessant finde ich das deshalb, weil die entsprechenden Protagonisten nach unserem europäischen Rechts-Links-Schema eher dem linksliberalen Spektrum zu verorten wären, also den Demokraten nahestehen müssten. Auf der anderen Seite ist das ein Milieu, indem die Vorstellung dominiert, dass der Einzelne eher in der Lage ist, die wesentlichen Probleme zu lösen, als der Staat. Das ist ja bis zu einem gewissen Grad auch die Heilsversprechungen der großen Internetkonzerne, das nämlich sie (alleine?) in der Lage sind, die Herausforderungen der Welt zu meistern, für die der Staat keine Lösungen gefunden hat. Besonders eindrücklich ist diese Haltung in einem Feature das Deutschlandfunk nachgezeichnet das vor gut einem Jahr auf Sendung ging und den schönen Titel "Hippies und Cyberspace" trug (und hier nachgehört werden kann).
Das US-Wissenschaftsmagazin Science hat kürzlich einen Artikel dazu veröffentlicht, wie die Kandidaten zu unterschiedlichen Fragen der Wissenschaft- und Forschungspolitik stehen. Wirklich kontrovers sind vor allen Dingen die Themen, die sowieso relativ heiß umstritten sind in Amerika, also Forschung für den Klimawandel (falls es den überhaupt gibt, für manche der Kandidaten ja eher nicht...). Und alles, was mit Stammzellen und Eingriff in die Keimbahn zu tun hat, da geht es natürlich auch um das Thema des Schutzes des ungeborenen Lebens. Insgesamt scheint auch das Thema Forschungspolitik deutlich weniger konsensorientiert diskutiert zu werden als in Deutschland. Das zeigt auch die Berichterstattung um den neuen Haushalt des Präsidenten zu Forschung, wie er hier diskutiert wird. Aber da ist das amerikanische System mit Präsident und Kongress auf zwei Seiten, die den Haushalt diskutieren und verabschieden, halt insgesamt deutlich konflikthafter. Manchmal würde man sich in Deutschland ja durchaus eine etwas lebhaftere politische Debatte um die Forschungspolitik wünschen.

average is over

Tag 1 nach einem denkwürdigen Wahlsonntag. Fast 25% für die AfD in Sachsen-Anhalt. Die internationalen Kommentatoren überschlagen sich. Hat Deutschland jetzt auch ereilt, was in vielen anderen europäischen Ländern bereits Alltag ist, der Aufstieg rechter Parteien vom Splitterdasein zur politischen Relevanz?
Der Aufstieg der AfD hat sicher ganz viel mit der Flüchtlingskrise zu tun, aber erklärt das wirklich alles? In leider ziemlich vielen europäischen Ländern nimmt ja die Rechte seit längerem schon beständig zu. Eine jüngst erschienene Studie versucht dies mit den Auswirkungen der Finanz und Wirtschaftskrise zu erklären. Die Analyse der letzten 140 Jahre habe gezeigt, dass nach wirtschaftlichen Krisen rechte Parteien immer einen stärkeren Zulauf haben. Okay, für Frankreich kann ich mir das gut vorstellen, aber Deutschland ist ja eigentlich recht gut durch die Finanzkrise gekommen. Allerdings steht Ostdeutschland wirtschaftlich gesehen deutlich schlechter als der Westen der Republik da, und in Ostdeutschland haben rechte Parteien einen deutlich höheren Zulauf. Einen gewissen Erklärungsgehalt scheint die Krisenhypothese also schon zu haben.
Für die Zukunft verheißt das allerdings schlechte Zeiten. Denn möglicherweise hat diese Entwicklung einiges mit der Digitalisierung zu tun. Und das ist dann auch zu die Brücke zum Thema meines Blogs. Denn das ist hier ja ein Innovationsblog und kein Politikblog.
Heute wurde auch die CeBIT eröffnet, und Bundesminister Gabriel stellte seine neue Digitalisierungsstrategie vor (was zu folgendem eher enttäuschten Kommentar führte). Seid spätestens zwei Jahren ist Digitalisierung das Megathema, auch für die Bundesregierung. Digitalisieren wird alles verändern, das Arbeitsleben (siehe Arbeit 4.0), die wirtschaftlichen Chancen großer und kleiner, alter und neuer Unternehmen, und auch die Kommunikation über Politik und die Mobilisierung der Gesellschaft.
Die Digitalisierung wird auch für ein erhebliches Potenzial zu mehr Ungleichheit verantwortlich gemacht. Interessanterweise wird unsere Welt ja immer gleicher, allerdings eher zwischen Staaten und nicht innerhalb nationaler Gesellschaften. Da nimmt die Ungleichheit eher zu, das ist ein weiteres Megathema. Geradezu mit morbidem Vergnügen werden fast im Wochenrhythmus neue Studien dazu veröffentlicht, wie die Digitalisierung die Mittelschicht auf breiter Front aushöhlen könnte. Das muss natürlich nicht so kommen, aber wer weiß? Die Kommentatoren des amerikanischen Vorwahlkampfes scheinen sich auch sicher zu sein, dass Arbeitsplatzverluste durch die Industrialisierung und Automatisierung mit zur Radikalisierung des Vorwahlkampf beigetragen haben. Früher hätte man wohl von  Modernisierungsverlierern gesprochen. Heute oder spätestens morgen ist es möglicherweise eher die digitale Spaltung der Gesellschaft in digitale Gewinner und digitale Verlierer.
Das kann dann ganze Regionen betreffen. Ein Artikel im Economist verweist aktuell auf das zunehmende Auseinanderdriften der amerikanischen Bundesstaaten. Diejenigen Bundesstaaten, in denen aufstrebende Städte liegen, in denen sich Technologiefirmen ansiedeln, wo Forschungszentren prosperieren, haben ein deutlich höheres Wirtschaftwachstum als andere Bundesstaaten, die systematisch abgehängt werden.
Droht uns sowas auch in Deutschland, schon jetzt ist ja ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Bundesländern zu beobachten, zum Beispiel was die FuE-Quote angeht? Wird hier vielleicht sogar ein sich selbst verstärkender Teufelskreis in Gang gesetzt? Der BDI verweist in seiner ersten Reaktion zur gestrigen Wahl darauf, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland durch Erfolge der AfD nachhaltig gefährdet sein könnte. Das trifft auf einige Regionen sicher noch stärker zu als auf andere. Und in Dresden beschwören die dort ansässigen Forschungsinstitute, dass international renommierte Forscher immer schwerer für Ostdeutschland zu gewinnen sind.
Hier nur von den Folgen der Digitalisierung zu sprechen ist sicher arg verkürzt. Aber die digitale Postmoderne weist auf jeden Fall einigen sozialen Sprengstoff auf, der sich politisch sehr unschön entladen könnte.
Der Economist übrigens schließt seinen Artikel mit einem Verweis auf das 2013 erschienene Buch von Tyler Cowen "average is over". Ich habe es noch nicht gelesen, aber der englischsprachigen Wikipedia zufolge scheint das eine eher gruselige Dystopie zu sein. Oder doch ein realistischer Blick in die Zukunft?
P.S. im weiteren Sinne zum Thema gibt es einen Haufen weiterer interessanter Link:
Wie das Risiko von Jobverlust und die Neigung, Republikaner zu wählen, in den USA korrelieren
Eine in meinen Augen nur halb gelungene Foresight-Studie zur Zukunft der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung und mögliche soziale und politische Konsequenzen

Samstag, 2. April 2016

Rechte Innovationsgefährder

Ich muss es zugeben, ich hatte mich aufgeregt. Ich las einen Artikel dazu, wie die AfD für Startups zu bewerten ist. In der Gründerszene wurde das vorläufige Parteiprogramm der Partei analysiert, und wie nicht anders zu erwarten, fiel das Ergebnis ziemlich negativ aus. Zwar spreche sich die Partei für Marktwirtschaft, für die digitale Wirtschaft und für den Abbau von Bürokratie aus. Der nationalistische Grundton, die Fremdenfeindlichkeit und die Ablehnung aller internationaler Orientierungs widerspräche aber jedem Gründergeist. Na klar! Was hatten die denn erwartet? Schon jetzt gab es ja alle überall in den Zeitungen Berichte darüber, wie der Osten Deutschlands, insbesondere Sachsen und Dresden, immer unattraktiver für Touristen, Investoren und ausländische Wissenschaftler wird. Musste man da wirklich seriös tun und ein vorläufiges Parteiprogramm analysieren? Hallo?

Etwas erschreckt hat mich dann doch die Haltung der Parteien zum Klimawandel. Die Süddeutsche berichtet, wie die AfD den Klimawandel leugnet, und das hätte ich nun wirklich nur in den USA erwartet. Ideologiegetriebene Verdrängung wissenschaftliche Erkenntnisse.

Ich fürchte, im nächsten Innovationsindikator oder der nächsten EFI-Studie wird die rechte Gesinnung und die darauf aufbauende nationalistische und wissenschaftsfeindlichen Orientierung in Ostdeutschland ein echter Gefährder für den Innovationsstandort Deutschland sein.

Freitag, 1. April 2016

Tay 2

Heute hat die Süddeutsche noch einmal die Abenteuer von Tay, Microsofts Chatbot, in einem Feuilleton-Artikel aufgegriffen, auf den ich schon in meinem letzten Blog eingegangen bin. Es ist der bisher lustigste und tiefsinnigste Artikel, den ich zu dem Thema gelesen habe. Tay wurde ja eine Art Gehirnwäsche unterzogen. Die Süddeutsche kommentiert das in ihrem Untertitel: "Wie praktisch: Rassistische Beleidigungen in sozialen Medien kann man jetzt auch maschinell erledigen lassen." Natürlich ist das schon längst der Fall, alle möglichen Bots tummeln sich in sozialen Netzwerken, schreiben Kommentare und manipulieren die scheinbare Lesermeinung. Ein Projekt zu sozialen Bots wird zum Beispiel zur Zeit im Rahmen der Innovation und Technik Analysen des BMBF gefördert. Auch der eingangs zitierte Text der Süddeutschen geht auf dieses Phänomen einen und rät dem Nutzer, eine Art Tuning-Schnelltest anzuwenden, wenn man sicher gehen möchte, dass man es mit einem Menschen und nicht mit einer Maschine zu tun hat.
Gibt man sich aber, zumindest bei einem wohlwollenden und vielleicht sogar ganz charmanten Chat-Programm, der Illusion hin, es mit einem intelligenten gegenüber zu tun zu haben, so eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten der virtuellen sozialen Interaktion. Wir werden es demnächst mit vielen solcher Dialogmöglichkeiten zu tun haben, zumindest, wenn Microsoft seine Pläne realisiert, die der Konzern auch just in diesen Tagen praktisch zeitgleich vorgestellt hat ( Zufall, raffinierte Strategie oder PR-GAU?). Cortana, sozusagen das Siri von Microsoft, soll demnächst in alle möglichen Apps und Anwendungen einfließen, und soll sogar an Drittenutzer lizensiert werden.
Wird das eine Art immaterieller Aibo, ein treuer Freund und Begleiter durch alle Lebenslagen? Wird die Vereinsamung, die uns als Online-Shopper auf dem Sofa bedrohte, durch nette Chat-Robots aufgebrochen? Tauchen wir bald ein in die schöne neue virtual reality künstlicher Freunde, die auch den introvertiertesten Nerd zu einem echten sozialen Wesen machen?
Oder wird es uns gehen wie Theodore aus dem Film von Spike Jonze? Werden wir uns in unsere neue künstliche Freundin verlieben? Wird das das Ende aller echten sozialen Kontakte sein? Wozu noch raus auf die Straße und mit wirklichen Menschen sprechen? Wozu das Risiko muffiger Antworten und schnippische Kommentare eingehen? Lieber Säusellevel 4 eingeben und einen netten Plausch mit dem Smartphone halten.
Bis dahin muss Microsoft allerdings noch dafür sorgen, dass unser netter digitaler Partner nicht durch die bösen Menschen verdorben wird.