Samstag, 16. September 2017

Tulpenfieber, Bitcoin und China

Freunde der Kryptowährung Bitcoin erleben gerade eine echte Achterbahnfahrt. Erst schraubte sich der Kurs in ungeahnte Höhen, jetzt bricht er mit der Schließung mehrerer Börsen nach Einschreiten der chinesischen Behörden massiv eingebrochen. Ein zentrales Motiv der chinesischen Regierung war wohl, die unkontrollierten Transfers von Geld zu verhindern. Ähnlich war zuvor die Einkaufstour chinesischer Unternehmen im Ausland eingeschränkt worden.

Die heftigen Ausschläge des Kurses auf die chinesischen Maßnahmen rühren von dem großen Erfolg, den Bitcoin in China hatte. Der Marktanteil Chinas war riesig.

In einem interessanten Artikel der Zeitschrift Slate schreiben die beiden Autoren Chen Qiufan und Ken Liu, dass die ungeheuren Mengen an Bitcoins, die in China geschaffen wurden, auch Ausdruck einer chinesischen Technikfixierung sind, die auch in der Angst begründet liegt, nicht einen gerechten Teil vom Kuchen des sozialen Aufstiegs abzubekommen. Sie sprechen gar von einer echten "Techneurose". Ein wenig erinnert der kometenhafter Aufstieg der Kryptowährung die Autoren an die Tulpenblase, eine Spekulationsblase der frühen Neuzeit, die gerade durch einen bunten Historienfilm wieder in Erinnerung gerufen wurde.

In Deutschland wird Chinas Streben nach technologischem Fortschritt, nach Exzellenz und Innovation ja eher ambivalent gesehen. Wächst hier ein Rivale am Weltmarkt heran, möglicherweise sogar mit unlauteren Mitteln, wenn deutsche Unternehmen gezwungen werden, Know-how preiszugeben? Oder wenn gar Industriespionage dazu führt, dass Plagiate den deutschen Unternehmen das Leben schwer machen? Sind staatliche Strategien, die eine Technologieführerschaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren anstreben, zu fürchten, weil der chinesische Staat andere Möglichkeiten hat, solche Pläne auch umzusetzen?

Ich finde die oben zitierte Deutung der Bitcoin Blase in China in diesem Kontext ganz erhellen, denn er erklärt China Streben nach technologischer Exzellenz nicht als nach außen gerichtetes Großmachtstreben, sondern von innen heraus, mit soziokulturellen Faktoren.

Und er hilft vielleicht auch ein klein wenig zu erklären, warum sich Deutschland in manchen Technologiefelder so schwer tut, warum z.B. eine breite Startup-Kultur seit Platzen der Dotcom -Blase Anfang der 2000er Jahre nicht wirklich abgehoben hat, warum stattdessen die Gründungszahlen weiter rückäufig sind. Und das, obwohl die Ausgangsbedingungen nicht schlecht wären. Gerade erst hat die OECD belegt, dass Deutschland in Hinblick auf MINT-Qualifikationen, also Qualifikationen in den Bereichen Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik international Spitze ist. In keinem anderen Land beginnen so viele Menschen eine Ausbildung oder ein Studium in diesen Bereichen. Kleine Mark Zuckerberg purzeln trotzdem nicht aus diesem System.

Es hat vielleicht viel mit Sattheit und Zufriedenheit zu tun. Der Arbeitsmarkt entspannt, wer qualifiziert ist, findet eine gut bezahlte Beschäftigung, ohne sich dem Risiko der Selbständigkeit aussetzen zu müssen. Soziale Ungleichheit wächst zwar bis zu einem gewissen Grad, alles in allem ist aber Deutschland weiterhin ein relativ sozial gerechtes Land. Noch fehlen auch Zuwanderer in großer Zahl, die mit Energie und Aufstiegswillen den Weg der Selbständigkeit suchend würden, um sozial nach oben zu kommen.

Andererseits, lieber gut versorgt und zufrieden als ständig in Sorge, abgehängt zu werden und den technologischen Fortschritt zu verpassen. Druck als Voraussetzung für gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik? Das Institut der deutschen Wirtschaft behauptet in diesem Artikel, dass Ungleichheit sogar notwendig sei. Ohne Ungleichheit kein Antrieb zum sozialen Aufstieg, zum beruflichen Erfolg. Eine eher unangenehme Vorstellung einer Ellenbogengesellschaft.

Freitag, 8. September 2017

Bundestagswshl 2017 und Innovationspolitik

In zwei Wochen sind schon Bundestagswahlen, und dafür ist es seltsam ruhig in diesem Land. Die großen Debatten sind mehr oder weniger ausgeblieben, das Kanzlerduell im Fernsehen hat sich weitgehend als Konsensgekuschel entpuppt. Ein paar Konflikte gibt es zur Außenpolitik (Stichwort Türkei) oder zur Sozialpolitik (Reichensteuer, Renteneintrittsalter), in den meisten Politikfeldern aber herrscht der große Konsens. Für eine gute Politik muss das nicht schlecht sein, wenn die entscheidenden Parteien am selben Strang ziehen, und das auch noch in dieselbe Richtung. Kurz vor einer Wahl allerdings macht es die Entscheidung für eine der Parteien nicht gerade einfacher.

Die Forschungs- und Innovationspolitik ist hierfür ein typisches Beispiel. Seit vielen Jahren sind sich die Parteien des Deutschen Bundestages weitgehend einig, dass das Politikfeld wichtig ist und z.B. zusätzlicher Mittel bedarf. Im Detail gibt es Unterschiede, aber im Grundsatz wird die Innovationspolitik von allen mitgetragen.

Aber halt, ein paar Anhaltspunkte gibt es vielleicht doch, um auch dieses Politikfeld als Ausgangspunkt für die Entscheidungsfindung vor der Wahl zu nutzen? In Anlehnung an den Wahl-oMat haben findige Geister ein Pendant im Bereich der Wissenschaftspolitik gebaut. Der Science-o-Mat hat die Wahlprogramme der wichtigsten Parteien ausgewertet und hilft bei der Suche nach "meiner" Partei. Tatsächlich gibt es Unterschiede bei den Fragen nach Tierversuchen, Gentechnik oder Dieselverbot, aber ein bisschen gemogelt ist es schon. Das sind nicht die großen Forschungs- oder Innovationspolitik Fragen, die hier durchgearbeitet werden.

Und ein paar Fehler haben sich auch hineingeschlichen. So lautet eine der Aussagen, zu denen man sich verhalten soll: "Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollten bis 2025 in Deutschland einen höheren Anteil am Bruttoinlandsproduktes (BIP) erzielen als im Rest der Welt." Das wären dann weit über 4%, über dem Wert von Südkorea. Hierfür tritt keine der Bundestagsparteien ein, es wäre auch vollkommen unrealistisch. Im Moment scheint der Konsens eher auf 3,5% hinauszulaufen, und auch das ist schon sehr ehrgeizig.

Auch hier wieder: der große Konsens. Und wohl eher zum Wohle des Landes. Deutlich wird das, wenn man z.B. den Blick des Auslands auf das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem einnimmt. Hier werden ganz andere Akzente gesetzt. Die amerikanische Wissenschaftszeitschrift Nature spricht sich z.B in einem Editorial für die Wahl Angela Merkels aus, da sie eine starke Wissenschafts- und Forschungspolitik betrieben habe, so berichtet zumindest das Wochenblatt die Zeit. Das muss man im Ergebnis nicht teilen, zeigt aber eher die großen Linien der Forschungs- und Innovationspolitik der letzten 10 Jahre auf.

Aber irgendwie ist so ein großer Konsens auch langweilig. So spricht sich die Zeit in einem anderen Artikel für eine mutige, vor allem aber innovative Politik selbst aus. Der Autor Uwe Jean Heuser beschreibt in dem Artikel "Bitte mehr Wumms" zunächst das langweilige Kanzlerduett (pardon: -duell) und beklagt dann, dass in den Wahlkämpfen "das Progressive, der neue Weltentwurf, ein sichtbarer Anlauf zur Verbesserung der durchaus verbesserungswürdige Welt" fehle. Er leitet dann über, dass es durchaus neue Möglichkeiten gibt, soziale Veränderungen herbeizuführen, durch die Nutzung neuer Daten und Technologien und sozialer Innovationen. Als herausragendes Beispiel für einen solchen Ansatz sieht er den britischen Thinktank Nesta, die "Innovationsstiftung". Tatsächlich ist Nesta sicher einer der ideenreichsten Akteure des britischen Innovationssystems, und dazu noch ein Akteur, der seinen Auftrag wahrlich global sieht. Entsprechend sind auch die Beispiele von Uwe Jean Heuser international gewählt, wie das Projekt in Südkorea. Ob Großbritannien aber als großes Vorbild für die deutsche Innovationspolitik taucht, da habe ich meine Zweifel. Zwar haben es die Briten im diesjährigen European Innovation Scoreboard tatsächlich in die Spitzengruppe geschafft, insgesamt scheint das deutsche Innovationssystem aber doch deutlich stärker zu sein. Und was die Wissenschaftslandschaft angeht, so sind natürlich hervorragende Universitäten zu nennen, aber in der Breite musste das britische Wissenschaftssystem deutliche Kürzungen in den letzten Jahren hinnehmen, das hat auch Deutschland für britische Wissenschaftler ziemlich attraktiv gemacht. Und jetzt kommt noch der Brexit, da werden die Prognosen dann ganz dunkel.

Zurück zum deutschen Bundestagswahlkampf. Worüber man natürlich immer spekulieren kann, ist das Personal. Und dementsprechend präsentierte die Zeit in ihrer neuen Ausgabe mögliche Kandidaten für die Spitze des BMBF. Die unterscheiden sich nach Partei Herkunft und individuellen Karriereoptionen, aber auch hier wieder nicht nach inhaltlichen Unterschieden.

Damit bleibt das Fazit, dass die Bundestagswahl 2017 aus Sicht der Forschungs- und Innovationspolitik nicht gerade weichenstellend sein wird. Das ist aber auch ganz beruhigend denkt man an andere Abstimmung in der letzten 12 Monate in anderen Weltgegenden...

Gesichtserkennung

Nächste Woche wird das neue iPhone vorgestellt, und eines der wenigen richtig neuen Feature, die dieses neue iPhone haben wird und die sich nicht schon in  Android-Handys finden, ist eine Gesichtserkennung. Der Homebutton fällt weg, und entsperrt wird über eben diese Gesichtserkennung. Außerdem soll man auch bezahlen können mit dieser neuen Gesichtserkennung.

Vielleicht ist es ein Zufall, aber im Moment sind die Medien voll mit Artikeln zu den Potenzialen und Risiken der Gesichtserkennung. Der neue Economist widmet dem Thema nicht nur eines seiner Editorials, sondern auch drei weitere Artikel.

In einem der Artikel geht es um eine Studie, in der ein Algorithmus die sexuelle Orientierung eines Menschen aufgrund der Analyse seines Gesichts mit größerer Treffsicherheit vorgenommen hat, als ein Mensch dies tun könnte. Ein weiterer Artikel beschreibt ein Verfahren, nachdem aufgrund einer DNA-Analyse Gesichtszüge rekonstruiert werden (anderere Artikel bestreiten übrigens, dass das möglich ist). Und der dritte fast übergreifen zusammen, wo Gesichtserkennung heute schon eingesetzt wird und was uns in Zukunft noch so alles blüht. Ein Startup aus den USA z.b. bietet einen Dienst an, indem Gesichter auf Merkmale für Krankheiten analysiert werden. Dieser Dienst soll Ärzten zur Verfügung stehen, aber wer weiß, wer das dann sonst noch nutzen möchte.

Für den Economist ist das alles eine technische Revolution mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen, er spricht von einem facial-industrial complex. Insbesondere China sei schon deutlich weiter in der kommerziellen Nutzung als westliche Länder. Und auch der chinesische Staat nutzt weidlich die Möglichkeiten, die Gesichtserkennung bietet, natürlich auch zu Überwachungs- und Kontrollzwecken. Aber dazu hatte ich schon in einem anderen Blogbeitrag berichtet. Eine israelische Firma hat sogar eine Software entwickelt, mit der man seine Fotos so leicht verändern kann, dass sie in der Datenbank eines Gesichtserkennungs-Algorithmus nichts mehr wert sind.

Die Firma Unilever, so schreibt ein Artikel der französischen Zeitschrift Usbek & Rika, nutzt neuerdings zumindest experimentell in ihrem Einstellungsprozess eine Software zur Gesichtserkennung, die die Motivation und den Enthusiasmus der Beweber misst und nur diejenigen Kandidaten in die nächste Runde entlässt, die hier ausreichend überzeugen.

Der Wissenschaftler hinter der Studie zur Identifizierung sexuelle Orientierung durch Gesichtserkennung ist übrigens Michal Kosinski, der kürzlich auch in einem langen Feature des Deutschlandfunk im Mittelpunkt stand. Dort allerdings nur am Rande mit seiner Studie zur Gesichtserkennung, hier ist er vielmehr der, der im Winter für Aufsehen sorgte, als er die Wahl Donald Trumps auf seinen Algorithmus zurück führte. Wie erinnern uns, die Firma Cambridge Analytics unterstütze den Wahlkampf Donald Trump mit einem System, dass angeblich gezielte Ansprache von potenziellen Wählern erlaubt, von denen vorher eine Art Psychogramm erstellt wurde.

Der Beitrag des Deutschlandfunks beschäftigt sich allerdings übergreifend mit der Frage, ob Psychogramme auf der Grundlage von Daten erstellt werden kann, die wir im Internet über unser dortiges Kommunikationsverhalten oder auch über ein Bild unseres Gesichts preisgeben. Der Autor ist hier zwar deutlich skeptisch, die Beispiele, die im Beitrag genannt werden, sind aber zum Teil schon frappierend. Kann unsere Facebook-Kommunikation Auskunft darüber geben, ob wir zu Depressionen neigen und suizidgefährdet sind? Können Arbeitgeber aus der Kommunikation ihrer Mitarbeiter Schlüsse über Motivation und Engagement ziehen? Ist Privatsphäre überhaupt noch möglich, wenn alle Signale, die wir irgendwie im Rahmen von Kommunikation oder einfach nur unsere Anwesenheit weitergeben, entsprechend intelligent ausgewertet werden können?

Das Beispiel von Cambridge Analytics zeigt, dass hier noch viel Eigenwerbung mit dem Spiel und die Fähigkeiten der meisten Algorithmen doch sehr beschränkt sind. Eine hohe Fehlerquote könnte Anlass zur Beruhigung sein, vielleicht aber auch eher besonders beunruhigen, weil das ganze genutzt wird, aber nicht einmal gut funktioniert.

Ganz im Sinne von Jaron Lanier, der sagte, was ihn besonders beunruhigt, sind nicht kluge Maschinen, sondern dumme Maschinen zusammen mit dummen Menschen.

Und was die Gesichtserkennung angeht, so klingen die Verheißungen schon ein wenig magisch. Die Persönlichkeit, künftige Krankheiten und sogar alle Informationen, die das Netz je über einen gespeichert hat, werden so zugänglich. Das Gesicht als Schlüssel zur Person. Immerhin ist es nicht die Kopfform, wie die Phrenologie früher behauptete. Das würde ja auch arg und schöne Assoziationen und Erinnerungen an dunkle Zeiten wecken.