Dienstag, 31. Dezember 2019

Innovationspolitischer Jahresrückblick und Rückblick auf die letzten 10 Jahre

Das Jahr 2019 neigt sich rapide seinem Ende zu, und damit auch das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Bevor wir aber mit Schwung in die neuen Zwanzigerjahre eintauchen, lohnt sich vielleicht ein kurzer innovationspolitischer Blick zurück auf die letzten zwölf Monate bzw. zehn Jahre.

Innovationspolitisch scheinen die letzten Monate auf den ersten Blick eher ein wenig langweilig. Viel Neues ist nicht passiert, die spannendsten neuen Instrumente - die steuerliche Forschungsförderung und der Start der neuen Agentur für Sprunginnovationen - stehen noch aus. Ob beide die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen können, ist für mich offen. Als Experimente einer neuen Innovationsförderung sind sie auf jeden Fall aber sehr interessant und werden auch durch entsprechende Evaluationen begleitet werden.

Während die Agentur für Sprunginnovationen mit einem Fördervolumen von 1 Milliarde Euro in 10 Jahren nicht wirklich riesig ausfällt und viele Umsetzungsdetails noch offen sind, nimmt sich die steuerliche Forschungsförderung oder Forschungszulage doch etwas substantiellen aus. Die Bundesregierung rechnet mit Mindereinnahmen von ca. 1,4 Milliarden Euro pro Jahr, das sind immerhin etwa 8 Prozent der bisherigen direkten öffentlichen Forschungsförderung. Da aber sehr viele Unternehmen anspruchsberechtigt sind, kommt für jedes einzelne antragstellende Unternehmen dann aber doch nicht so viel bei rum. Zusammengenommen könnte der Effekt aber doch spürbar sein und zumindest die Chancen erhöhen, das tatsächlich sehr ehrgeizige 3,5 Prozent Ziel der Bundesregierung zu erreichen.

Dieses Ziel hat sich die Regierung nach einem beeindruckenden Jahrzehnt kontinuierlich steigender Forschungsausgaben selbst gesteckt. 
Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung lagen noch 2009 bei knapp 12 Milliarden Euro, 2018 bereits bei etwa 17 Milliarden Euro. In der Folge lag die FuE-Quote 2009 bei etwa 2,8 Prozent, 2018 (eine Schätzung für 2019 wird es erst Ende des nächsten Jahres geben) liegt sie bei 3,1 Prozent. Die letzten Jahre zeigen aber auch, dass insbesondere der Wirtschaftsanteil gestiegen ist, während der Staatsanteil zwar absolut, aber nicht mehr relativ zum BIP gewachsen ist. Und der aktuelle Bundeshaushalt bestätigt den Trend. Die Jahre des schnellen Wachstums der staatlichen Forschungsausgaben könnten vorbei sein. Für das 3,5 Prozent Ziel heißt das, es könnte eng werden, auch mit einer steuerlichen Forschungsförderung.

Natürlich ist die FuE-Quote nur ein Indikator unter vielen, der zudem auch nur beschränkte Aussagekraft hat. Schaut man etwas differenzierter, so sieht man zum Beispiel, dass auch die ständig wachsenden Forschungsausgaben der Unternehmen nicht bedeuten, dass alles in Butter ist. Innovationsausgaben und innovationsintensität deutscher Unternehmen nehmen zwar seit zehn Jahren kontinuierlich zu, allerdings praktisch nur bei den Großunternehmen. Die Innovatorenquote hingegen ist seit 10 Jahren leicht rückläufig. Und die Zahlen zeigen auch, dass sich die innovationsaktivitäten sehr ungleich über die verschiedenen Branchen verteilen. Insbesondere der Automobilsektor hat in den letzten zehn Jahren eine hohe Dominanz gewonnen. 

Ob das nun bedeutet, dass die Autobranche fit ist für die Zukunft, ist damit noch nicht beantwortet. In Hinblick auf das Megathema der letzten 10 Jahre, die Elektromobilität, gibt es zumindest viele Kritiker, die dies bezweifeln. Vor zehn Jahren wurde das Ziel von einer Million Elektrofahrzeuge bis 2020 aufgestellt. Hiervon sind wir weit entfernt, auch wenn die Zulassungszahlen in den letzten Jahren deutlich angezogen haben. 2019 war auch das Jahr der Krrisenmeldungen der Automobilindustrie. Große Unternehmen kündigten erhebliche Arbeitsplatzeinsparungen an - auch um entsprechende Ressourcen für den Umbau in Richtung Elektromobilität zu haben. Und 2020, wenn die neuen Vorgaben der EU in Kraft treten, wird für die Autobauer nicht einfacher - dann muss der Hochlauf der Elektromobilität einfach gelingen, sonst drohen drastische Strafzahlungen.

Das Jahr 2019 stand ja insgesamt unter dem Eindruck einer sich verschärfenden Klimakrise und entsprechende gesellschaftlicher Mobilisierung. Gerade der verkehrssektor zeigte sich dabei als ein besonderer Problemfall. Das belegt auch der Blick zurück auf die letzten 10 Jahre. Der Anteil der umweltfreundlichen Mobilität (Fußgänger, Radfahrer ÖPNV und Bahn) an der Gesamtmobilität ist laut UBA in den vergangenen Jahren leicht gesunken BV (allerdings reichen die Zahlen des UBA nur bis 2016).  Allerdingscheint der Radverkehr in Deutschland überproportional zugenommen zu haben, wie eine Sonderstudie des BMVI zeigt. 
Meine persönliche Erfahrung in Berlin kann das nur bestätigen, leider auch, dass der Ausbau der Infrastruktur hier überhaupt nicht mithalten kann. Bei der Bahn sind die Fahrgastzahlen in den letzten 10 Jahren um 20 Prozent gestiegen. Nicht mitgehalten hat allerdings das Angebot, daher ist auch die Auslastung pro Zug entsprechend höher. Bis auf ein paar Neubaustrecken hat man den Eindruck, dass sich bei der Bahn in den letzten 10 Jahren wenig getan hat. Selbst ein funktionierendes WLAN wurde erst  2017 Flächen deckend in den ICE-Zügen eingeführt. Vielleicht haben wir Glück, und mit dem Klimapaket der Bundesregierung ändert sich tatsächlich in den nächsten Jahren noch etwas bei der Bahn. Zumindest die Ankündigungen lassen ein bisschen hoffen. ab Januar wird die Mehrwertsteuer gesenkt, perspektivisch plant die Bahn ihren Deutschland-Takt, und für die Infrastruktur sind auch einige Milliarden an Investitionen vorgesehen.

Ein wenig Beine gemacht hat der Bahn in den letzten 10 Jahren der neu entstandene Fernbusmarkt. Dieser wurde erst 2013 durch eine Gesetzesänderung überhaupt geschaffen. Nach einer euphorischen Phase, in der viele Anbieter auf dem Markt erschienen, hat sich dieser deutlich konsolidiert, es ist ein Monopolist übrig geblieben, der allerdings auch international Erfolg hat. 2017 war dann das Jahr, in dem die asiatischen Leihräder deutsche Großstädte fluten. Mittlerweile hat sich die Aufregung ein wenig gelegt, nicht zuletzt auch deshalb, weil jetzt Elektroroller den Platz der Leihräder eingenommen haben und deutsche bürgersteige angeblich unbegehbar machen.

Fast schon altmodisch mutet da ein weiteres Mobilitätsthema der letzten 10 Jahre an, dass Carsharing. Auch Carsharing war mit dem Anspruch gestartet, die Mobilität in Deutschland grundsätzlich umzukrempeln. Tatsächlich haben sich eine Reihe von Anbietern in den deutschen Großstädten etabliert und verzeichnen steigende Nutzerzahlen. Heute gibt es knapp 2,5 Millionen registrierte Nutzer, Carsharing ist aber weiterhin nur in eben diesen Metropolen nutzbar und damit nur für 16 Prozent der Deutschenutschen überhaupt zugänglich. Die Zahl der zugelassenen Privatautos ist allerdings deutlich stärker gestiegen

Ein weiteres Megathema der letzten 10 Jahre im Bereich der Mobilität war für eine gewisse Zeit das autonome Fahren. Nachdem die deutschen Straßen immer noch nicht von Roboterautos bevölkert werden, und nachdem sich gezeigt hat, dass auch ein autonomes Auto Unfälle bauen kann, ist die Euphorie einer gewissen Nüchternheit gewichen - die Aufmerksamkeit in den Medien geht deutlich zurück.

Mobilität ist natürlich nicht die einzige Dimension, die klimapolitisch heiß diskutiert wurde und wird. 2019 war neben Fridays for Future auch das Jahr des Kohlekompromisses, der die Energiewende fortführen soll. Innovationspolitik interessant fand ich in diesem Zusammenhang mindestens drei Aspekte: 

Zum einen die Diskussion darüber, ob eine Verhaltensänderung notwendig sei, um den Klimawandel zu bremsen, oder ob es allein ausreiche, auf die Segnungen zukünftiger Innovationen zu hoffen und dann jeder weiter konsumieren können wie bislang. Diese techo-euphorische Haltung scheint in manchen Parteien tatsächlich noch mehrheitsfähig zu sein.

Ein zweiter Diskussionsstrang zielte darauf, den strukturellen Verwerfungen des kohleausstiegs auch durch innovationspolitischen Maßnahmen zu begegnen. Dahinter steht die Hoffnung, dass Forschungseinrichtungen und innovative Firmen Arbeitsplätze schaffen und strukturelle Wirkung entfalten. Das ist grundsätzlich sicher richtigen und mag in manchen Fällen auch helfen, andererseits zeigen aktuelle Studien, dass Innovationsprozesse, insbesondere wenn sie an Digitalisierung geknüpft sind, eher zu einer Konzentration in wenigen Metropolen neigen.

Ein dritter Diskussionsstrang beschäftigte sich mit den erneuerbaren Energien, die zwar Stück für Stück einen immer größeren Anteil am deutschen Energiemix haben, gleichwohl aber nicht unbedingt die Zielmarke erreichen werden, die sich die Bundesregierung gesetzt hat. neben der Frage, welchen einstiegspreis ein tatsächlich wirksamer Emissionshandel haben müsste, beschäftigte uns zuletzt vor allen Dingen die Frage, ob die Windenergie das Schicksal der Solarbranche erleiden wird.

Während diese 2009 kurz vor ihrem Allzeithoch an Arbeitsplätzen im Jahr 2010 mit 133.000 Beschäftigten stand, ist sie in den vergangenen zehn Jahren in sich zusammengebrochen. Heute arbeiten nur noch etwa 33.000 Beschäftigte dieser Branche.

2019 wurde auch immer stärker diskutiert, ob die Digitalisierung selbst zu einem Klimaproblem werden könnte, da der stromverbrauch immer stärker auch von digitalen Anwendungen geprägt ist. Ich war ziemlich überrascht, dass diese Digitalisierung eigentlich noch ziemlich jungen Datums ist, als vor zwei Jahren das iPhone seinen 10. Geburtstag feierte. 2009 war das iPhone erst 2 Jahre alt, eine Firma namens Nokia hatte da noch den größten Marktanteil. Seitdem hat sich doch ganz schön viel verändert.

  • Der unaufhaltsame Aufstieg des Online-Handels, allerdings bislang noch ohne automatisierte Zustellung per kleinem Roboterwagen oder Drone, sondern per Fahrradkurier.

  • Streaming allüberall, mit den entsprechenden Problemen beim ICE WLAN und den entsprechenden Energie und Umweltfolgen. 

  • Die Messung von allem und jedem, am besten im Buch von Andreas Reckwitz zur Gesellschaft der Singularität beschrieben

  • Neue Dynamiken der öffentlichen Kommunikation, insbesondere auch getrieben durch soziale Medien und mit zum Teil absonderlichen Diskussionen, siehe nur die aktuelle Debatte um Motorrad fahrende Omas
Als Ausblick für 2020 wie immer zu empfehlen die Prognose von NESTA, die zwar wie alle Prognosen in ihrer Vorausschau für morgen eher daneben liegt, aber die spannendsten Trends von heute aufgreift.  MeinFavorit: der persönliche Digital Twin

Freitag, 22. November 2019

Forschungsproduktivität

Im November hat der Sachverständigenrat der Bundesregierung sein aktuelles Jahresgutachten vorgelegt. Dabei hat er sich in diesem Jahr auch intensiver mit dem Thema Produktivität auseinander gesetzt, da er seit Sommer auch der nationale Produktivitätsrat ist. Das Thema eines rückläufigen Produktivtätswachstums beschäftigt die Politik schon länger, der Sachverständigenrat schlägt nun insbesondere vor, durch Forschung, Innovationen und Gründungen die Dynamik wieder zu steigern.

Nur ganz kurz angesprochen wird im Gutachten der Aspekt, dass auch Forschung selbst einem Produktivitätsrückgang zu unterliegen scheint. Hierzu wird nur in einem Satz ausgeführt, dass dies vielleicht an der erhöhten Komplexität moderner Technologie liegen könnte. Angesichts der weitreichenden Folgen dieses Befundes, sollte er den stimmen, aus meiner Sicht ein wenig dürftig. Schließlich wird ja die Forschung selbst quasi zur Wunderwaffe der Produktivitätssteigerung stilisiert. Aber zunächst zur Faktenlage. Diese ist zwar nicht eindeutig, es gibt aber einige Hinweise, dass wir tatsächlich ein Problem haben.

Wie NESTA in einem Blogbeitrag kürzlich schreibt, gibt es eine Reihe aktueller Studien, die einen Rückgang der Forschungsproduktivität belegen. Immer mehr Forscherinnen und Forscher und immer mehr Geld wird benötigt, um den selben Output zu erreichen. Die Kollegen von NESTA haben zwar keine wirklich schlüssige Erklärung, aber schon mehrere Lösungsvorschläge. Sie setzen einmal auf die Segnungen der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz, um Forschung zu beschleunigen. Außerdem schlagen sie vor, die Forschungsförderung besser zu machen, zum Beispiel unter Nutzung von experimentellen Ansätzen.

Die amerikanische Technologie- und Innovationsstiftung ITIF, ein Think Tank der Politikberatung, sieht in einem Blogbeitrag ebenfalls keinerlei Beschleunigung des technologischen Fortschritts. Der Artikel macht sich vielmehr ein wenig lustig über die überschwänglichen Prognosen der Vergangenheit zu Singularität und ähnlichem und stellt auch die angeblich beispiellos schnelle Marktdurchdringung moderner Technik mit Gegenbeispielen in Frage.

Tatsächlich hält sich ja in den Medien der Eindruck, dass immer schneller neue Produkte auf den Markt kommen.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich 2016 mit der These eine Verkürzung von Produktlebenszyklen beschäftigt und diese These als generelle Aussage eher in Zweifel gezogen.

Die Liste an Veröffentlichungen der letzten Wochen ließe sich übrigens fortsetzen. Der amerikanische Ökonom Tyler Cowen hat sich in einem Papier jüngst mit der Frage beschäftigt, ob sich der wissenschaftliche Fortschritt beschleunigt, und kommt tendenziell ebenfalls zu einem negativen Urteil. Zwei japanische Autoren kommen auf der Basis japanischer Daten zu dem Schluss, dass die Forschungsproduktivität in Japan und anderen OECD-Ländern zurückgeht und daher ein Aufwuchs an FuE-Ausgaben nicht unbedingt zu mehr Output führt.

Und was heißt das jetzt? Wie gesagt, die Ursachen werden in den skizzierten Beiträgen für meinen Geschmack viel zu wenig untersucht. Meist bleibt es bei eher allgemeinen, anekdotischen Aussagen à la komplexere Technik, grundsätzliche Probleme bereits gelöst etc. Hier würde ich mir überzeugendere Hypothesen wünschen.

Und die Konsequenzen sind auch etwas unterbelichtet. Immerhin stützt sich ein Gutteil der Argumentation für Produktivitätssteigerung darauf, Forschungsoutput zu erhöhen. Möglicherweise wird das so aber nichts. Möglicherweise wird auch die Erhöhung der deutschen FuE Quote auf 3,5% nur den Produktivitätsrückgang ausgleichen. Wenn überhaupt. Aber immerhin.

Was wir brauchen, ist aber eigentlich erst einmal eine Antwort auf die Frage, wie Wissenschaft und Forschung wieder produktiver werden können.

Sonntag, 15. September 2019

Rückblick auf die Jahrestagung 2019 der DeGEval

Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog des AK FTI der DeGEval

Vom 12. bis 13. September fand die diesjährige Jahrestagung der DegGEval in Bonn statt. Thema der Tagung war "Nachhaltigkeit und Evaluation". In Zeiten intensiver öffentlicher Diskussion um den Klimawandel sicher ein aktuell gut gewähltes Thema. Für die Evaluationscommunity jedoch durchaus eine Herausforderung. So schilderten es zumindest die Organisatoren der Tagung: die Zahl der Einreichungen für Vorträge war doch deutlich geringer als in den vergangenen Jahren. Dies gilt auch für das Themenfeld Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik. Auch hier gab es nicht gerade viele Beiträge auf der diesjährigen Tagung.

Durch die Tagung zog sich ein doppelter Definitionsversuch von Nachhaltigkeit. Zum einen wurde Nachhaltigkeit verstanden als Dauerhaftigkeit der Wirkungen von Interventionen. Zum anderen wurde Nachhaltigkeit systemisch gefasst, als Wirkung in mindestens drei Dimensionen, nämlich einer ökonomischen, einer ökologischen und einer sozialen Dimension.
Mit diesem Verständnis sollte man meinen, dass Nachhaltigkeit auch im Politikfeld FTI eine nicht unerhebliche Rolle spielt und im Beobachtungsfokus von Evaluationen liegen sollte. Gerade die Dauerhaftigkeit von Veränderungen, die durch Maßnahmen der Innovationspolitik induziert werden, liegt ja durchaus im Interesse der politisch Handelnden. Die Innovationsfähigkeit auch mittelfristig zu steigern, neue Technologien dauerhaft in Märkte einzuführen und damit ganze Branchen zu verändern, all dies sind sicherlich auch Intentionen der Innovationspolitik.

Und tatsächlich prüfen Evaluationen in unserem Politikfeld zumindest die Voraussetzungen einer Aufdauerstellung der erreichten Veränderungen. Das typische Dilemma unsere Evaluationen, ein sehr früher Zeitpunkt der Analyse, der eine echte Messung von Veränderungen eigentlich nicht zulässt, führt jedoch dazu, dass wir faktisch nur sehr wenig darüber wissen, wie dauerhaft die beobachteten oder prognostizierten Veränderungen wirklich sind. Es gibt interessante Evaluationsergebnisse aus Großbritannien, die zeigen, dass z.B. die Veränderung des Innovationsverhaltens von KMU, die Innovationsgutscheine in Anspruch nehmen, von sehr begrenzter Dauer sein kann und zum Teil innerhalb von wenigen Jahren nicht mehr messbar ist. Spannend wäre sicher eine Untersuchung, wie lange die Halbwertszeit der Wirkung von FTI-Maßnahmen in Deutschland ist.

Die zweite Definition von Nachhaltigkeit, also die Wirkung in mindestens drei Dimensionen, einer ökonomischen, einer ökologischen und einer sozialen, wird in Evaluationen unseres Politikfeldes in der Regel eher weniger adressiert. Mit der klassischen Argumentationslogik für Innovationspolitik, nämlich der Hoffnung, dass sie ein wesentlicher Treiber für Wachstum und Wohlstand ist, ist die Dimension der ökonomischen Wirkung sehr präsent in Evaluationen. Entsprechend werden Umsatzveränderungen, Neueinstellungen und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wo möglich immer gerne untersucht.

Zumindest für Technologiefelder, die explizit auch auf die Bereiche Energie und Mobilität zielen, sind ökologische Wirkungen ein weiter Zielbereich. Fördermaßnahmen der Elektromobilität, der erneuerbaren Energien oder der Materialeffizienz adressieren immer auch ökologische Wirkungen. Allerdings gilt auch hier, dass die Wirkungsvermutungen in der Regel durch Plausibilitätsannahmen ex-ante überprüft werden, das z.B. eine Wirkungsmodellierung Hinweise darauf gibt, ob entsprechende Wirkungen in der Zukunft wahrscheinlich sind. Echte Messungen der Wirkungen in dieser ökologischen Dimension finden in der Regel nicht statt. Es wird heute z. B.  nicht gemessen, ob die CO2-Belastung tatsächlich durch Förderung von Technologieentwicklung im Bereich der Elektromobilität zurückgegangen ist. auch das hat natürlich damit zu tun, dass die erwarteten Wirkungen zu einem deutlich späteren Zeitpunkt stattfinden und von vielen weiteren Faktoren beeinflusst werden, dass also der Zeitpunkt der Messung und die Kausalität kaum lösbare Probleme darstellen.

Die soziale Dimension schließlich ist deutlich unterbelichtet in unseren Evaluationen. Möglicherweise spielt noch eine Rolle, ob spätere Nutzer eines neuen Produktes oder einer neuen Dienstleistung auch entsprechende Komfort-Vorteile genießen, oder ob die regionalen wirtschaftlichen Auswirkungen der Intervention zu einer Steigerung von Wohlstand, Lebensqualität und Attraktivität der Regionen führen. Viele soziale Dimensionen sind aber weiterhin eher nicht im Fokus. Die Auswirkungen auf Genderaspekte werden in deutschen FTI-Evaluationen in der Regel nicht in den Blick genommen. Gleiches gilt für die Auswirkungen auf soziale Ungleichheit oder Partizipationsmöglichkeiten.
Mit der Veränderung der Innovationspolitik selbst könnte sich dies aber in naher Zukunft ändern. Mit der Missionsorientierung rücken  ganzheitliche Ansätze stärker in den Mittelpunkt der Innovationspolitik, partizipative Ansätze werden vermehrt realisiert. 

Missionsorientierung bedeutet auch, das komplexere Interventionen geplant werden, dass der Blick sich auf das Zusammenwirken unterschiedliche Maßnahmen richtet. In diesem Sinne könnte der systemische Gedanke des Nachhaltigkeitskonzepts auch stärker in der Konzeption von innovationspolitischen Maßnahmen ebenso wie in der Evaluation derselben seinen Niederschlag finden.
Innovationspolitik erhält durch diese Umorientierung einen stärker transformativen Charakter, und hier ist es kaum denkbar dass eine der drei Dimensionen Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft nicht berücksichtigt wird. Allerdings braucht es dann auch andere Evaluationsansätze: Querschnittliche Evaluationen, die sich auf viele unterschiedlichen Maßnahmen richten; Längsschnittanalysen, die deutlich längere Zeithorizonte umfassen. qualitative Tiefenuntersuchungen, die auch soziale Dimensionen stärker in den Blick nehmen.

Ich bin mit einem gehörigen Maß an Skepsis auf die diesjährige Tagung gefahren. Das Konzept der Nachhaltigkeit hatte in meiner bisherigen Evaluationspraxis keine Rolle gespielt. Ich bin durchaus angeregt aus Bonn zurückgekehrt. Ich glaube nicht, dass die Dimension der Nachhaltigkeit in naher Zukunft zu einer bestimmenden im Politikfeld FTI werden wird. Aber ich glaube doch, dass einige Anregungen nützlich und sinnvoll wären. Und ich glaube auch, dass sich das Politikfeld insgesamt verändern wird. Nicht nur im Hinblick auf Evaluationen.

Sonntag, 24. Februar 2019

Experimente in der Innovationspolitik

Diese Woche war ich auf der Herrenhausen-Konferenz "The New Role of the State for Diffusion and Emergence of Innovation", einer internationalen Konferenz vor allem von Innovationsökonomen, finanziert von der Volkswagen-Stiftung und organisiert durch die Universitäten Bremen, Jena und Twente. 

Ein Stichwort, dass sich durch viele Beiträge zog und immer wieder auch im Kern der Diskussion stand, war "Experimente". Der Staat solle in der Innovationspolitik stärker auf Experimente zurückgreifen. Doch die Diskussion machte auch deutlich: Jeder versteht etwas anderes unter Experimenten in diesem Kontext.

Das Spektrum reichte von sehr kontrollierten, fast laborhaft arrangierten Experimenten, deren Teilnehmer durch Zufallsprinzip ausgewählt und denen eine Kontrollgruppe zur Seite gestellt werden (randomisierte Kontrollgruppen-Versuche - RCTs), bis hin zu Pilotmaßnahmen der Innovationspolitik, die für eine begrenzte Zeit und in kleineren Umfang umgesetzt und durch eine begleitende Evaluierung ausgewertet werden.

Eigentlich sind es ja mehrere Dimensionen, die in Experimenten zusammen kommen (können). 
  • Experimentieren beschreibt ein Handeln von Versuch und Irrtum, bei dem der Ausgang offen ist. Ich probiere etwas neues aus, meist mehrere Male mit verändertem Vorgehen, bis ich das gewünschte Ergebnis erreiche. Das ganze ist immer wieder mit dem Risiko des Scheiterns verbunden, einer eher ungemütlichen Situationen für den Start. Der Staat scheitert nicht gerne, da dies bei Wahlen sanktioniert werden kann. Deswegen ist er eher konservativ und vertraut auf bewährtes. Die Diskussion auch bei der Konferenz warf dies dem Staat in gewisser Weise vor. Er müsse mutiger sein, neues ausprobieren und dabei das Scheitern in Kauf nehmen. 
  • Ein zweites Verständnis kommt aus der Welt der Wissenschaft, in der das Experiment ein sehr kontrolliertes Vorgehen meint. Die Rahmenbedingungen sind möglichst gut beschrieben in ihrem Einfluss auf das eigentliche Experiment, alles wird ganz genau untersucht, protokolliert und begleitet. Übertragen auf die Innovationspolitik meint dieses Verständnis, dass neue Maßnahmen immer auch durch Evaluationen begleitet sein müssen. Und zwar am besten durch den höchsten nur denkbaren Standard, z.B. in Form einer randomisierten Kontrollgruppenstudie. Das ist natürlich in den meisten innovationspolitischen Anwendungsfällen nur sehr schwer bis gar nicht umzusetzen. 
  • Das Laborhafte zeigt sich auch bei den beiden aktuell in BMBF und BMWi verfolgten Vorgehensweisen, dem regulative Reallabor und dem Experimentierraum, in dem heterogene Akteure in einem geschützten Interaktionsraum zusammenkommen und neue Formen der Zusammenarbeit erproben.

Ein Vortrag der Konferenz machte es sich ganz einfach und nutzte die internationale Vergleichsebene, um alle 6innovationspolitischen Maßnahmen als kleine Experimente zu fassen, von denen man lernen könne. Na ja .....

Unterm Strich finde ich tatsächlich den Gedanken spannend, dass der Staat neues ausprobiert und dabei auch mal mutig ist. Der Staat als innovativer Akteur und nicht allein Ermöglicher von Innovationen. Allerdings, das zeigen die leidvollen Erfahrungen der privaten Akteure, also der Unternehmen, lässt sich innovatives Handeln nicht so einfach verordnen und wird durch manche Organisationsstrukturen auch eher behindert. 

Entsprechend widmen sich auch unterschiedliche Vorschläge neuen Organisationsstrukturen, so z.b. dieses Arbeitspapier zur Einrichtung eines Government Innovation Lab oder dieser Überblicksartikel.

Warum nicht ein Innovationslabor Innovationspolitik schaffen?

Sonntag, 10. Februar 2019

Neue deutsche Industriepolitik - ein paar innovationspolitische Gedanken zur nationalen Industriestrategie

Am 5. Februar hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine Industriestrategie vorgestellt. Seitdem sind die Wogen hoch geschlagen, von Empörung bis Zustimmung war alles mit dabei. Aber was hat dieser Diskussionsbeitrag (und so verstehe ich das Altmaier-Papier erst einmal) eigentlich inovationspolitisch zu bedeuten?

Wettbewerb

Ein zentraler Punkt der Strategie berührt die Wettbewerbspolitik. Die bislang durch Bundeskartellamt und EU-Kommission gewährleistete Kontrolle soll an neuen Zieldimensionen ausgerichtet werden. Stärker als bisher soll der Weltmarkt als Massstab genommen werden, da brauche es deutlich größere Unternehmen, weil ja auch die internationalen Wettbewerber (aus China) groß seien. Das Argument ist vor allem vor dem Hintergrund des (gerade an der EU-Kommission gescheiterten) deutsch-französischen Fusionsversuchs im Bahnbereich zu sehen.

In einem offenen Brief kritisierten europäische Ökonomen, dass eine Fusion von Siemens und Alstrom den Wettbewerb zwischen diesen beiden Unternehmen beenden und damit zu wenige Innovationen führen würde und unterstützten die Entscheidung der Kommission. Diverse Ökonomen wiesen auf Twitter zudem darauf hin, dass die absolute Zahl der durch Brüssel untersagten Fusionen eher gering war.

Auch das DIW kritisierte in einer Stellungnahme zur Industriestrategie, dass nachlassender Wettbewerbsdruck Innovationen nicht befördere. Hinreichender Wettbewerb ist auch ein Subindikator im "Innovationsindikator Deutschland". Eine geänderte Fusionskontrolle und innovationspolitische Ziele stehen also in einem gewissen Spannungsfeld.

Picking Winners

In einem Beitrag der ZEIT werden weitere Ökonomen zitiert, die insbesondere die Unternehmensbeispiele des Bundeswirtschaftsministers für unglücklich halten, weil sie einzelne Unternehmen hervorheben, die vielleicht gerade nicht mit staatlichen Mitteln künstlich am Leben gehalten werden sollten, wenn sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Auf diese Herausforderung weißt übrigens auch das Papier des BMWi selbst hin.

Den Vorwurf, der Staat versuche durch eine Auswahl von Unternehmen, die gefördert oder begünstigt werden, zukünftigen Erfolg vorauszusehen und maße sich damit an, schlauer als der Markt zu sein ("Picking Winners"), wird auch für die Innovationsförderung im Rahmen von Fachprogrammen erhoben. Besser sei es, entweder nur geeignete Rahmenbedingungen zu setzen (z.B auch durch die Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung), oder zumindest technologieoffen zu fördern. Das sehen andere Experten durchaus anders. Der Staat habe erstens die Aufgabe, inhaltliche Schwerpunkte zu setzen und sei zweitens auch in der Lage, mit geeigneten Kriterien erfolgversprechende Ideen und Unternehmen für eine Förderung zu identifizieren. Natürlich kann auch der Staat irren, und dann hat er manchmal viel Geld in den Sand gesetzt. Darum verlässt er sich möglichst auf unabhängige Expertise, auch um politischer Einflussnahme vorzubeugen. Genau darum gibt es bei der Fusionskontrolle durch Bundeskartellamt und EU-Kommission ja auch. Für die Industriestrategie könnte das heißen: Regeln anpassen, aber bei der unabhängigen Anwendung durch neutrale Instanzen bleiben.

Das Neue Deutschland übrigens findet diese Haltung der oben zitierten Ökonomen naiv, der freie Markt regele mitnichten alles zum guten, Länder wie China nähmen massiv Einfluss, und - unausgesprochen - Deutschland müsse dies auch. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel unterstützt auch Sigmar Gabriel den Wirtschaftsminister indirekt.

Mittelstand und Großunternehmen

Erhebliche Kritik entzündete sich an der Auswahl der Unternehmensbeispiele im Altmaier-Papier. Hier seien nur große Unternehmen genannt worden, aber es sei doch gerade der innovative Mittelstand, der den Standort Deutschland sichere. Auf den innovativen deutschen Mittelstand verweist z.B. ein Artikel in der NZZ. Allerdings weisen andere Ökonomen wie Mark Schieritz in einem Tweet darauf hin, dass auch große Unternehmen innovativ sind. Tatsächlich stammt ein großteil der innovationsausgaben und auch der Patente in Deutschland von großen Unternehmen. mein Eindruck ist, in dieser Diskussion werden zwei Dimensionen miteinander vermengt. Einerseits die Erkenntnis, die schon bei Schumpeter zu lesen ist, dass Konkurrenz das Geschäft belebt und das junge, neue Unternehmen den Großkonzernen Beine machen (müssen). Und dann die Annahme, dass große, behellige Institutionen gar nicht mehr zu agilem, innovativem Handeln in der Lage sind. Das kann so sein, ist aber doch auch sehr abhängig von der internen Organisation der jeweiligen Institution. Und natürlich haben große Unternehmen auch einen erheblichen Vorteil. Sie haben erhebliche Ressourcen, Zugang zu Know-how und Fachkräften, sie können auch in der Forschung Skaleneffekte nutzen und so weiter und so fort. Klein heißt also nicht immer automatisch auch innovativer.

Es verwundert nicht, dass der Ansatz von Altmaier Großunternehmen zu gefallen scheint, wie die erste Reaktion aus der Konzernspitze der Telekom zeigt.

Erhöhung des Industrieanteils auf 25%

Peter Altmaier möchte den Anteil der Industrie in Deutschland von 23 auf 25% anheben und auch europaweit auf mindestens 20% Industrieanteil kommen. Das ist ein etwas gewagter Vorschlag. Schließlich hängt dieses Jahr davon ab, wie viel Arbeitsplätze tatsächlich in einer automatisierten Fertigung noch gebraucht werden, wie sich Dienstleistungsbranchen entwickeln und überhaupt, welcher Branchenmix in unterschiedlichen Ländern sinnvoll und machbar ist. Diese Idee sehen erste Kommentatoren daher als potenziell dirigistisch und eher naiv an.

Hinter dem Argument des Bundeswirtschaftsminister steckt natürlich die Hoffnung, dass durch Innovationen auch industrielle Fertigung in Europa wieder wettbewerbsfähig wird. tatsächlich scheint das offshoring von fertigungskapazitäten seinen höhepunkt überschritten zu haben. Die Nähe zu Kundenmärkten scheint mittlerweile wichtiger zu sein, als preiswert fertigen zu können. Hier hat die neue Welle der Automatisierung, Industrie 4.0 und so weiter, durchaus seinen Anteil. Andererseits, auch andere Weltregionen können diese Früchte der Innovationen für ihren Standort pflücken.

Standortpolitik

Eher indirekt berührt die neue Industriestrategie die aktuelle Diskussion um Standorte. Mit dem Kohleausstieg ist diese Standortfrage wieder ziemlich in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gerückt. Eine neue Industriepolitik bietet sich daher auch als Hoffnung für Regionen an, die durch den Ausstieg aus der Kohle Strukturwandel zu bewältigen haben. Es häufen sich die Stellungnahmen, die durch die Ansiedlung von Forschungsinstituten und neuen Technologien hoffen, den Strukturwandel sanft bewältigen zu können. Letztlich ist dies aber auch kein besonders neuer Plan. Schon die Versuche, die Solarindustrie in Ostdeutschland mit Förderung zu stärken, war auch dadurch motiviert, die zuvor verzeichneten Verluste an industrieller Kapazität zu kompensieren. Der Erfolg war eher mäßig.

Schutz vor Direktinvestitionen

Ein zentraler Punkt des Papiers ist der Vorschlag, den Ausverkauf zentraler Unternehmen an ausländische Konkurrenz insbesondere aus China verhindern zu können, notfalls auch durch ein Investment des Staates. Dahinter steht die Angst, dass Know-how und Patente abfließen könnten und internationale Wettbewerber stärken. Die Investitionen des deutschen Staates in die heimischen Technologieführer wäre damit verloren. Auch hier weisen einige Kritiker in den letzten Tagen darauf hin, dass viele große deutsche Unternehmen Kapital aus sehr unterschiedlicher internationaler Quelle genutzt haben. Auch Daimler ist, bezogen auf seine Anteilseigner, kein besonders deutscher Konzern.

Auf der anderen Seite nutzen auch deutsche Konzerne die Chance, sich bei interessanten jungen Unternehmen in anderen Ländern einzukaufen. Die Deutschen Autokonzerne z.B. gehen gerne auf Einkaufstour in Israel. Das liegt auch daran, weil die hiesige Startup-Landschaft vielleicht nicht hinreichend interessante Kaufobjekte  bietet. Sollten alle Länder suchen restriktiv sein, wie ist der deutsche wirtschaftsminister im Moment für sein Land vorschlägt, könnten also auch deutsche Unternehmen ein Problem bekommen.

Aus innovationsökonomischer Sicht ist stattdessen eine möglichst große Offenheit ein Faktor, der den Fluss von Know-how begünstigt und damit Innovationsprozesse befördert. Der Innovationsindikator hat in seiner aktuellen Ausgabe auch einen Schwerpunkt auf das Thema Offenheit gelegt und dazu verschiedene Subindikatoren zusammenfasst. Zu ihnen gehören auch ausländische Direktinvestitionen.

Nationale Wertschöpfungsketten

Mit dem Vorschlag des Altmaier-Papiers, Wertschöpfungsketten möglichst national/europäisch zu halten, setzt sich der Ökonom Jeromin Zettelmeyer, bis vor kurzem selbst im BMWi, auf Twitter auseinander. er findet diese Idee weniger überzeugend, da Innovationsprozesse heute international in entsprechenden Wertschöpfungsketten organisiert sind und dies auch große Wettbewerbsvorteile für die entsprechenden Player bedeutet

Innovationspolitik statt Industriepolitik

Ein letzter Kritikpunkt ist grundsätzlicher Natur: Innovationspolitik statt die Schonung der old economy forder Florian Nöll, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher  Start-ups, der in den genannten Unternehmen des Altmaier-Papiers eher Digitalisierungs-Verlierer sieht.
In dieselbe Richtung geht auch der Kommentar der drei oben genannten Ökonomen, die für eine Fortführung (und Intensivierung, z.B. durch die Einführung einer steuerlichen FuE Förderung) plädieren.

Fazit

Das Papier zu einer neuen Industriestrategie für Deutschland hat eine erhebliche Debatte ausgelöst. Aus innovationspolitischer Sicht sind eine Reihe größerer Spannungsfelder zu identifizieren. Letztlich lässt sich auch fragen, inwieweit die Strategie implizit durch eine sehr spezifische Wahrnehmung der Wettbewerber beeinflusst wurde. China ist klar der große Konkurrent; die chinesische Strategie 2025 ist die Blaupause, an der sich auch das deutsche Papier ab arbeitet. Ob diese chinesische Strategie aber wirklich erfolgreich war oder sein wird, ist durchaus umstritten. Ob ein mächtiger, top-down durchregieren der Staat eine bessere Industrie- und Innovationspolitik Macht als ein Staat, der die richtigen Rahmenbedingungen setzt, ist noch nicht entschieden.

Samstag, 2. Februar 2019

Innovation Winter

Der Winter ist gekommen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, die in den letzten Tagen von arktischer Kälte geplagt waren. Passend zur Jahreszeit und auch zur Trend-Vorausschau-Sai dieses Jahresanfangs macht im Moment allerdings auch ein anderer Winter von sich reden. Der Winter der Innovationen. Ich bin vor ein paar Tagen zufällig über dieses Konzept gestolpert, ein Kollege hatte einen Trendbericht der Asian Productivity Organization weitergeleitet (Danke, Ernst!). Darin wird das Konzept des Global Innovation Winter vorgestellt, einem globalen Trend zurückgehender Innovationen, die insbesondere durch protektionistische Tendenzen, Sicherheitsbedenken, den technologieorientierten Handelskrieg zwischen den USA und China sowie durch stärkere Regulierungen und Datenschutz ausgelöst werde und globalen Austausch und gemeinsame Innovationsprozesse behindere. Da Innovationen wichtig für Produktivitätswachstum und Wohlstand seien, gebe dieser Trend Anlass zu ernster Besorgnis.

Das Konzept des Winters der Innovationen stammt von Ian Bremmer, einem amerikanischen Politikwissenschaftler und Berater für Risikoanalysen. Er beschrieb den Globalen Winter der Innovationen in seiner Risikovorausschau für 2019. Bremmer hat ein gutes Händchen für einen sexy Begriff bewiesen. Winter der Innovationen, da muss man gleich an "Winter is coming" aus Game of Thrones denken. Dramatische Szenen, das Ende der Welt ist nahe.

Aber ob verstärkte Datenschutzregeln und mehr Sensibilität für Sicherheitsfragen tatsächlich innovationsbremsen oder vielleicht doch eher Innovationstreiber sind, da habe ich eine andere Meinung als Bremmer. Es gibt z.B. durchaus relevante Stimmen, die die europäische Datenschutzgrundverordnung eher als Vorteil für Innovationen sehen. Auch der aktuelle Konflikt zwischen den USA und China um technologische Vorherrschaft in wichtigen Anwendungsfeldern kann als Intensivierung eines Wettbewerbs gesehen werden, der die Akteure hier zu mehr Innovationen antreibt. Zumindest ist er eher Ausdruck einer wachsenden Innovationsstärke Chinas, der die USA nun mit handelspolitischen Mitteln beikommen möchte.

Recht hat Bremmer natürlich mit der grundsätzlichen Annahme, dass Offenheit, Kooperation und Austausch über nationale Grenzen hinweg Innovationen begünstigen. Nicht umsonst hat der im Dezember erschienene Innovationsindikator von ZEW und Fraunhofer ISI dieses Jahr einen eigenen Schwerpunkt auf die Offenheit von innovationssystemen gelegt. schaut man sich diesen Indikator an, so willigt Deutschland erstens nur im Mittelfeld und hat zweitens auch noch im Vergleich zu 2007 an Offenheit eingebüßt, dies gilt auch für andere wichtige Länder wie die USA oder China. Allerdings zählen die Autoren des Innovationsindikators eine ganze Reihe von aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung auf, die tendenziell eher zu einer weiteren Öffnung des Wissenschafts- und innovationssystems beitragen.

Auf europäischer Ebene könnte der brexit zu einer Verminderung der Offenheit führen, schließlich ist Großbritannien einer der wichtigsten Akteure der europäischen Forschung im Rahmen von Horizon 2020. die Zusammenarbeit mit britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird durch den Brexit auf jeden Fall nicht einfacher. Deutsche Forschungspolitikern sind hier hinreichend besorgt.

Der Global Risk Report des World Economic Forum 2019 übrigens sieht auch durchaus Trends für eine Schließung, z.B. in Hinblick auf ausländische Direktinvestitionen. Hier schlagen technologische und strategische Rivalitäten insbesondere zwischen China und den westlichen Industriestaaten voll durch. Einen globalen Winter der Innovationen kennt der Risikobericht allerdings nicht.

Der größere Kontext dieser Diskussion ist sicher auch das, was der Economist diese Woche mit Slowbalisation umschrieb: Eine deutliche Abschwächung der Globalisierung.

Bleibt zu hoffen, das auf den Winter wieder ein neuer Frühling folgt; meteorologisch und innovationspolitisch.




Samstag, 19. Januar 2019

Chinesische Reallabore und deutsche Experimentierräume

Chinas wachsende Rolle in allen möglichen Politikfeldern macht das Land zu einem fabelhaften Themen-Joker, der fast immer gezogen werden kann. So auch beim Thema Reallabore, dass in Deutschland zunehmend Fahrt aufnimmt.

Hierzu bin ich vor ein paar Tagen über eine Veröffentlichungen der deutsch-chinesischen Plattform Innovation gestolpert. Diese Plattform wurde vor einigen Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingerichtet, um den deutsch-chinesischen Austausch zum Thema innovationen zu stärken und für die deutsche Seite einen breiteren Einblick in die Entwicklungsprozesse des chinesischen Innovationssystems zu ermöglichen.

Die Plattform veröffentlicht in sogenannten Policy Briefs Artikel über das chinesische innovationssystem und seine Relevanz für Deutschland. Prof. Markus Taube schreibt in der letzten Ausgabe über experimentelle Freiräume in neuen Technologiefeldern, die der chinesische Staat den Unternehmen immer wieder einräumt, um ihnen eine schnellere Entwicklung als der internationalen Konkurrenz zu ermöglichen. Das ganze funktioniert nach Ansicht von Prof. Taube nur deshalb, weil es einen breiten Grundkonsens der Machtelite in Politik und Wirtschaft gibt, der den temporären Kontrollverlust absichert.

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist ein wichtiges Charakteristikum dieses Systems auch, dass die Freiräume nicht gleichermaßen und rechtlich abgesichert allen Akteuren gewährt werden, sondern durch einen jederzeit widerrufbaren Willkürakt des Staates entstehen. Sie unterstreichen die absolute Macht der kommunistischen Parteiherrschaft. Manchmal wird einfach gezielt nicht reguliert, manchmal werden Gesetzesverletzungen stillschweigend toleriert und nachträglich legitimiert. Taube nennt das eine erfolgreiche Guerilla-Strategie des chinesischen Staates.

Solcherlei temporäre, quasi rechtsfreie Räume sind in den westlichen Demokratien unvorstellbar. Hier werden vergleichbare Freiräume nur in sehr eng definierten und streng kontrollieren Rahmen gewährt, z.B. als sogenannte "regulative sandboxes", sozusagen Spielplätze für neue Technologien, zum Thema Fintech in Großbritannien. Hier wurden Startups Möglichkeiten gegeben, über bestehende Regulierungen hinaus neue Dienstleistungen zu entwickeln, allerdings immer sehr eng begleitet von einem Vertreter einer Aufsichtsbehörde, und immer mit dem Ziel, in absehbarer Zeit wieder regelkonform zu arbeiten. Auch Österreich wagt sich 2019 an regulative Sandboxes für FinTechs.

Die deutsche Bundesregierung sucht noch den richtigen Weg für Reallabor und Experimentierräume. Im Moment lässt das Bundeswirtschaftsministerium einen Leitfaden erarbeiten, wie solche Reallabore in Zukunft schneller eingerichtet werden könnten. Ein gerade erschienener Artikel des BMWi skizziert den aktuellen Stand: das BMWi hat eine interministerielle Abeitsgruppe initiiert, um die Strategien der verschiedenen Ministerien zusammenzuführen, geplant ist auch ein Netzwerk zum Thema sowie Wettbewerbe, um zukünftige Reallabore zu unterstützen. Das Ministerium verweist aber auch mit Nachdruck darauf, dass es nicht darum gehen kann, Rechtsschutz abzubauen oder Unsicherheit zu vergrößern. Gerade das kontrollierte Vorgehen, z.B. durch zeitlich begrenzte Öffnungsklauseln, ermögliche es, Veränderungsbedarf auf Regulierungsebene für Innovationen zu testen, ohne dafür z.B. die Sicherheit der Bevölkerung zu gefährden.

Die Strategien Chinas und der westlichen Industriestaaten unterscheiden sich hier also fundamental. Manchmal allerdings liebäugelt doch der ein oder andere Politiker damit, mal nicht alles so streng zu sehen und zugunsten von Digitalisierung und Innovation über einige aus seiner Sicht nebensächliche Regelungen hinwegzugehen. Mehr Shenzhen kann man auch so interpretieren.

Ob allerdings die Vorgaben zu Energieeffizienz die Einrichtung von Co-working spaces verhindern, wie dort angeführt, scheint mir eher eine gewagte These. Digital first, Bedenken second, das kann man auch als naive Vereinfachung der wichtigen Rolle von Regulierung verstehen.

Sonntag, 13. Januar 2019

Mondsüchtig: China 2025

Vor 50 Jahren, am 20 Juli 1969, gelang den Amerikanern die erste bemannte Mondlandung. Der deutsch-französische Sender Arte hat aus diesem Anlass am 6. Januar den "Winter of Moon" ausgerufen und zeigt bis zum 20. Januar viele Filme und Dokumentationen. Noch etwas früher schaffte es China, einen Paukenschlag im Mondland Jahr zu setzen und eine Sonde auf der Rückseite des Mondes zu landen, die mittlerweile auch Videos zur Erde funkt. Die Kommentatoren waren sich international einig, dass dies eine technische Leistung besonderer Art darstellt. Zwar sind in den letzten 50 Jahren schon so einige Landefähre auf dem Mond aufgesetzt, und gerade in diesem Jahr versuchen verschiedene Länder, das Jubiläumsjahr für eigene erste Berührungen mit dem Mond zu nutzen, so z.b. Israel und Indien. Die Rückseite stellt aber doch einige technische Herausforderung dar, die nur mit einem sehr zielstrebigen Vorgehen zu meistern waren.

Trotzdem, die internationale Aufmerksamkeit war schon ungewöhnlich. dies liegt auch daran, dass China im Moment sehr argwöhnisch betrachtet wird, vor allem im Hinblick auf seine technologischen Ambitionen. Gerade die Diskussionen um Huawei zeigten, dass chinesische Technologiekonzern mittlerweile als Bedrohung wahrgenommen werden. Manche Autoren fragten sich in diesem Zusammenhang, ob eine autoritäre, top down organisierte Entscheidungsfindung manchmal nicht vielleicht schneller und effektiver sei als das europäische Modell komplexer Aushandlungsprozesse. Letztlich ist das aber ein autoritär verklärtes Weltbild. Und sehr zweifelhaft, ob das auch in der chinesischen Wirklichkeit funktioniert.

Der Economist nahm die chinesische Mondlandung zum Anlass, in einem breiten Artikel den Aufstieg Chinas als wissenschaftsmarkt zu beschreiben: "Red moon rising. Will China dominate science?" Ein wesentlicher Tenor des Artikels war, dass die Chinesen zwar Stück für Stück weltklasse werden, in manchen Feldern sogar ihre Disziplinen dominieren, aber echte wissenschaftliche Durchbrüche und Anerkennungen z.b. in Form eines Nobelpreises bislang nur selten aus China kamen.

Im Editorial der gleichen Ausgabe des Economist wiederum wird an die größere Frage gestellt, ob eine Einparteiendiktatur auf Dauer genug Freiräume für kreative, unabhängig und querdenkende Wissenschaftler setzen kann, und vor allem, ob diese Wissenschaftler nicht der Keim von Protest und Widerstand gegen die Diktatur sein könnten. Auch der Guardian fragt sich, ob ein autoritärer Staat genug freiräume für kreative innovationsprozesse lassen kann. Die Autoren ziehen eine Parallele zu den aktuellen Handelsgesprächen zwischen China und den USA, in denen China im Moment wieder auf die USA zugeht. Nach Ansicht der Kommentatoren auch deshalb, weil die wirtschaftliche Situation in China nicht so blendend und China auf den Westen angewiesen sei.

Andere Autoren verweisen darauf, dass auch in der Raumfahrt das chinesische, staatszentrierte Modell an Grenzen kommen könnte. Auch wenn die NASA im Moment nicht durch spektakuläre Erfolge glänzt, so zeige die private Raumfahrt in den USA die Vitalität und Kreativität des pluralistischen Staatsmodells.

Im Dezember 2018 gab es dann erste Meldungen, dass China seine Technologiestrategie China 2025 überarbeite und ausländischen Firmen einen besseren Zugang einräume. Der Schritt sei einerseits durch die negativen ausländischen Reaktionen, aber auch durch innerchinesische Kritik an der Strategie ausgelöst. Mancher Autor glaubt sogar, dass die Strategie China 2025 überhaupt nicht vernünftig funktioniert hat.

Beim Mond hat es allerdings ganz gut geklappt. Da sage ich Mal, lieber Westen: I see the bad moon rising!