Donnerstag, 27. Oktober 2016

Gescheiterte Innovationen

Letzte Woche war ich auf der Jahrestagung des Programms ZIM des Bundeswirtschaftsministeriums, des großen Mittelstands-Innovationsförderprogramms. Die Keynote hielt Professor Reinhold Bauer, seines Zeichens Technikhistoriker. Thema war wenn innovationen scheitern. Professor Bauer illustrierte in einem launigen Vortrag, wie gute Ideen aufgrund widriger Rahmenbedingungen oder eines schlechten Timings dann doch kein Markterfolg werden, oder wie Ideen an Nutzern und Nutzen vorbei entwickelt werden. Seine zentrale Motivation für diesen Vortrag war, am Beispiel der gescheiterten innovationen zu zeigen, dass auch erfolgreiche Innovationen nur aus ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext heraus zu verstehen sind. Sie sind nicht perse Objektiv gut, sondern eben zum richtigen Zeitpunkt mit Glück und Verstand zu erfolgreichen Innovationen geworden. Diese These vertritt Professor Bauer übrigens nicht nur Zeit vielen Jahren in Büchern, Aufsätzen oder Vorträgen. Sie sind auch in diversen Artikel und Interviews nachzulesen, zum Beispiel hier in der Süddeutschen oder hier auf brand eins.

Kurz zuvor hatte ich eine zweiteiligen Blogbeitrag (hier und hier) zum Thema technischer Rückschritt gelesen, der ganz gut zu diesem Beitrag passt. Es ging darum, dass Innovationen nicht immer nur einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten, dass sie nicht immer wohltuend und Segen bringend sind, sondern z.B. auch zu Pfadabhängigkeiten führen können. Beispiele sind Druckerpatronen zu überhöhten Preisen, Geräte, die sich nicht reparieren lassen, rebound-Effekte und so weiter und so fort.

Mir war gerade der zweite Beitrag ein bisschen zu Technik-pessimistisch. Klar, nicht alles was neu ist, ist immer auch sinnvoll. Und natürlich handeln Firmen zweckrational und nutzen mögliche Abhängigkeiten der Kunden zu ihrem eigenen Vorteil aus. Ob sie nun neue Technologie dafür nutzen oder andere Mechanismen, ist letztendlich egal. Aber zusammen mit dem erstgenannten Vortrag wird für mich dann doch ein rundes Bilder raus. Innovationen sind weder dann immer gut und richtig, wenn sie sich am Markt durchgesetzt haben. Noch sind in einem konkreten historischen Moment und  an einem Ort gescheiterte Innovationen per se untauglich.

Ist halt irgendwie doch alles relativ ...

Dienstag, 18. Oktober 2016

Vom Ende der Arbeit? Elektromobilität

Am Beispiel der Mobilität kann man schön sehen, wie regulative politische Instrumente zum Treiber innovativer Prozesse werden können. Am Anfang stand das politische Ziel, die Belastung von Mensch, Umwelt und Klima durch die Abgase klassischer Verbrennungsmotoren deutlich zu reduzieren. Insbesondere in den USA waren einige Bundesstaaten Vorreiter dabei, durch äußerst strenge Vorgaben zu Abgasemissionen die Automobilindustrie unter Druck zu setzen. Die Idee dahinter war, die Automobilindustrie zur Entwicklung neuer Motorkonzepte zu zwingen, die weniger Abgase verursachen. Bei einem namhaften deutschen Unternehmen hat dies leider innovative Energie in ganz ungeahnter Richtung freigesetzt. Besagter Konzern muss jetzt mit den Folgen dieser Richtungsentscheidung umgehen.

Gleichzeitig wird der Konzern von den Folgen technologischer Entwicklungen in mindestens zwei Dimensionen überholt, oder zumindest befürchtet dies der Betriebsrat, der diesen Konzernen eine ziemlich starke Rolle hat. Zum einen könnte ein heute erst am Horizont abziehbarer, durchschlagender Erfolg der Elektromobilität dazu führen, dass klassische Verbrennungsmotoren kaum noch gebaut werden. Die Produktion von Elektromotoren hingegen braucht deutlich weniger Arbeitskräfte. Wie schafft man es aber, trotzdem Arbeit am Standort Deutschland zu sichern? Möglicherweise durch den Aufbau einer Batterieproduktion? Das wäre ein Novum in Deutschland, andere Autokonzerne sprechen sich bislang dezidiert dagegen aus.

Aber ganz abgesehen von diesem Schwenk hin zur Elektromobilität wird die Produktion in Zeiten von Industrie 4.0 voraussichtlich weniger menschliche Arbeit in Anspruch nehmen als bislang. Auch dies beschäftigt den oben genannten Betriebsrat und soll Teil des Zukunftspaktes mit der Geschäftsführung werden. Weiterbildungsmaßnahmen und um Qualifizierungen sollen dazu beitragen, dass auch der Teil der Belegschaft, der durch die weitere Automatisierung nicht mehr gebraucht wird, an anderen Prozessen umgesetzt wird.

Die ARD hat übrigens in der nächsten Woche einen Themenschwerpunkt zur Zukunft der Arbeit in Zeiten von Industrie 4.0. Viele Sendungen im Fernsehen und im Radio sind zu erwarten, ich habe mir schon einmal die Hintergrundreportage angeschaut, aber in der Langversion, wie sie vor einiger Zeit auf Arte lief. Eine gute Zusammenfassung der aktuellen Situation mit, wie ich finde, schön illustrierten Beispielen.

Samstag, 15. Oktober 2016

Was bedeuten die Wirtschaftsnobelpreise für die Innovationspolitik,

Im Herbst ist Nobelpreis-Zeit. Jedes Jahr aufs Neue kürt die Schwedische Akademie der Wissenschaften die Nobelpreisträger, und da Alfred Nobel für die Wirtschaftswissenschaften einen solchen Preis nicht vorgesehen hatte, heilt die schwedische Reichsbank dieses bedauerliche Versehen durch einen eigenen Preis, den Alfred Nobel Gedächtnispreis, landläufig als Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften bezeichnet.

Ob diese Preisstiftung nun ein fieses, neoliberales Komplott gegen die Sozialdemokratie war, wie dieser Artikel behauptet, oder nicht, kann ich nicht einschätzen. Ich merke nur jedes Mal aufs Neue, dass ich ein einfacher Feld-Wald-Wiesen-Politologe bin und von den ausgezeichneten Wissenschaftlern in der Regel noch nie gehört habe. Und ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass in der Regel Arbeiten ausgezeichnet werden, die schon 20 Jahre zurückliegen, damit da Preiskomitee sicher sein kann, nicht aufs falsche Pferd zu setzen.

Dabei lohnt sich auch aus Innovationspolitischer Sicht ein Blick auf die Thesen der jeweiligen Preisträger. Zum Beispiel habe ich zufällig gerade ein Buch des Nobelpreisträgers von 2012, Alvin E. Roth, gelesen, der sich mit Marktdesign beschäftigt. Gott sei Dank war es ein populärwissenschaftliches Buch, also auch für Politologen verständlich. Das Buch hat in der Tat, wie auch diese Rezension meint, einige Längen, trotzdem fand ich es erhellend. Zum Beispiel hat es mir noch einmal deutlich gemacht, wie stark die meisten Internet-Geschäftsmodelle, vor allem natürlich die digitale Marktplätze, auf neues Marktdesign setzen. Ein echtes Déjà Vue beschlich mich bei der Schilderung der Vergabe von Schulplätzen in den USA. Gleichen die beschriebenen Marktversagen nicht der Situation in Berlin, wo Kinder schon vor der Geburt für Kita und Schule angemeldet sein müssen, und dennoch ein chaotischer und ungeregelter Prozess dazu führt, dass bis zur letzten Minute keiner weiss, wer welchen Platz bekommt. Hier hätte ein wenig Politikberatung durch Herrn Roth gutgetan ..

Auch der Jahrgang 2016 ist nicht uninteressant. Dieser Beitrag von SWR2 versucht, die Kernthemen der aktuellen Nobelpreisträger zu erklären. Dabei scheinen die Steckenpferde der beiden frisch gekürte Nobelpreisträger durchaus Relevanz für das Innovationsgeschichte zu haben. Zum Beispiel, was die Beziehungen zwischen Gründern und Investoren angeht. So zumindest fasst der Blog von Gründerszene die Äußerungen von Oliver Hart zusammen. Wer in welcher Situation wie viele Anteile bekommt, scheint ein entscheidender Faktor zu sein. Und die Botschaft scheint laut des zitierten Artikel zu lauten: seid nicht zu gierig.

Ein anderer Beitrag verweist auf den Erklärungsgehalt der aktuellen Nobelpreisträger und ihre Theorien für eine sehr beschränkte Risiko- und Innovationsorientiertung in größeren Unternehmen, die ebenfalls auf ein Principal-Agent-Dilemma zurückgeht.

Über den letztjährigen Preisträger Angus Deaton hatte ich auch noch nicht gebloggt, aber schon zu einem seiner Themen, den randomised controlled trials. Hier noch ein Link auf ein neues Papier von ihm zu eben diesen randomised controlled trials.

Und nun eine letzte Bitte an die schwedische Reichsbank. Bitte akzeptiert nur Preisträger, die ihre Theorien auch im allgemein verständlichen Büchern vorab publiziert haben. Den Politologen zuliebe.

Samstag, 8. Oktober 2016

Matrix und Cyborgs

Wer einmal einen Fiebertraum hatte, weiß, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Traum manchmal schwer fällt. Im normalen Wachzustand sollte dies dann aber doch klar und eindeutig sein, außer ... Außer die Illusion ist so perfekt, dass man darauf reinfallen muss. Das ist der Kern der Simulations-Hypothese, die seit geraumer Zeit insbesondere in den USA ihr Unwesen treibt. Gerade erst habe ich wieder einen Artikel gelesen, der behauptet, zwei Multimilliardäre aus dem Silicon Valley würden jetzt Wissenschaftler bezahl, die Simulation-Hypothese zu beweisen. Zitiert wird dabei ein Artikel im New Yorker. Es ist nur ein sehr kleiner Abschnitt in einem sehr langen Text:

Many people in Silicon Valley have become obsessed with the simulation hypothesis, the argument that what we experience as reality is in fact fabricated in a computer; two tech billionaires have gone so far as to secretly engage scientists to work on breaking us out of the simulation.

Ich hielt die ganze Diskussion bis vor kurzem für einen ziemlich spinnerte Idee einzelner Verrückter. Dann habe ich nachgegoogelt und gemerkt, dass dies eine seit langem mit überraschender Ernsthaftigkeit geführte Debatte ist (was natürlich weiterhin nicht in Frage stellt, daß es eine ziemlich spinnerte Idee ist). Hier ist eine Website, die alle möglichen Quellen und Artikel zum Thema zusammengestellt hatten.

Ich habe mich dann als nächstes gefragt, was eigentlich gerade heute zum aufpoppen solche Fantasien geführt hat. Natürlich ist es möglich, dass der absurde Wahlkampf um das Präsidentenamt in den USA die Amerikaner zu der Einsicht gebracht hat, dass dies nicht die Wirklichkeit sein kann. Na ja, wirklich plausibel ist das natürlich nicht.

Vielleicht sind es ja auch die ersten Erfahrungen in der Virtual Reality, die mit den neuen 3D Brillen von Google, Samsung und Oculus Rift möglich sind. Ich habe zwar nur mit der Billigvariante von Google herumexperimentiert, fand aber die Erfahrungen wirklich beeindruckend. Eine Achterbahnfahrt mit Google Cardboard, da bin ich ganz froh, dass das nur eine Simulation ist und ich die Brille wieder absetzen kann. Man kann aber auch in andere Menschen schlüpfen und spannende Erfahrungen machen,
zum Beispiel die Welt aus der Perspektive eines Autisten erfahren.

Vielleicht sind die Vertreter der Simulationshypothese aber auch nur, nun ja, ein wenig verrückt? In der klinischen Psychologie wird ja der krankhafte Realitätsverlust als Psychose bezeichnet. Andererseits ist die philosophische Auseinandersetzung mit der Realität sowohl in Europa wie auch im fernen Osten seit der Antike verbreitet. In China zum Beispiel gibt es hier für die Metapher des Schmetterlingstraums, über den ein chinesischer Philosoph im dritten Jahrhundert vor Christus berichtet. Er träumt, er sei ein Schmetterling, erwacht daraus und ist wieder er selbst. Oder ist er nur der Schmetterling, der davon träumt ein Mensch zu sein?

Das Zweifeln an der Wirklichkeit der Realitätswahrnehmung hat also eine lange Tradition und kann nicht gleich als Spinnerei abgetan werden. Und auch der Auftrag an die Wissenschaftler reiht sich ein in eine solche Tradition. Was hier die Suche nach den Schöpfern der Matrix ist, war in der christlichen Tradition die Frage nach dem Gottesbeweis, die manchmal ganz logisch-mathematisch gelöst wurde.

Die Frage nach Wirklichkeit oder Simulation durchzieht die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Wenn Maschinen intelligent werden, kann ich dann mit ihnen einen Dialog führen wie mit einem normalen Menschen? Entscheidet meine Illusion über die Menschennatur meines Gegenüber, ob dieser Gegenüber intelligent ist? Ist das nicht der tiefere Sinn des Turing-Tests?

Vielleicht ist aber die eigentliche Simulation diejenige, die wir in unserer Fantasie vornehmen oder in Filmen und Büchern Wirklichkeit werden lassen. Und diese Fantasien nehmen wir dann auch mit in die Wirklichkeit, sie sind unsere 3D Brillen, die dem Blick auf die reale Welt um schreiben.

Wie Science Fiction -Fantasien instrumentalisiert werden, um neue Wirklichkeiten zu schaffen, lässt sich meiner Meinung nach ganz schön am Beispiel des Cybathlon zeigen, der gerade in Zürich stattgefunden hat. Es ist eine Art Leistungsschau der Prothetik, die als Wettkampf, als Challenge inszeniert wurde und mit den Begriffen des Cyborg spielt. Dabei sind die Aufgaben, die hier in Wettkämpfen zu meisten sind, sehr nah an den Alltagsherausforderungen von Menschen mit Einschränkungen. Es sind keine europäischen Paralympics, sondern ein publikumswirksame Testlauf alltagstauglicher Assistenzsysteme. Aber die Inszenierung hat funktioniert, die Medienresonanz war ziemlich groß. Und wenn Prothetik hip Stadt tabuisiert wird, ist das ein schöner Erfolg. Die schönsten Beiträge zum Cybathlon finden sich hier, hier, hier, hier und hier.