Sonntag, 30. April 2017

Demokratie und Wissenschaft

Im Moment beschäftigt ja der Populismus im Allgemeinen und der Konflikt zwischen Populismus und Wissenschaft im Besonderen die digitalen Medien. Gefährden populistische Parteien die Demokratie? Wird insbesondere die Forderung der Populisten nach mehr Volksabstimmungen zu einem Probleme für die repräsentative Demokratie? Kapern die Populisten die Demokratie? Wird die rational begründete Entscheidung, am besten auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, durch Bauchgefühl, durch Emotionen an den Rand gedrängt?

Man kann das auch anders sehen. Es gibt in jüngster Zeit einige Artikel, die vermuten das Problem genau dort, wo andere die Lösung sehen. Nämlich in der repräsentativen Demokratie, die nicht mehr so funktioniere, wie ursprünglich gedacht, oder die sogar nie die beste aller Lösungen gewesen sei. Bereits im Februar diesen Jahres hat die Zeit ein langes Dossier veröffentlicht, indem sie Autoren zu Wort kommen lässt, die sich gegen die klassische repräsentative Demokratie wenden und dafür plädieren, zurück zum Original der Antike, zur Athener Demokratie zu kommen, wo Repräsentanten nicht gewählt, sondern gelost wurden.

Es gebe auch aktuell ein Beispiel dafür, wie so etwas funktionieren solle, nämlich die Bürgerversammlungen in Irland, wo tatsächlich durchs Los bestimmte Bürger entscheiden. Sie werden beraten und informiert von Experten, ähnlich wie sich auch Abgeordnete in Ausschüssen mit Expertenmeinungen beschäftigen. Dann sollen sie am Ende Entscheidungen treffen, und tatsächlich hielt sich die irische Regierung an Entscheidungen solche Bürgerversammlungen.

Es gibt auch in Deutschland ähnliche Prozesse, wo die Beteiligung von Bürgern angestrebt wird, wo diese eingeladen werden, gemeinsam mit Experten schwierige Probleme zu diskutieren und sich eine Meinung zu bilden. Meistens stehen auch sogenannte Handlungsempfehlungen am Ende solcher Prozesse. Ich meine die vielen partizipativen Prozesse, die sich mittlerweile in verschiedenen Politikfeldern gebildet haben, auch im Bereich der Forschungs- und Innovationspolitik.

Aber dort käme niemand auf den Gedanken, hier tatsächlich verbindliche Entscheidungen durch Bürgerinnen und Bürger treffen zu lassen. Im Moment experimentiert man noch mit den verschiedenen Beteiligungsmodellen. Ein Grund dafür, dass bindende Entscheidungen solche Gremien bisher undenkbar scheinen, ist auch die Auswahl der Beteiligten. Hier wird ja nicht per Los ein zufälliger Querschnitt durch die deutsche Bevölkerung gebildet, sondern es sind Freiwillige, die sich aus persönliche Motivation heraus an solchen Prozessen beteiligen. Und da ist es, wie so häufig, eher eine sehr wenig repräsentative Auswahl, es sind dann doch eher die Gebildeten und Interessierten, die in solchen Gremien sitzen. Die Entscheidungen sollen dann doch die gewählten Vertreter des Volkes, die Parlamentarierinen und Parlamentarier, die Ministerinnen und Minister treffen.

Es sieht also so aus, als wenn wir erstmal bei der repräsentativen Demokratie bleiben. Aber ist diese wenigstens funktional? Führt sie zur Auswahl der Besten, und bleibt trotzdem ein Spiegel der Gesellschaft? Für Schweden hat dieser Artikel versucht, eine Antwort zu geben. Interessanterweise in einem Ökonomen-Blog veröffentlicht, untersucht der Artikel, ob durch demokratische Auswahl von Vertretern auch wirklich gute Leute in entsprechende Funktionen kommen. Schließlich seien andere Posten ja subjektiv gesehen durchaus lukrative. Aber das scheint nicht wirklich abzuschrecken. Und außerdem fragt der Autor, ob nur solche Menschen Politiker werden, deren Väter/Mütter und Großmütter/Großväter schon aus gebildeteren und reicheren Schichten stammen. Für Schweden scheint dies nicht der Fall zu sein. Für Deutschland allerdings erinnere ich mich an Artikel, die durchaus im Vergleich früherer Bundestage mit dem von heute zu dem Schluss kommen, dass eine sehr spezielle Auswahl an Personen in unserem Parlament sitzt. Hier haben sich Sozialwissenschaftler recht kritisch zur soziodemografischen Zusammensetzung des aktuellen Bundestags geäußert. Und in diesem Zusammenhang ist sicher auch die Debatte um den Reichtumsbericht der Bundesregierung relevant. Die Positionen ärmere Bevölkerungsschichten zu politischen Fragen würden nicht in gleichem Maße durch die Volksvertreter berücksichtigt wie die reichere Bevölkerungsgruppen. Zu diesem Schluss kam ein Gutachten für besagten Reichtumsbericht, das aber in der Endversion wohl nur noch in Teilen wiedergegeben wurde.

Ein anderer Diskussionspunkt um repräsentative Demokratie zielt auf den Wahlakt als solchen. Seit vielen Jahren geht die Wahlbeteiligung in den meisten Industrieländern zurück. Sind die Leute wahlmüde, funktioniert der Transmissionsriemen der repräsentativen Demokratie nicht mehr? Die aktuell hoch emotionalen Wahlen zum Beispiel bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich zeigen, dass dann, wenn es um etwas zu gehen scheint, die Wähler durchaus mobilisiert werden können.

Aber brauche ich überhaupt Wahlen, wenn ich durch Umfragen doch schon vorab weiß, wie sie ausgehen? Zwar war gerade in den letzten Monaten die ein oder andere Wahl dabei, wo Umfragen und echtes Wahlergebnis deutlich voneinander abzuweichen schienen. Doch das Beispiel der französischen Präsidentschaftswahlen zeigte, dass Umfrageinstitute auch ziemlich punktgenaue Voraussagen machen können. Und auch wenn Prognosen den einen oder anderen Wähler zu taktischen Wahlverhalten bringen, scheint das Prinzip Wahlen bisher noch zu funktionieren, so zumindest dieser Meinungsbeitrag in einer der letzten Ausgaben der Zeit.

Mit den Möglichkeiten neuer Umfragetools hatte ich mich ja bereits in einem meiner letzten Blogs auseinandergesetzt. Da scheint noch einiges auf uns zu warten.

Was heißt das nun alles für Forschungs- und Innovationspolitik? Z.b., dass parlamentarische Vertretung und repräsentative Demokratie nicht das allein seligmachende Prinzip sind, dass die direkte Beteiligung der Bevölkerung durchaus interessant sein kann, dass es dafür auch spannende neue Formate gibt, das Umfragen hergebrachte Strukturen und Prozesse in Frage stellen und das insgesamt das Thema Partizipation auf der Agenda bleibt. Beteiligung wird noch viel wichtiger werden. In diesem Sinne erwarte ich mir, dass wir in den nächsten Jahren auch im Bereich der Forschungs- und Innovationspolitik noch einiges an neuen Beteiligungsformen sehen werden. Nicht nur wird Open Innovation die Innovationsstrategien der Unternehmen bestimmen, nein auch Open Participation bestimmt die Politik der Zukunft.

Und auch die Wissenschaft muss und demokratisch bleiben. Da wiederum hat die Diskussion rund um den March for Science einiges in Bewegung gesetzt.

Mittwoch, 26. April 2017

Brexit und das Pfeifen im Walde

Vor einer Woche veröffentlichte Innovate UK, die Innovationsagentur Großbritanniens, einem Blogbeitrag. Darin wurde mit blumigen Worten beschworen, was für ein exzellentes Wissenschaftssystem Großbritannien doch habe, was für ein leistungsfähiges Innovationssystem, und natürlich was für eine tolle innovationsagentur, die nur die besten Projekte fördere. Und dann berichten die Autoren voller Stolz, wie viele EU-Projekte britische Forscher und Unternehmen doch eingeworben hätten. Na, das wird in Zukunft möglicherweise etwas schwieriger werden. Bzw. schon jetzt haben es britische Partner immer schwerer, in neue EU-Projekte hineinzukommen. Und als letztes Argument wurde die große internationale Verflechtung Großbritanniens mit Partnern weltweit ausgeführt. Wenn wir nicht mehr mit den Europäern spielen dürfen, dann halten wir uns halt an das alte Commonwealth. So klang das in meinen Ohren. Ein Pfeifen im Wald.
Eigentlich lese ich eher andere Artikel, die vor den Folgen des Brexit warnen und eine Gefahr für das britische Wissenschafts- und Innovationssystem sehen. Artikel wie diesen hier, der vor ein paar Tagen erschienen ist und die möglichen Folgen für das britische Wissenschaftssystem eher nicht in rosigen Farben malt.
Aber was soll eine Agentur auch machen, deren Auftrag es ist, das Innovationssystem zu stärken. Psychologie kann da ein wichtiger Faktor sein. Sich das Leben schön reden. Denn es hilft nichts, mit den jetzt kurzfristig angesagten Wahlen wird sich die britische Regierung neue Mehrheiten verschaffen und auch die Resteuropäer sehen nicht so aus, als wenn sie zimperlich verhandeln wollten.
Ganz andere Implikationen befürchtet dieser Artikel. Nämlich, dass die britische Regierung, befreit von den Restriktionen des europäischen Beihilferechts und der strengen Kontrolle der Kommission, Industrien nicht künstlich zu subventionieren, nun eine sehr aktive Industriepolitik betreiben wird. Und da haben Ökonomen meist Zweifel, ob der Staat der Richtige ist, Gewinner und Zukunftstechnologien zu fördern, und nicht Rückzugsgefechte slter Industrien auszufechten.
Es bleibt also spannend.

Samstag, 22. April 2017

Und noch mal March for Science

Eigentlich wollte ich ja nicht über den March for Science schreiben, dazu sind doch eigentlich schon genug Beiträge in den letzten Tagen und Wochen erschienen. Aber als ich mir heute früh noch einmal meine Bookmarks dazu angeschaut habe, fand ich die Vielfalt der Beiträge doch bemerkenswert, daher hier ein Überblick über die besonders interessanten Aspekte.

Es gibt eigentlich kaum einen Beitrag, der das Anliegen grundsätzlich in Frage stellt. Alle finden das Motiv richtig und wichtig. Wissenschaft muss gestärkt werden. Dennoch finden sich viele skeptische Beiträge, die ein Haar in der Suppe finden.

Wie kann man sich gegen eine Vereinnahmung durch das Wissenschafts-Establishment wehren, und gegen den Eindruck, hier nur gegen Trump zu demonstrieren?

Verschleiert eine solche Demonstration nicht gerade, dass Wissenschaftler natürlich auch parteiisch ist und dass sie immer nur vorläufige Wahrheiten produziert?

Dieser Beitrag weist darauf hin, dass die Situation in Deutschland aktuell ganz anders ist als in den USA. Das nämlich Wissenschaft immer stärker auch als Partner der Politik genutzt wird, um Handeln zu legitimieren. Also nicht gerade eine wissenschaftsfeindliche Haltung hierzulande. Das erklärt sicher auch, dass die deutschen Organisatoren des March for Science kräftige Unterstützung von allen Seiten des Wissenschafts-Establishments bekamen.

Dieser Beitrag befürchtet, dass die Demo der Politisierung von Wissenschaft Vorschub leisten wird und unterm Strich der Wissenschaft eher schadet. Besser wäre demnach, die Beteiligung der Gesellschaft an Wissenschaft zu stärken, durch citizen science oder durch ein gesellschaftliches Engagement von Wissenschaftlern.

Und dieser Beitrag aus den USA wiederum geht ganz nüchtern wissenschaftlich an die Sache heran und vergleicht die aktuelle Aktionen mit Demonstrationen der vergangenen 40 Jahre, Daten gibt es hier zu genug. Und der Artikel kommt zu dem Schluss, dass die Wissenschaftsaktion doch einige Parallelen zu den Bauernprotesten früherer Jahre hat, wo ebenfalls ein Berufsstand befürchtete, marginalisiert und finanziell abgehängt zu werden. Vielleicht ein etwas harter Vergleich, aber nicht ganz von der Hand zu weisen, zumindest für die Situation in den USA.

Und es gibt auch den selbstreflexiven Ansatz, wenn der March of Science zum Objekt wissenschaftlicher Forschung wird.

Spannend wird nun vor allen Dingen sein, wie die Berichterstattung über die Demonstration ausfallen wird, insbesondere in den USA. In Deutschland gibt es heute noch andere politische Großveranstaltungen, die vermutlich die Berichterstattung etwas überlagern.

P.S. in der Süddeutschen las ich gestern noch diese lange und teilweise sehr witzig geschriebene Reportage über die Wissenschaftsfeindlichkeit in den USA (online nur gegen Geld, aber in diesem Fall würde ich sagen, es lohnt sich). Der Autor reist erst zu den fundamentalen Christen, die Evolutionstheorie für Unsinn halten. Dann spricht er mit Wissenschaftlern über die Macht großer Konzerne, die bewusst Unsicherheit säen und wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel ziehen. Er schreibt über das tief verwurzelte Misstrauen gegenüber der Politik und den Eliten in Washington, und wiederholt noch einmal, wie tief die Spaltung in der Gesellschaft und den politischen Lagern ist. Vier Faktoren, die mit dazu beitragen, dass Wissenschaft in den USA deutlicher umstritten ist als z.b. in Deutschland.

Sonntag, 9. April 2017

Unsterblichkeit und Ostern


Die aktuelle Ausgabe der Zeit fragt sich, ob wir in Zukunft dank den Erkenntnissen der Wissenschaft dem Tod ein Schnippchen schlagen können. Dazu schreibt die Zeit in ihrer aktuellen Ausgabe (neuerdings für Nicht-Abonenten hinter einer Bezahl-Schranke) einen längeren Eröffnungsartikel. Der Zeitpunkt ist vermutlich nicht zufällig. Wir haben Ostern. Zeit des Todes und der Auferstehung. Im genannten Artikel werden zwei Erzählstränge miteinander verwoben. Es geht einmal um einen Wissenschaftler, der ein Verfahren zur exakten Messung des echten biologischen Alters gefunden hat. Ein anderer Wissenschaftler wiederum hat durch die Transfusion von Blut junger Menschen alte Menschen wieder jung gemacht. Oder im Moment eher mit der Transfusion des Blutes junger Mäuse alte Mäuse verjüngt. Bereits vergangenen Sommer machte die Meldung die Runde, der Internet-Milliardär Peter Thiel nehme an einer entsprechenden klinischen Studie teil. Durch das Trinken von Blut (na gut, die Transfusion) das ewige Leben gewinnen? Ist das nicht eine christliche Metapher? Wird nicht Wein zu Blut in der Wandlung? Hat dies nicht mit Ostern zu tun? 

Vielleicht ist das jetzt dann doch zu blaspemisch. Dann bleibe ich lieber im Bereich der Popkultur. Die zweite Assoziation ist die von Vampiren, die Blut saugen, um am Leben zu bleiben. Aber nein, hier handelt es sich um echte Wissenschaft. Beim Lesen des Artikels war ich geradezu euphorisiert. Das ist wirklich möglich? Das kommt jetzt ganz bald? Bluttransfusion, und damit werde ich jünger?

Leider hatte ich vorher schon einen Artikel des New Yorker gelesen, der ein wenig Wasser in den Wein goss. Im New Yorker wurde die ganze Geschichte um die Hoffnung, den Tod zu besiegen, aus einer etwas anderen Perspektive erzählt. Hier in geht es um die Internet-Größen des Silicon Valley. Um Biotechnologie, aber auch um Big Data und künstliche Intelligenz. Um Milliardäre, die Angst vor dem Tod haben. Die als Kinder oder Jugendliche ihren Vater verloren haben. Im Gegensatz zum Artikel in der Zeit wird hier eine deutlich breitere Palette an Zugängen gezeigt, aber auch an Hoffnungen und Enttäuschungen. So einfach scheint das ewige Leben nicht zu haben zu sein. Die Fantasien reichen davon, Zellen zu reparieren und zu verjüngen, bis dahin, den menschlichen Geist in Computer zu transferieren. Und wer nicht wirklich daran glaubt, dass all diese Versuche in absehbarer Zeit zu brauchbaren Resultaten führen, der lässt sich halt einfrieren.

Der Artikel war faszinierend, aber irgendwie dann doch etwas ernüchternder als die euphorischen Schilderungen in der Zeit. Nun ja, im Zweifelsfall ist da ja noch Ostern, zumindest für die Christen unter uns. 

Samstag, 8. April 2017

Frühling der Wissenschaft

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, so ruft Faust in seinem Osterspaziergang. Wenn ich heute aus dem Fenster schaue, ist es zwar ziemlich grau und kalt, die letzten Wochen konnten wir aber schon angenehme Frühlings- bis Frühsommertage genießen, mit Temperaturen deutlich über 20 Grad. In anderen Weltgegenden ist es nicht der Osterspaziergang, sondern das Kirschblütenfest, dass die Menschen nach draußen in die Sonne lockt. Der Economist hat gerade eine wunderhübsche und gleichzeitig erschreckende Grafik veröffentlicht, auf der er den Zeitpunkt des Kirschblütenfest in den letzten 1200 Jahren in Japan nachzeichnet. So weit reichen dort die Aufzeichnungen zurück. Und was man sieht, ist das dieser Zeitpunkt im letzten Jahrhundert immer weiter nach vorne gerückt ist, der Klimawandel lässt grüßen.

Wie gesagt, die Grafik ist bezaubernd, und das bringt mich zur jährlichen Verleihung der besten Infografiken, die in diesem Artikel kurz skizziert wird. Es gibt auch einen Preisträger aus Deutschland dabei, aber insgesamt muss man doch sagen, dass anderenorts die hohe Kunst der Infografik stärker gelebt wird als hierzulande. Dabei sind Infografiken ein wunderbarer Weg, Daten und Informationen an Lieschen Müller zu bringen. Wissenschaftskommunikation und Design, Hand in Hand. Brauchen wir nicht mehr davon, angesichts der Herausforderungen, denen sich die Wissenschaft gegenüber sieht? Angesichts des Sperrfeuers, das jetzt aus Washington kommt? Naja, die Infografik wird die Wissenschaft nicht retten, sie dient mir aber als Überleitung zu einem weiteren Thema, dass mich zur Zeit beschäftigt.

Wissenschaft ist unter Druck, und jetzt schlägt die Wissenschaft zurück, spätestens im Mai werden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den Straßen der Metropolen dieser Welt vereinen zum march for science.

Das Thema hat interessante Debatten angestoßen, auch in Deutschland sind einige spannende Beiträge dazu erschienen. Lesenswert fand ich z.b. den Beitrag von Herrn Schneidewind, den Chef des Wuppertal Instituts, der auf die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Gesellschaft hinwies. Wissenschaft können sich nicht auf ihre neutrale Rolle als Beobachter und Erklärer der Welt zurückziehen. Wissenschaft handle nicht nur von objektiven Fakten, nein sie beeinflusse mit werthaltigen Aussagen auch die Gesellschaft und werde ihrerseits von der Gesellschaft beeinflusst. In diesem Sinne ist es wohl normal, dass sie auch Teil gesellschaftlicher Konflikte wird, wie wir es zur Zeit in den USA segen. Also kein Fundamentalangriff auf die Wissenschaft?

Lesenswert fand ich ebenfalls den Beitrag von Peter Weingart, der sich wissenschaftstheoretisch mit der Beziehung zwischen Wissenschaft und Wahrheit auseinandersetzt und auf die Theorien des Konstruktivismus und des Paradigmenwechsels  verweist. Während der Konstruktivismus - stark vereinfacht und verkürzt gesagt - davon ausgeht, dass Erkenntnis immer nur ein temporäres soziales Konstrukt ist, also subjektiv eine Theorie von der Welt schafft, beschreibt die Theorie von Paradigmenwechsel wissenschaftliche Erkenntnisse als temporäre Übereinkünfte von Wissenschaftscommunitys über ihre gemeinsame Sicht der Welt, die in Phasen des Paradigmenwechsels in sehr kurzer Zeit in Frage gestellt und durch neue Theorien über die Welt ersetzt werden.

Beiden Ansätzen ist gemeinsam, dass sie der Laiensicht auf Wissenschaft widersprechen, die eher davon ausgeht dass Wissenschaft tatsächlich absolute, ewig gültige Wahrheiten entdeckt. Ist der Konstruktivismus damit der Wegbereiter von alternativen Fakten, da ja sowieso jede wissenschaftliche Aussagen nur ein zeitlich befristetes Konstrukt ist?

Natürlich nicht. Und um an einem Beispiel deutlich zu machen, wie segensreich und erhellend es manchmal sein kann, jenseits von scheinbar allseits geteilten Überzeugungen auf die Fakten zu prüfen und bestimmte Gemeinplätze in Frage zu stellen, hier noch die Empfehlung auf einen Artikel, der deutlich macht, dass die Osterweiterung der EU keineswegs dazu geführt hat, dass die Entscheidungsfindung im Europäischen Rat schwieriger wurde, Gesetzgebungsverfahren länger dauerten oder dass die osteuropäischen Neumitglieder als Block am laufenden Band Entscheidungen der Altmitglieder torpedierten. Und das ist nicht nur interessant zu erfahren, das ist möglicherweise auch entscheidungsrelevant, wenn es darum geht, ob die EU offen bleibt für Neumitglieder.

Nicht nur die Klimaforschung, auch die Sozialwissenschaften können also manchmal eine wichtige Rolle spielen und zu besserem politischen Handeln beitragen. In diesem Sinne dann doch "raus auf die Straßen, Ihr Freunde der Wissenschaft, zum march for science. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche ...

Sonntag, 2. April 2017

Wer gewinnt die nächste Bundestagswahl?

.... das weiß ich leider auch nicht. Aber die Wahl wird wieder spannender, als z.b. noch vor 3 Monaten gedacht. Und damit werden auch Umfragen und Wahlprognosen wieder interessanter. Nach dem doch etwas überraschenden Ergebnisse der Wahl im Saarland wurde in Kommentaren Häme über die Demoskopen ausgegossen, die sich so geirrt hätten. So wurde in manchen Artikeln behauptet, dass Meinungsforschungsinstitute ein Problem damit hätten, dass mittlerweile viele Bürger keinen Festnetzanschluss, sondern fast ausschließlich Mobilfunk nutzen. Das stimmt so natürlich nicht. Der Politologe Oskar Niedermayer stellte zudem in einem Interview mit dem Deutschlandfunk klar, dass die Befragungszahlen kurz vor der Wahl gar nicht so schlecht gewesen sein, dass aber nicht mehr alle Prognosen veröffentlicht wurden. In einem Interview machten Manfred Güllner noch einmal deutlich, dass Wahlumfragen Augenblicksbeobachtungen sind und keine Prognosen.

Spannend finde ich das Thema Umfragen und Prognosen aber insbesondere deshalb, weil hier neue Anbieter mit neuen Technologien auf den Markt drängen. Beim letzten Bundestagswahlkampf waren es insbesondere die wettbasierten Ansätze (siehe auch meinen damaligen Blogbeitrag), heute gibt es neue Technologien.

Zum Beispiel das Berliner Startup Civey, das den Umfragemarkt nach eigenen Angaben revolutionieren und um Fragen für jedermann anbieten möchte. Das Unternehmen setzt auf Online-Panel, die zu allen möglichen Fragen jederzeit Auskunft geben. Genutzt wird civey z.b. von Spiegel Online, auch für die Bundestagswahl.

Ein weiteres Berliner Unternehmen im Bereich Datenanalyse orientiert sich an Nat Silver, dem Prognose-Guru aus den USA. In ähnlicher Weise hat das Unternehmen ein Datenmodell entwickelt, mit dem es Wahrscheinlichkeitsprognosen zum Ausgang der Bundestagswahl erstellt. Wir dürfen gespannt sein, ob diese Prognosen besser sind als die klassischen Sonntagsfragen der Meinungsforschungsinstitute. Diese fließen übrigens in die Prognosen des genannten Berliner Unternehmens mit ein.

Und die Zeit berichtete (online leider hinter der Bezahlschranke) in einer ihrer letzten Ausgaben von einem französischen Startup, dass mit Datenanalyse den Wahlkampf von Emmanuel Macron möglich macht, indem es diejenigen Regionen für den Straßenwahlkampf vorbereitet, in denen eine Wechselstimmung herrscht oder das Ergebnis noch offen ist. Das Prinzip erinnert natürlich stark an den amerikanischen Wahlkampf, von dem tatsächlich die Anregung stammt. Es ist aber weit entfernt von dem was Cambridge Analytics (siehe mein Blogbeitrag hier) angeblich für das Trump-Team macht hat. Die französischen Kollegen sind in Deutschland noch nicht aktiv, das kann aber laut dem Zeit-Artikel kurzfristig noch kommen.

Es wird also nicht nur die Wahl spannend, sondern auch die Prognostik als solche.

P.S. kleines Update: zur französischen Wahl zitiert die Zeit den Economist mit einer Metaanalyse von Umfragedaten, demnach dürfen wir den Frühling sehr hoffnungsfroh entgegen schauen