Dienstag, 5. April 2016

average is over

Tag 1 nach einem denkwürdigen Wahlsonntag. Fast 25% für die AfD in Sachsen-Anhalt. Die internationalen Kommentatoren überschlagen sich. Hat Deutschland jetzt auch ereilt, was in vielen anderen europäischen Ländern bereits Alltag ist, der Aufstieg rechter Parteien vom Splitterdasein zur politischen Relevanz?
Der Aufstieg der AfD hat sicher ganz viel mit der Flüchtlingskrise zu tun, aber erklärt das wirklich alles? In leider ziemlich vielen europäischen Ländern nimmt ja die Rechte seit längerem schon beständig zu. Eine jüngst erschienene Studie versucht dies mit den Auswirkungen der Finanz und Wirtschaftskrise zu erklären. Die Analyse der letzten 140 Jahre habe gezeigt, dass nach wirtschaftlichen Krisen rechte Parteien immer einen stärkeren Zulauf haben. Okay, für Frankreich kann ich mir das gut vorstellen, aber Deutschland ist ja eigentlich recht gut durch die Finanzkrise gekommen. Allerdings steht Ostdeutschland wirtschaftlich gesehen deutlich schlechter als der Westen der Republik da, und in Ostdeutschland haben rechte Parteien einen deutlich höheren Zulauf. Einen gewissen Erklärungsgehalt scheint die Krisenhypothese also schon zu haben.
Für die Zukunft verheißt das allerdings schlechte Zeiten. Denn möglicherweise hat diese Entwicklung einiges mit der Digitalisierung zu tun. Und das ist dann auch zu die Brücke zum Thema meines Blogs. Denn das ist hier ja ein Innovationsblog und kein Politikblog.
Heute wurde auch die CeBIT eröffnet, und Bundesminister Gabriel stellte seine neue Digitalisierungsstrategie vor (was zu folgendem eher enttäuschten Kommentar führte). Seid spätestens zwei Jahren ist Digitalisierung das Megathema, auch für die Bundesregierung. Digitalisieren wird alles verändern, das Arbeitsleben (siehe Arbeit 4.0), die wirtschaftlichen Chancen großer und kleiner, alter und neuer Unternehmen, und auch die Kommunikation über Politik und die Mobilisierung der Gesellschaft.
Die Digitalisierung wird auch für ein erhebliches Potenzial zu mehr Ungleichheit verantwortlich gemacht. Interessanterweise wird unsere Welt ja immer gleicher, allerdings eher zwischen Staaten und nicht innerhalb nationaler Gesellschaften. Da nimmt die Ungleichheit eher zu, das ist ein weiteres Megathema. Geradezu mit morbidem Vergnügen werden fast im Wochenrhythmus neue Studien dazu veröffentlicht, wie die Digitalisierung die Mittelschicht auf breiter Front aushöhlen könnte. Das muss natürlich nicht so kommen, aber wer weiß? Die Kommentatoren des amerikanischen Vorwahlkampfes scheinen sich auch sicher zu sein, dass Arbeitsplatzverluste durch die Industrialisierung und Automatisierung mit zur Radikalisierung des Vorwahlkampf beigetragen haben. Früher hätte man wohl von  Modernisierungsverlierern gesprochen. Heute oder spätestens morgen ist es möglicherweise eher die digitale Spaltung der Gesellschaft in digitale Gewinner und digitale Verlierer.
Das kann dann ganze Regionen betreffen. Ein Artikel im Economist verweist aktuell auf das zunehmende Auseinanderdriften der amerikanischen Bundesstaaten. Diejenigen Bundesstaaten, in denen aufstrebende Städte liegen, in denen sich Technologiefirmen ansiedeln, wo Forschungszentren prosperieren, haben ein deutlich höheres Wirtschaftwachstum als andere Bundesstaaten, die systematisch abgehängt werden.
Droht uns sowas auch in Deutschland, schon jetzt ist ja ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Bundesländern zu beobachten, zum Beispiel was die FuE-Quote angeht? Wird hier vielleicht sogar ein sich selbst verstärkender Teufelskreis in Gang gesetzt? Der BDI verweist in seiner ersten Reaktion zur gestrigen Wahl darauf, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland durch Erfolge der AfD nachhaltig gefährdet sein könnte. Das trifft auf einige Regionen sicher noch stärker zu als auf andere. Und in Dresden beschwören die dort ansässigen Forschungsinstitute, dass international renommierte Forscher immer schwerer für Ostdeutschland zu gewinnen sind.
Hier nur von den Folgen der Digitalisierung zu sprechen ist sicher arg verkürzt. Aber die digitale Postmoderne weist auf jeden Fall einigen sozialen Sprengstoff auf, der sich politisch sehr unschön entladen könnte.
Der Economist übrigens schließt seinen Artikel mit einem Verweis auf das 2013 erschienene Buch von Tyler Cowen "average is over". Ich habe es noch nicht gelesen, aber der englischsprachigen Wikipedia zufolge scheint das eine eher gruselige Dystopie zu sein. Oder doch ein realistischer Blick in die Zukunft?
P.S. im weiteren Sinne zum Thema gibt es einen Haufen weiterer interessanter Link:
Wie das Risiko von Jobverlust und die Neigung, Republikaner zu wählen, in den USA korrelieren
Eine in meinen Augen nur halb gelungene Foresight-Studie zur Zukunft der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung und mögliche soziale und politische Konsequenzen

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