Dienstag, 22. September 2015

Verantwortungsvolle Wissenschaft

Sorgt Wissenschaft für ein besseres Leben?  Ist Wissenschaft überhaupt nützlich?  Wollen Wissenschaftler geliebt werden? 

Lauter Fragen, die ich in meinem Kopf hatte, als ich Anfang der Woche an einem Workshop zum Thema responsible research and innovation für die EU-Kommission teilnahm. Das Konzept war relativ neu für mich, der Begriff ist in Deutschland praktisch unbekannt. Natürlich gibt es die Elemente, die responsible research and innovation ausmachen, auch in Deutschland. Wissenschaftskommunikation, Bürgerbeteiligung, Genderfragen, open science und ethische Aspekte von Forschung spielen auch in der deutschen Diskussion eine Rolle und werden immer stärker auch von Forschungsorganisationen, Forschungsförderern und anderen Akteuren genutzt. Aber halt nicht unter einem Dach. Deswegen wirkte vielleicht auch das Konzept der Europäischen Kommission auf mich ein wenig wie ein Gemischtwarenladen.

Ich habe mich im Verlauf des Workshops immer wieder gefragt, was eigentlich die Motivation der Akteure hinter responsible research and innovation ist. Bei manchen schien mir eine gewisse "Allmachtsphantasie" durchzuschimmern, dass Technik tatsächlich die Probleme dieser Welt lösen kann. Das war im Kontext dieses Workshops umso eigentümlicher, als insbesondere manche  anwesenden Wissenschaftler hier auf die Unternehmensseite doch ein klein wenig herabsahen. Und gleichzeitig strahlten sie genau dasselbe Sendungsbewusstsein aus wie die Teckies aus dem Silicon Valley.

Außerdem vermitteln sie das Gefühl, geliebt werden zu wollen. Sie wollten Teil der Gesellschaft sein, zusammen mit anderen Bürgerinnen und Bürger die Probleme dieser Welt lösen. Und wenn wir schon bei der Perspektive auf den Bürger sind. Die Diskussion um responsible research and innovation hat etwas altmodisch aufklärerisches. Wenn erst die Wissenschaft die Menschheit erleuchtet, dann sieht diese selbst ein, wie sie ihre Probleme lösen kann. Ich habe da so meine Zweifel, ob Wissen gleich Einsicht gleich richtiges Handeln ist.

Die Politik scheint mir hier häufig deutlich profaner und  rationaler.  Sie nutzt den Verweis auf gesellschaftliche Herausforderungen, die mit technischen Lösungen bewältigt werden können, eher, um steigende Ausgaben in Forschung und Entwicklung zu legitimieren.

Und dann habe ich mich gefragt, warum gerade die Europäische Union so auf normativ aufgeladene Konzepte steht. Sie war ja die erste, die in Europa Evaluationen salonfähig gemacht hat. Sie ist die Institution, die Genderaspekte als notwendigen Bestandteil von Forschungsanträgen etabliert hat. Wahrscheinlich muss die Kommission einfach deutlich stärker als nationalstaatliche Institutionen ihr Handeln legitimieren und jeden Euro, den sie ausgibt, auf die Goldwaage legen.

Lustig fand ich übrigens die Hoffnung einiger Wissenschaftsvertreter, dass eine stärkere gesellschaftliche Einbindung ihrer Forschung sie von der Last der ständigen Evaluationen befreien würde. Denn wenn sie  gesellschaftlich  relevant forschen würden, müssten sie die Ausgaben ja nicht mehr schnöde Euro um Euro rechtfertigen. Da haben sie, glaube ich, etwas falsch verstanden. Evaluation ist ja nicht Kontrolle um der Kontrolle willen, sondern soll Steuerungsinformationen auch für die evaluierten Akteure liefern.

Noch ein Konflikt, der immer wieder aufschimmerte, war die Frage, inwieweit Grundlagenforschung sich einem Nützlichkeitsdiktat unterwerfen müsse. Mich erinnert das an die gruselige Diskussion um die Nützlichkeit von Kunst und Musik (wer ein Instrument spielt, ist im Job teamfähiger ... ) oder auch die politische correctness von moderne klassische Musik (ich habe hierzu mal ein erschütterndes Buch über Schostakowitsch im stalinistischen  Russland gelesen).

Übrigens, was ich vergessen habe zu erwähnen: Der Workshop war sehr spannend, toll organisiert, und ich möchte ihn nicht missen. Nur das Thema, das hat mich halt zum Nachdenken angeregt. Auch wenn ich es richtig und wichtig finde, dass Wissenschaft nicht selbstbezogen im Elfenbeinturm stattfindet, sondern sich seiner gesellschaftlichen Einbettung bewusst ist.

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