Sonntag, 29. November 2015

Digitalmanifest

Vor kurzem erschien ein sogenanntes digitales Manifest in der deutschen Ausgabe der Spektrum der Wissenschaft. Es ging nicht wie so häufig in aktuellen Artikeln zur digitalen Revolution darum, inwieweit Deutschland Nachholbedarf habe, zu wenig auf digitale Veränderung vorbereitet seit oder sogar kulturell geprägt zu große Ängste vor den Segnungen der digitalen Revolution habe. Nein ganz im Gegenteil: Eine ganze Reihe namhafter und honorige Wissenschaftler warnen darin vor dramatischen Konsequenzen der Digitalisierung, insbesondere im Hinblick auf einem Missbrauch durch den Staat.

Das klang alles gut gemeint, und natürlich möchten wir nicht, dass der Staat uns manipuliert, dass Allmachtsphantasien sich in Planungswut ausleben, das digitale Systeme über Menschen entscheiden. Aber mal davon abgesehen, dass eine ganze Reihe von Grundannahmen in meinen Ohren mehr als merkwürdig  klangen ( zum Beispiel die Kantsche These, dass Demokratien keine Kriege führen, was wie dieser Artikel zeigt nicht stimmt), fand ich auch den allgemeinen Tenor sehr alarmistisch, ja fast schon verschwörungstheoretisch.

Eine der größten Bedrohungen, die in dem Artikel gezeichnet wurden, stellte das sogenannte "big nudging" da. Zu denken ist big nudging als eine Verbindung von Big Data und dem klassischen nuging. Die Politik könnte versuchen, mit Hilfe intelligenter Algorithmen ganze Gesellschaften digital abzubilden und zu steuern. Natürlich würde das nach Ansicht der Autoren alles ziemlich schief gehen, wo ich Ihnen ausnahmsweise recht geben würde. Aber schon die Grundannahme, dass solche Steuerungsversuche in nächster Zukunft möglich oder gar wahrscheinlich wären, kann ich beim besten Willen nicht teilen. Mir scheinen auch die Indizien, die im Artikel genannt werden, wie die Buchempfehlungen von Amazon (andere Leser haben XY gekauft) oder die individualisierten Sucheinstellungen bei Google nicht wirklich zu tragen.

Und die bekannten nudging-Versuche der Regierungen nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere in Großbritannien oder den USA sind mehr als harmlos. Da geht es dann eher darum, die Anschreiben zur Steuererklärung etwas umzuformulieren, um die Leute dazu zu bewegen, diese schneller auszufüllen. Das ist doch mehr auf der Ebene von Warenregalen in Supermärkten, in denen die Waren nicht zufällig sortiert sind, sondern so, dass der Kunde möglichst viel von den teuren Produkten kauft. Auch die Versuche, Gesellschaften digital zu erfassen,  waren  (siehe z.B. futureICT) eher nicht so erfolgreich.

Im Manifest wird ziemlich am Ende des Textes auch das abschreckende Beispiel China genannt, in dem jetzt alle Bürger mit ihrem Internet erhalten geraten werden sollen. Dieses Beispiel zirkuliert schon länger im Netz. Ein neues "social credit system" oder "citizen scoring"
sogenannte sesame credits bei der Alibaba-Tochter Alipay, um insbesondere die Kreditwürdigkeit einzuschätzen. Mit dem neuen Chinesischen System beschäftigte sich zum Beispiel ein Artikel auf Netzpolitik. Die Zeit titelt in ihrem Blog-Beitrag sogar "China plant die totale Überwachung".
"Schon seit einigen Jahren ist die chinesische Führung dabei, ein System zu entwickeln, das das Verhalten seiner Bürger bewertet und öffentlich macht. Ausgangspunkt waren zahlreiche Berichte über das rüpelhafte Verhalten vieler chinesischer Touristen im Ausland."
Kritische wäre es, wenn auch social media Aktivitäten Teil des Bewertungssystems würden. Die scheinen die Player in China aber bislang zu dementieren, wie einige Blogeinträge (z.B. hier ) melden. Inzwischen hat eine parallele Diskussion um die für November angekündigte App Peeple auch die deutsche Blog-Szene erreicht und sehr kritisch kommentiert. Das sind sicher Eindrücke, vor deren Hintesgrund das Manifest entstand.

Ich habe den Eindruck, dass digitale Manifest ist stark beeinflusst vom Buch von Nick Bostrom zur Superintelligenz. Da geht es allerdings in letzter Konsequenz eher um die Welt Vernichtungsmaschine. Ich hatte das Buch von Boston bereits vor einiger Zeit gelesen. Jetzt bin ich aber über einen schönen langen Artikel des New Yorker gestoßen, der nicht nur auf das Buch, sondern insbesondere auf die Person von Bostrom und die verschiedenen Diskussionsstränge, die zu seiner Idee führten, eingeht. Intern spekuliert Bostrom darüber, ob ein wirklich intelligenter Computer so schnell so viel lernen würde, dass er die Menschheit beherrschen kann. Bostrom selbst scheint mir ein sehr ambivalenter Charakter zu sein. Auf der einen Seite verliebt in die Frage, welches Ereignis zum Weltuntergang führen könnte. Auf der anderen Seite nach eigenem Bekenntnis an Anhänger des Transhumanismus. Also jene Bewegung die den Menschen mit Hilfe technischer Mittel und Errungenschaften der modernen Wissenschaft weiter verbessern vervollkommnen möchte. Bis hin zum ewigen Leben. Eine schöne Zusammenfassung des Transhumanismus findet sich in diesem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Man sieht, die Zukunft scheidet die Geister.

Aber die finale Szene zur Doomsday-Maschine bleibt weiterhin die folgende:


 


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